Die Widerstandskraft der Seele steigern - Wege zu innerer Stärke und mehr Wohlbefinden

von: Gaby Gschwend

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783844427684 , 109 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 12,99 EUR

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Die Widerstandskraft der Seele steigern - Wege zu innerer Stärke und mehr Wohlbefinden


 

|29|3 Selbstfürsorge praktizieren


Selbstfürsorge ist in der Alltagssprache ein wenig gebräuchlicher Begriff. Jedoch schon in der Bibel können wir lesen: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Die Bibel, Matthäus, 19,19) – liebe ihn also nicht weniger, aber auch nicht mehr als dich selbst.

Selbstfürsorge bedeutet, dass wir mit uns selber fürsorglich und sorgsam umgehen, dass wir für uns selber gut sorgen, nicht (nur) für andere, dass wir auch uns selber sorgfältig behandeln und umsorgen. Selbstfürsorge stärkt eine positive Verbindung zum eigenen Selbst, sie fördert das Wohlbefinden, die innere Zufriedenheit und das Spüren von Lebensqualität.

Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um eine selbstfixierte Selbstverliebtheit oder um einen völligen Rückzug auf sich selbst, vielmehr ist ein wertschätzender und freundlicher Umgang uns selbst gegenüber gemeint, der unser Selbst nährt und es auf diese Weise auch widerstandsfähig und gesund erhält. Selbst(für)sorge ist auch die Voraussetzung dafür, um authentisch und aus einer nicht bedürftigen, erwachsenen Position mit anderen Menschen in Beziehung zu sein.

Sich fürsorglich um sich selbst kümmern – in dieser Aussage wird offensichtlich, dass wir sozusagen zwei verschiedene Persönlichkeitsanteile in uns tragen, nämlich einen fürsorglichen Teil und einen, der der Fürsorge bedarf. Es gibt sowohl einen bedürftigen Teil in uns, der fürsorglich behandelt werden will, als auch einen fürsorglichen Teil, der den bedürftigen wahrnehmen und sich um ihn kümmern kann.

Häufig „vergessen“ wir den fürsorglichen Anteil, der sich um das eigene Selbst kümmern könnte und erwarten stattdessen Fürsorglichkeit von außen. Andrerseits spüren wir häufig auch die Verbindung zu unserem bedürftigen Teil nicht mehr und lassen unsere Fähigkeit zur Fürsorge ganz dem Außen, anderen Menschen und Aufgaben zukommen.

„Ich erlaube mir, dass es mir gut gehen darf“ oder „Ich erlaube mir, für mein Wohlbefinden zu sorgen“ – das nicht nur zu sagen, sondern auch |30|so zu spüren und in Handlungen umzusetzen, fällt, aus verschiedenen Gründen, oft schwer. Gründe dafür finden sich sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Wir sind in unserer frühen Kindheit darauf angewiesen, dass unsere Bedürfnisse durch fürsorgliche Bezugspersonen erkannt und befriedigt werden. Passiert dies in einem ausreichenden Maß, können wir lernen, einen eigenen inneren selbstfürsorglichen Teil zu entwickeln. Geschieht das nicht in einem ausreichenden Maß, dann lernen wir mit der Zeit, unsere instinktiven Impulse, körperliche Bedürfnisse und Gefühle zu unterdrücken, zu ignorieren oder einfach abzuschalten und können die Fähigkeit der Selbstfürsorge nicht entwickeln.

Ein weiterer Grund, dass Selbst(für)sorgeverhalten uns nicht einfach fällt, besteht darin, dass uns häufig gute Beispiele dafür in der Gegenwart fehlen. Je mehr gute Modelle mir als Kind (Mutter, Vater, Lehrer) zur Verfügung standen, und je mehr gute Modelle mir als Erwachsener (Vorgesetzte, Partner, Freunde) zur Verfügung stehen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit mir selbst einen liebevollen und fürsorglichen Umgang pflegen kann.

Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen hierfür häufig keine besonders guten Voraussetzungen: Früh schon werden wir im „Überlebensmodus“ sozialisiert, sollen leisten, uns gegen Konkurrenz behaupten können, sollen effizient sein. Der Arbeitsalltag ist von großen Anforderungen und häufig von Selbstausbeutung geprägt. Jeder soll jederzeit erreichbar sein, Kranksein wird medikamentös unterdrückt, Überstunden sind eher die Regel als die Ausnahme, alles ist auf Schnelligkeit und Effizienz getrimmt. Die seelische Selbstfürsorge ist kein gesellschaftlicher oder kultureller Wert.

Wir erleben also insgesamt häufig keine ideale Umgebung für die Selbstsorge und sicher ist es immer auch wichtig, sich auf gesellschaftlicher Ebene für gute Rahmenbedingungen einzusetzen. Für die persönlichen, die individuelle Ebene gibt es jedoch die gute Nachricht: Das erwachsene Selbst ist in der Lage, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen und kann sich aktiv für Selbstfürsorge entscheiden.

|31|3.1 Voraussetzungen der Selbstfürsorge


Selbstaufmerksamkeit und Wertschätzung des eigenen Selbst bilden die Bausteine, auf denen Selbstfürsorge erst möglich wird.

Selbstaufmerksamkeit: In der Selbstaufmerksamkeit stellen wir eine authentische Beziehung zum eigenen Selbst her, die vielleicht verloren ging oder noch nie so recht gefunden worden ist. Wir richten den Fokus unserer Aufmerksamkeit auf unsere innere Erfahrung, auf die Bedürfnisse und Wünsche des eigenen Selbst, und nicht, wie so häufig, auf die Außenwelt und auf deren Wünsche. Dies tun wir in der Absicht, eine Kenntnis von unserem Befinden und unseren Bedürfnissen zu gewinnen. Wir alle haben in uns einen „inneren Beobachter“, der uns Informationen über unsere Befindlichkeit liefert und der bedürftige Teile wahrnimmt. Er weiß und teilt uns mit was es ist, was wir jetzt brauchen, was uns gut tut, was uns stärkt, sei es körperlich, sei es seelisch, sei es sozial oder spirituell. Wir hören diese Stimme durchaus von Zeit zu Zeit (leise) in uns flüstern, schenken ihr aber häufig keine Aufmerksamkeit, ignorieren sie, nehmen sie nicht ernst, unterdrücken sie zugunsten von (vermeintlich) „Wichtigerem“.

Selbstwertschätzung: Schon gar nicht sind wir es gemeinhin gewohnt, uns selbst, der eigenen Befindlichkeit, unseren Bedürfnissen und Wünschen mit Freundlichkeit und Verständnis zu begegnen. Darum nehmen wir die Informationen, die wir von unserem inneren Beobachter erhalten, nicht ernst. Jedoch erst wenn wir diese inneren Informationen wahr- und ernst nehmen, schaffen wir einen Zugang zu unserem fürsorglichen Teil, der sich dann dem Teil in uns, der bedürftig ist und ein wohlwollendes und fürsorgliches Verhalten braucht, zuwenden und für ihn sorgen kann. Eine wertschätzend liebevolle Haltung gegenüber dem eigenen Selbst kann bewusst entwickelt und gefördert werden.

3.2 Formen der Selbstfürsorge


Selbstfürsorge bedeutet nicht, jederzeit nur Gutes für sich zu erfahren, aber mit der bewussten Aufmerksamkeit dafür, was mir gut tut, lassen |32|sich die inneren und äußeren Ressourcen erschließen, die es ermöglichen, innere Zerrissenheiten und äußere Herausforderungen zu bestehen.

Es gibt kein allgemeingültiges Rezept dafür, was dem Selbst gut tut, erst in der individuell gelebten Erfahrung wird spürbar, was sich gut anfühlt und uns wohltuend nährt. Grundsätzlich betrifft Selbstfürsorge alle menschlichen Seinsebenen und findet auf der körperlichen, der emotionalen, der mentalen, der sozialen und der spirituellen Ebene statt (Schmid, 2007), oder sie tut es eben nicht.

Körperliche Selbstsorge

Von den Möglichkeiten des fürsorglichen Umgangs mit sich selbst sind die körperlichen Möglichkeiten der Selbstsorge die fassbarsten. Der Körper kann vieles „verarbeiten“, was die Seele belastet. Wir alle wissen, wie gut es tut, Stress und innere Spannungen mit physischen Aktivitäten abzubauen, z. B. in Form einer sportlichen Tätigkeit oder im Bedürfnis „laufen zu gehen“, aber auch, indem wir uns nach einem warmen Bad innerlich entspannt und gereinigt fühlen. In diesem Sinne dient die körperliche Selbstsorge auch der Pflege der Seele.

Was dem Körper gut tut:

  • Den Körper weder vernachlässigen noch sich exzessiv auf einen Körperkult fixieren.

  • Auf Signale des Körpers achten, sich schonen, statt den Körper auszubeuten. Die Balance zwischen Aktivität und Entspannung (Ferien, Pausen, Schlaf) halten. Ein Aktivierungsprogramm ist genauso wichtig wie ein Passivierungsprogramm für den Körper. Entwickeln und fördern Sie also bewusst auch die Fähigkeit und die Gelegenheiten zu Muße und Entspannung.

Emotionale Selbstsorge

Die Reichhaltigkeit aller unserer Gefühle trägt zu einem erfüllten Leben bei, eingeschlossen die lästigen „negativen“ Gefühle. Wir sind freudig |33|und traurig, zufrieden und unbefriedigt, vertrauensvoll und ängstlich, leidenschaftlich und gleichgültig und vieles mehr. Es gibt nie einen anhaltenden, einen statischen Zustand des Sich-Wohlfühlens. „Negative“ Gefühle sollten wir nicht unterdrücken wollen, denn auch sie sind wichtig für die Lebensbewältigung und für unser seelisches Wachstum. ...