Vom Erfahrenen zum Experten - Wie Peers die Psychiatrie verändern

von: Jörg Utschakowski, Gyöngyver Sielaff, Thomas Bock

Psychiatrie-Verlag, 2009

ISBN: 9783884147375 , 239 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 19,99 EUR

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Vom Erfahrenen zum Experten - Wie Peers die Psychiatrie verändern


 

"Betroffenenbeteiligung und außerstationäre Behandlung: Alternative oder Perspektive? (S. 168-169)

Erfahrungen der Berliner Krisenpension


Luciana Degano-Kieser

Milieutherapie, Soteria, Empowerment, Teilhabe und Inklusion sind wichtige Ansätze, die in den letzten Jahren zunehmend Eingang in die Fachdiskussion gefunden haben. In der Literatur sind immer wieder interessante und anregende Artikel darüber zu lesen, sodass sich die Frage stellt, warum in der Versorgungslandschaft so wenig von diesen Ideen umgesetzt wird. Bei der Berliner Krisenpension wurde der Versuch unternommen, diese Ansätze in ein Konzept zu gießen und in die Versorgungslandschaft zu integrieren.

Im Folgenden wird die Betroffenenbeteiligung in der gemeindeintegrierten Arbeit der Krisenpension von der Entstehung bis Mitte 2008 dargestellt. Der »Trialog« als Beteiligungskultur zwischen Betroffenen, Angehörigen und Professionellen (Bock/Buck 2000) und die Erfahrungen der Recovery- Bewegung (Amering/Schmolke 2007) waren entscheidende Grundlagen des Projektes. Diese Ansätze wurden von den Mitarbeitern eher »gelebt« als »geplant eingeführt«. Retrospektiv kann festgestellt werden, dass die Beteiligung der Experten durch Erfahrung zu den wichtigsten Ressourcen der Konzeptentwicklung gehörte.

Einführung


G. Thornicroft und M. Tansella (2004) unterscheiden drei Phasen in der Entwicklung der psychiatrischen Versorgungsstrukturen: die Entstehung des psychiatrischen Krankenhauses, die Auflösung der Anstalten sowie die Reform der Psychiatrie mit dem Aufbau von außerstationären Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten.

In den letzten Jahrzehnten kam es in der Bundesrepublik aufgrund vielfältiger Partikularinteressen und dem Fehlen einer klaren gesundheitspolitischen Zielsetzung zu einer Abschottung der einzelnen Leistungssektoren und zu einer hochgradigen Fragmentierung der Hilfen. Die Diskussionen wurden sehr kontrovers,teilweise auch recht polemisch geführt, so als ob es nur ein Modell für die psychiatrische Versorgung gäbe. Aus dieser Vereinfachung ergab sich eine Polarisierung der Debatte zwischen gegensätzlichen Vorstellungen: »short-term care« (Kurzzeitbehandlung) versus »long-term care« (Langzeitbehandlung), »inclusion« versus »exclusion« (Saraceno 2004).

Diese Dichotomie basiert auf historischen Konflikten, die noch heute die Auseinandersetzung um die institutionelle Rolle der Psychiatrie prägen. In der Praxis wurden innovative Projekte selten entwickelt. Noch seltener wurden psychiatrische Einrichtungen oder psychosoziale Interventionen evaluiert. D. Claasen und S. Priebe (2003) untersuchten den Stand psychiatrischer Versorgungsforschung im deutschsprachigen Raum in den Jahren 1999 – 2002 in einer systematischen Analyse von rund zweihundert Originalveröffentlichungen. Die Autoren stellten fest, dass kein einziger Beitrag über innovative Versorgungsansätze publiziert worden war.

Eine ähnliche Situation findet sich beim Thema »Betroffenenbeteiligung«, obwohl weltweit die Partizipation Psychiatrieerfahrener an der psychiatrischen Regelversorgung in den letzten zwanzig Jahren zunehmend an Wichtigkeit gewonnen hat. Das verwundert, zumal in Deutschland mehr als 130 Psychoseminare existieren (Bock/Priebe 2005) und das Konzept des »Trialogs« entwickelt wurde. Nach wie vor sind ambulante integrierte Angebote für Menschen mit schweren seelischen Problemen in Deutschland die große Ausnahme, während sich gemeindeintegrierte Dienste in den meisten westlichen Ländern in der regionalen Grundversorgung etabliert haben."