Märkte als soziale Strukturen

von: Jens Beckert, Rainer Diaz-Bone, Heiner Ganßmann

Campus Verlag, 2007

ISBN: 9783593413150 , 336 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 24,99 EUR

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Märkte als soziale Strukturen


 

Die Wirtschaftssoziologie hatte in Deutschland einen ihrer wichtigsten Entstehungsorte.
Nachdem sie in der Nachkriegszeit an Bedeutung verloren hatte,
rückt sie seit den neunziger Jahren wieder in das Zentrum soziologischer Forschung.
Betrachtet man die im vorliegenden Band versammelten Beiträge, so
zeigt sich darin der Aufschwung der Wirtschaftssoziologie auch in Deutschland.
Aus Sicht der Wirtschaftssoziologie wie auch der internationalen Gemeinschaft
der Sozialwissenschaftler ist dies eine begrüßenswerte Entwicklung.
Wie könnte man einen solchen Prozess besser in Gang bringen als mit
einem Band über die Soziologie der Märkte? Die Wirtschaftssoziologie entstand
wie die moderne Ökonomie aus dem Versuch heraus, zu verstehen, was der
Gesellschaft im 19. Jahrhundert widerfuhr, als die Marktwirtschaft mit großer
Heftigkeit einsetzte. Dies gilt für die Arbeiten von Karl Marx (den einige als den
Begründer der Wirtschaftssoziologie ansehen) und Max Weber (der den Begriff
Wirtschaftssoziologie einführte und als Erster ein systematisches Vorgehen für
diesen Ansatz vorlegte) gleichermaßen.
Die Beiträge von Marx und Weber zur Analyse des Marktes sind weiterhin
Grundlagenwerke von ungebrochener Aktualität. Jedoch ist viel passiert seit
ihrer
Entstehung, nicht zuletzt in der wirtschaftssoziologischen Betrachtung
von Märkten. Den wohl wichtigsten Beitrag in der Zeit zwischen den Weltkriegen
leistete Joseph Schumpeter, der eine Theorie zur Rolle des Unternehmers in
der Marktwirtschaft aufstellte. Formal ist diese Theorie der von Schumpeter
selbst so genannten Wirtschaftstheorie zuzuordnen, doch steht sein Ansatz der
Unternehmeranalyse in vielerlei Hinsicht der Soziologie mit ihrem Interesse an
Normen und sozialen Strukturen nahe. Ebenso bezeichnet Schumpeter die Wirtschaftssoziologie
explizit als einen wichtigen Teil des weiten Feldes der Ökonomik
oder - wie er sie lieber nennt - Sozialökonomik.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges lieferte Karl Polanyi den Hauptbeitrag
zur Soziologie der Märkte. In The Great Transformation (1957 [1944]) skizziert er
das zerstörerische Potenzial des Marktes und legt darüber hinaus nahe, dass eine
gut funktionierende Marktwirtschaft in die gesamte Gesellschaft eingebettet
sein und sich unter politischer Kontrolle befinden muss. In anderen Schriften
stellt Polanyi neue theoretische Instrumente für Wirtschaftssoziologen vor. Er
weist darauf hin, dass neben der auf Tausch basierenden Marktwirtschaft auch
andere, auf Reziprozität und Umverteilung basierende Wirtschaftsformen möglich
sind. Ebenso verdeutlicht Polanyi, dass alle diese drei Arten wirtschaftlicher Betätigung
Bestandteile der modernen Wirtschaft sind. Während im Unternehmenssektor
beispielsweise der Tausch vorherrscht, ist das Wirtschaften der privaten
Haushalte von Reziprozität geprägt und das des öffentlichen Sektors von
Umverteilung.
Dies bringt uns in die Gegenwart und zu jener Entwicklung, die Mitte der
achtziger Jahre als »neue Wirtschaftssoziologie« ihren Anfang nahm: Vertreter
der neuen Wirtschaftssoziologie begannen, sich dem Phänomen Markt von
verschiedenen
Seiten zu nähern, insbesondere mittels der Netzwerktheorie, der
Organisationssoziologie
und der Kultursoziologie. So kann man etwa die Interaktionsstruktur
von Märkten mithilfe der Netzwerktheorie beschreiben. Auch
kann man einen Markt als Organisationsform ansehen, darüber hinaus sind
die Akteure auf einem Markt oft selbst Organisationen. Und schließlich setzt
Marktverhalten in vielerlei Hinsicht Kulturverständnis voraus und greift darauf
zurück.
Einige der prominentesten Vertreter der aktuellen wirtschaftssoziologisch
geprägten Marktanalyse haben zum vorliegenden Band beigetragen. Die Einführung
zu den einzelnen Kapiteln möchte ich jedoch den Herausgebern überlassen
und stattdessen auf den nächsten Seiten das Phänomen Markt in einer
allgemeineren Form erörtern. Das ist notwendig, weil trotz all der wichtigen
Beiträge, die zum besseren Verständnis des Marktes bereits geleistet worden
sind, immer noch einiges unklar ist. Dies wird deutlich, wenn man die Fragen
stellt: »Was genau ist ein Markt?« und »Was genau macht ein Markt?«.
Um diese Fragen beantworten zu können, muss man verstanden haben, was
mit dem Begriff Markt eigentlich gemeint ist. Wie wir gleich sehen werden, wird
dieses Verständnis dadurch erschwert, dass der Begriff historisch zwei unterschiedliche
Bedeutungen hat. Hinzu kommt, dass er im Lauf der vergangenen
Jahrzehnte politisch aufgeladen worden ist.
Beginnen wir mit den beiden Bedeutungen. Der Begriff »Markt« bezeichnet
zunächst einmal ein Gebiet, auf dem Tausch stattfindet. Er wird aber ebenso als sozialer
Mechanismus für wirtschaftliches Wachstum verstanden, oder, wie die Ökonomen
es ausdrücken, als Mechanismus zur effizienten Ressourcenallokation. Diese
beiden Bedeutungsgruppen sind offensichtlich sehr verschieden. Während die
eine betont, was hauptsächlich quasi innerhalb des Marktes passiert, hebt die an
dere hervor, was vor allem außerhalb des Marktes geschieht, oder, genauer gesagt,
wie der Markt in den Wirtschaftsprozess eingebunden ist.
Da der Begriff »Markt« auch im öffentlichen und politischen Diskurs so
wichtig geworden ist, plädiere ich dafür, bei der Diskussion seiner Bedeutung
zunächst seine ideologische Verwendung zu betrachten. Auf den ersten Blick
erkennbar, enthalten die meisten modernen politischen Weltbilder, vom rechten
bis zum linken Spektrum, Bezüge zum Markt. Libertäre vertreten eine Meinung,
Kommunisten eine andere und so weiter.