Evidenzbasierte Medizin in Anästhesie und Intensivmedizin

von: R. Kuhlen, R. Rossaint

Springer-Verlag, 2007

ISBN: 9783540299462 , 337 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Evidenzbasierte Medizin in Anästhesie und Intensivmedizin


 

4 Postoperative Übelkeit und Erbrechen (S. 53-54)

Einleitung

Übelkeit und Erbrechen nach Narkosen werden meist als PONV ("postoperative nausea and vomiting") abgekürzt. Diese aus dem Englischen stammende Bezeichnung betont zwar höchstwahrscheinlich zu Unrecht die Bedeutung des operativen Eingriffs, soll hier aber zur Vermeidung von Missverstandnissen beibehalten werden. Auch heute leiden noch immer ca. 30% aller Patienten unter PONV [40], das somit, nach dem postoperativen Schmerz, die zweithaufigste postanasthesiologische Komplikation darstellt. Die klinische Bedeutung wird unterschiedlich eingeschatzt: Zwar ist PONV in der Regel selbstlimitierend und extrem selten mit ernsthaften Komplikationen behaftet. Andererseits:

a) Für Patienten ist die Vermeidung von PONV genauso wichtig wie die Vermeidung von Schmerzen.
b) Schwerwiegende Komplikationen wie z. B. Atemwegsobstruktion oder Aspirationspneumonie sind fur Betroffene sehr wohl relevant, auch wenn sie selten auftreten.
c) Die durch PONV verursachten Kosten gewinnen immer mehr an Bedeutung.

Im Folgenden soll daher das gegenwärtig gesicherte Wissen im Sinne der "Evidence-based Medicine" erortert sowie zur Klarstellung auf bestehende Irrtumer und Kontroversen hingewiesen werden. Nach kurzer Darstellung des pathophysiologischen Wissens uber das Erbrechen werden die klinisch relevanten Risikofaktoren dargestellt. Darauf aufbauend wird ein etablierter Risikoscore zur Einschatzung des PONV-Risikos beschrieben, der eine risikoadaptierte Prophylaxe ermoglicht. Sofern möglich, sollen das Evidenzniveau und die "strengths of recommendation" gemäß der "levels of evidence" nach Phillips et al. Anwendung finden.

Für Therapien oder Praventionen entspricht Level 1 einem quantitativen systematischen Review ("quantitiative systematic review = metaanalysis") von randomisierten kontrollierten Studien ("randomized controlled trial = RCT") oder einem großen RCT mit engem Konfidenzintervall. Level 2 bezieht sich auf Kohortenstudien ("cohort studies"), Level 3 auf Fallkontrollstudien ("case-control studies"), Level 4 auf Fallbeschreibungen, und Level 5 auf Expertenmeinung.

Da bei Risikofaktoren oder Risikomodellen eine Intervention bzw. Randomisierung nicht möglich ist, findet hier eine andere Klassifizierung Anwendung: Level 1 enspricht systematischen Ubersichtsarbeiten ("systematic review = SR") valider Kohortenstudien bzw. Validierungen von Risikomodellen in mindestens einer Population. Level 2 entspricht retrospektiven Kohortenstudien, Level 3 ist nicht definiert, Level 4 entspricht Fallbeschreibungen, und Level 5 entspricht wiederum einer Expertenmeinung.

Abhängig von den Ergebnissen der Studien unterschiedlicher Levels of Evidence lassen sich sog. "grades of recommendations" ableiten. "Grade A" bezieht sich auf Level-1-Studien, "Grade B" auf Level-2- und -3-Studien oder Extrapolationen von Level-1-Studien, "Grade C" auf Level-4-Studien oder Extrapolationen von Level-2- oder .3-Studien, und "Grade D" auf Level-5-Studien oder ernsthaft diskrepante oder unklare Studienergebnisse, unabhangig vom Level.

Bedeutung der Evidence-based Medicine für PONV

Die Evidence-based Medicine (EBM) soll zu einem gewissenhaften, klaren und vernunftigen Gebrauch des gegenwartig gesicherten Wissens bei der Behandlung von Patienten führen. Dabei sollen systematische Übersichtsarbeiten mit klar definierter Fragestellung und Suchstrategie eine möglichst objektive Bewertung aller verfugbaren Informationen ermoglichen ("systematic review"). Liegen hinreichend viele randomisierte, kontrollierte, verwertbare Studien vor, kann eine Metaanalyse sogar eine wesentlich genauere Schatzung des Behandlungseffekts liefern ("quantitative systematic review").