Empirische Forschungsmethoden in der Heil- und Sonderpädagogik - Eine Einführung

von: Katja Koch, Stephan Ellinger

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783840922435 , 358 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 26,99 EUR

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Empirische Forschungsmethoden in der Heil- und Sonderpädagogik - Eine Einführung


 

Wie mache ich meine Fragestellung messbar?

Kapitel 8 Operationalisierung
Simon Sikora

Obwohl Sie schon genau wissen, mit welcher Forschungsfrage Sie sich befassen möchten und Ihr Forschungsprojekt auch bereits theoretisch vorbereitet haben, sollten Sie noch einen Moment innehalten. Schließlich ist nicht nur das „Was“ entscheidend für eine wissenschaftlich anspruchsvolle Untersuchung, genauso bedeutend ist das „Wie“ des Umgangs mit einem Thema und seinen abgeleiteten Fragestellungen. Die Wahl der eingesetzten Forschungsmethoden und Vorgehensweisen ist ein gewichtiges Qualitätsmerkmal für eine gute Studie. Insofern ist es wohl überflüssig zu erwähnen, dass genau dieses „Wie“ in großem Maße die Qualität Ihrer Abschlussarbeit beeinflussen wird.

Nachdem die Fragestellung feststeht, folgt als erster Schritt die Überlegung, wie etwas gemessen werden kann.

Versuchen wir, uns das Ganze an einem Beispiel verständlich zu machen: Wer ist denn nun besser in Mathe – Jungen oder Mädchen? Der Mythos, Jungen seien für das Fach von Natur aus begabter, hält sich hartnäckig. Doch kann er auch einer Untersuchung nach wissenschaftlichen Gütekriterien standhalten oder lebt er nur in biergeschwängerten Diskussionen an den Stammtischen dieser Republik weiter? Lassen Sie es uns herausfinden.

Sie müssen sich in dieser Phase der Untersuchung überlegen, wie Sie diesen Vorteil für die Jungen, sofern es ihn denn gibt, messen können. Zunächst geht es also um die Frage nach der „empirischen Übersetzung“ oder dem Messbarmachen der Fragestellung, d. h. es geht um die Operationalisierung.

Dieses Messen ist aber leider gar nicht so einfach, da man es in der sonderpädagogischen Forschung in der Regel mit nicht direkt beobachtbaren Phänomenen zu tun hat. Ob jemand gut in Mathematik ist, kann man nicht sehen, hören, riechen oder schmecken. Solche nicht direkt beobachtbaren Phänomene wie das mathematische Können einer Person werden in der Regel als Konstrukte bezeichnet. Ein Konstrukt ist ein nicht direkt erkennbarer Sachverhalt innerhalb einer Theorie und somit gedanklicher oder theoretischer Natur. Das bedeutet nicht, dass dieses Phänomen nicht existiert, sondern nur, dass man Mittel und Wege braucht, die es erlauben, das Konstrukt gewissermaßen über „Umwege“ zu erfassen. Damit man herausbekommt, wie gut jemand in Mathematik ist, müssen direkt beobachtbare und messbare Merkmale für das Konstrukt „mathematische Kompetenz“ festgelegt werden.

Solche Merkmale, deren Messung einen Rückschluss auf die theoretischen Begriffe erlaubt, werden Indikatoren genannt. Indikatoren sind beobachtbare „Hinweise“ für das nicht direkt beobachtbare Konstrukt. Das mag nun vielleicht verwirrend klingen. Versuchen wir es deshalb mal mit einem Beispiel: Eine gute Möglichkeit, um Hinweise für das mathematische Können eines Kindes zu erhalten, ist, das Kind Aufgaben rechnen zu lassen. Löst das Kind die vorgegebenen Gleichungen schnell und sicher, kann man wohl von mathematischem Können ausgehen. Will man also herausfinden, ob Jungen oder Mädchen besser in Mathematik sind, müsste man sie doch nur die gleichen Aufgaben um die Wette rechnen lassen. Sind die Jungen in einem solchen Mathetest schneller fertig und haben gleichzeitig mehr Aufgaben richtig gelöst, kann man von einem Vorteil für das männliche Geschlecht in Mathematik ausgehen, oder?

Leider nicht, weil man so zwar etwas über die Rechenleistung der Kinder herausbekommen könnte, zur Mathematik gehört jedoch viel mehr als formales Rechnen. Neben dem Rechnen wird im Mathematikunterricht gemessen, gewogen, geschätzt, verglichen, gezeichnet, konstruiert, erforscht, entdeckt, erklärt, argumentiert, … Diese Liste ließe sich problemlos fortsetzen, es sollte aber auch so klar geworden sein, dass die Rechenleistung allein kein geeigneter Indikator für mathematisches Können ist. Also müssen nun Überlegungen angestellt werden, welche Facetten in dem Konstrukt „mathematisches Können“ zusammengefasst werden.

An diesem Punkt sind Sie bei der sogenannten dimensionalen Analyse. Eine dimensionale Analyse machen Sie, um Ihre Forschungsfrage zu präzisieren und gegebenenfalls einzuschränken. So strukturieren Sie Ihren Untersuchungsgegenstand gedanklich und begrifflich. Das Ziel dieser Analyse ist es, alle Merkmale (Dimensionen) des Konstrukts zu identifizieren, die zur Beantwortung der Fragestellung herangezogen werden können. In der Regel bietet sich für diese Sammlung ein Brainstorming an, vorausgesetzt, es wurde genügend Energie in den ersten Teil der Studienvorbereitung gesteckt, sodass eine ausreichende Wissensbasis vorhanden ist. Ansonsten tun Sie gut daran, noch einmal einen tiefgründigen Blick in die Literatur zu werfen. Will man unserem Beispiel folgend nun wissen, welches Geschlecht im Fach Mathematik Vorteile hat, müssen zunächst alle Dimensionen ergründet werden, die von der Fragestellung direkt oder indirekt angesprochen werden. Dabei bietet es sich an, mehrere Perspektiven einzunehmen, z. B. so: