Konfrontationstherapie bei psychischen Störungen

von: Peter Neudeck, Hans-Ulrich Wittchen (Hrsg.)

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2004

ISBN: 9783840917356 , 382 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 26,99 EUR

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Konfrontationstherapie bei psychischen Störungen


 

„Bedrohliche Hasen" – Konfrontationstherapie bei Panikstörungen
Peter Neudeck (S. 17-18)

Panikanfälle können im Kontext aller Angsterkrankungen, bei Zwangserkrankungen, aber auch bei Depressionen und anderen psychiatrischen Erkrankungen auftreten (Barlow et al., 1985; Reed & Wittchen, 1998; Goodwin & Hamilton, 2001; Goodwin et al., in press). Im Rahmen dieses Beitrags wird der Fokus auf die Behandlung von Panikanfällen bei der Diagnose Panikstörung ohne Agoraphobie (ICD-10: F41.0) gelegt. Es ist prinzipiell möglich, sofern keine Kontraindikation auf Grund der Ausschlusskriterien für Konfrontationsbehandlung vorliegt (vgl. Hand, 2001), die beschriebene Vorgehensweise auch in den Rahmen einer Therapie, z. B. von Panikstörung mit Agoraphobie, sozialen Ängsten, generalisiertem Angstsyndrom oder spezifischen Ängsten, einfließen zu lassen. Lediglich der situationale Kontext wird für jede Erkrankung verschieden sein.

1 Panikanfälle und Panikstörung

Ein Panikanfall ist nach DSM-IV (APA, 1998) ein abgrenzbarer Zustand intensiver Angst oder Unbehagens, der einhergeht mit einer Reihe körperlicher Symptome und typischen Kognitionen. Die Angst tritt plötzlich und („wie aus heiterem Himmel") scheinbar ohne Ursache in objektiv ungefährlichen Situationen auf und wird von den Betroffenen subjektiv oft als lebensbedrohlich erlebt. Ein Panikanfall beginnt abrupt, d.h. nicht vorhersagbar, erreicht innerhalb von einigen Minuten ein Maximum und dauert mindestens einige Minuten an (durchschnittlich ca. 30 Minuten, mit einer großen Streubreite) (Taylor et al., 1986; Margraf & Schneider, 1998).

Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) bezeichnet eine Angststörung, die durch situationsunabhängige Panikanfälle, Erwartungsangst und zu einem hohen Prozentsatz auch durch Vermeidungsverhalten charakterisiert ist. Bis zur Einführung des Klassifikationssystems DSM-III wurde die Panikstörung gemeinsam mit der Generalisierten Angststörung (GAS) häufig auch als „Angstneurose" bezeichnet. In den heute aktuellen Diagnosesystemen DSM-IV und ICD-10 bilden diese Erkrankungen sowie die Posttraumatische Belastungsstörung eine Gruppe der Angsterkrankungen; Spezifische, Soziale Angst und Agoraphobie bilden die andere Gruppe der (phobischen) Angsterkrankungen. Diese Einteilung wurde nicht auf ätiologischen Grundlagen, sondern aus epidemiologischen, neurobiologischen und therapeutischen Gründen so vorgenommen (Hand & Wittchen, 1986, 1988).

Anders als bei den phobischen Angststörungen werden bei der Panikstörung nicht bestimmte Orte oder Situationen gemieden; es handelt sich vielmehr um eine Vermeidung hauptsächlich interner körperlicher Reize, die einen Panikanfall auslösen könnten. Dies ist hinsichtlich der Durchführung von Reizkonfrontationen von erheblicher Bedeutung. Im DSM-IV wird dieser Tatsache Rechnung getragen, indem die Kriterien eines Panikanfalls den spezifischen Angststörungen vorangestellt sind. Unerwartete (nicht ausge löste) sowie situationsbegünstigte Panikanfälle (das Aufreten von Panikanfällen ist in bestimmten Situationen wahrscheinlicher) werden von situationsgebundenen Panikanfällen abgegrenzt. Unerwartete Panikattacken sind notwendig für die Diagnose einer Panikstörung, situationsgebundene Panikattacken sind charaktersitisch für andere Angststörungen (z. B. Spezifische und Soziale Phobien).

Die Lebenszeitprävalenz von klinisch diagnostizierten Panikstörungen liegt über verschiedene Kulturen hinweg zwischen 0,4 % (Taiwan) und 3,5 % (USA, National Comorbidity Survey) (Weissman et al., 1997). Für den deutschen Raum fanden Reed und Wittchen (1998) in einer Bevölkerungsstichprobe von insgesamt 3021 14- bis 24-jährigen Probanden eine Prävalenzrate von 1,6 %. Für die deutsche Gesamtbevölkerung im Alter von 18 bis 65 Jahren ergab sich im Bundesgesundheitssurvey für Frauen eine Lebenszeitprävalenz von 5,5 % und für Männer von 2,2 % (Jacobi et al., 2004). Panikstörungen können bereits in der Adoleszenz auftreten, die Hochrisikozeit für Panikstörungen liegt aber im frühen Erwachsenenalter. Dabei ergab sich im National Comorbidity Survey eine bimodale Ersterkrankungskurve mit einer ersten Hochrisikoperiode zwischen dem 15. und 24. Lebensjahr und einem zweiten Gipfel zwischen dem 45. und 54. Lebensjahr (Eaton et al., 1994). Der Verlauf ist unterschiedlich und variiert von – allerdings seltenen – kompletten Remissionen bis zu den häufigeren chronischen Verläufen.

An der Entstehung von Panikstörungen sind eine Vielzahl von Faktoren beteiligt, die von genetischen Einflüssen bis zu proximalen Ereignissen im Alltag reichen. Obwohl Panikstörungen familiär gehäuft auftreten, handelt es sich offensichtlich zumeist um familiär vermittelte Risikoerhöhungen (z. B. Modelllernen). Der Beitrag einzelner Gene ist als gering einzuschätzen. Studien legen nahe, dass es sich wahrscheinlich um solche Gene handelt, über deren Proteine Panikanfälle ausgelöst werden können. Es ist wahrscheinlich, dass eine unspezifische Vulnerabilität weitergegeben wird, die spezifische Ausformung der Störung jedoch von Umweltfaktoren beeinflusst wird (Scherrer et al., 2000; Andrews et al., 1990). Spezifische traumatische und kritische Lebensereignisse können das Risiko für Panikstörungen erhöhen. Gut belegt sind dabei Verlust/Trennung eines Elternteils, frühe emotionale Deprivation sowie sexueller Missbrauch (z. B. Kessler et al., 1997). Weitere etablierte distale Vulnerabilitäts- und Risikokonstellationen sind „Behavioral Inhibition" als Temperamentsvariable, Trennungsangst in der Kindheit sowie Substanzstörungen (z. B. Craske et al., 2001; Isensee et al., 2003; Wittchen et al., 2000). Den Verlauf der Erkrankung beeinflussen ferner Persönlichkeitsfaktoren, das Verhalten der Bezugspersonen und die Komorbidität mit anderen Störungen bzw. Folgeerkrankungen (Alkoholmissbrauch, Depression). Ohne therapeutische Intervention zeigten nur 14,3 % der Probanden einer Studie nach sieben Jahren Spontanremissionen (Wittchen, 1991).