Management im Gesundheitswesen

von: Reinhard Busse, Jonas Alexander Schreyögg, Ch. Gericke

Springer-Verlag, 2006

ISBN: 9783540294658 , 460 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 46,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Management im Gesundheitswesen


 

Kapitel 3 Kundenmanagement (S. 152)

3.1 Kundenmanagement im Gesundheitswesen – Einführung und methodische Grundlagen

Jonas Schreyögg und Christian Gericke

Marketing ist im Gesundheitswesen eine relativ junge Erscheinung. Noch in den 1960er Jahren und 1970er Jahren wurde einer Kundenorientierung im Gesundheitswesen wenig Bedeutung geschenkt, da die Nachfrage ohnehin das Angebot überstieg und die Anbieter im Gesundheitswesen eher mit einer Ausweitung ihrer Kapazitäten beschäft igt waren. Als Reaktion auf die ersten Kostendämpfungsmaßnahmen und der damit einhergehenden Verknappung der Ressourcen bzw. dem entstehenden Wettbewerb unter den Anbietern in den USA, wurde Ende der 1970er Jahre das »Health Care Marketing« geboren, das einige Jahre später auch in Deutschland Einzug hielt (O’Connor and Prasad 2000, S. 69ff .). Die traditionellen Ansätze der Marketingtheorie stoßen jedoch in vielen Bereichen des Gesundheitswesens auf Schwierigkeiten. Neben dem Unoactu- Prinzip, d. h. dem zeitlichen Zusammenfall von Leistungserstellung und -inanspruchnahme, das auch für andere Dienstleistungen gilt (vgl. Kleinaltenkamp 2001), ist die Leistungserbringung im Gesundheitswesen von einigen Besonderheiten gekennzeichnet, die wichtige Implikationen für das Kundenmanagement haben.

Besonderheiten von Gesundheitsleistungen

  • Ausgeprägte Informationsasymmetrie in der Arzt-Patient-Beziehung
  • Kosten für falsche Entscheidungen auf Seite des Kunden sind extrem hoch (Behinderung oder Tod)
  • Kundenpräferenzen sind für medizinische Kernleistungen relativ homogen
  • Third Party Payer Systeme in Form der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung (oder entsprechender Sicherungssysteme)

Informationsasymmetrien und die dadurch resultierenden Principal-Agent-Problematik bestehen in einigen professionellen Kunden-Dienstleister- Beziehungen, z. B. auch beim Rechtsanwalt oder beim KFZ-Mechaniker. Die Besonderheit in der Arzt-Patient-Beziehung besteht im Ausmaß der Asymmetrie und durch die extrem hohe Komplexität der medizinischen Informationen und der Informationsgewinnung. Um medizinische Informationen zu verstehen, ist ein breites Wissen nötig, das im Medizinstudium und während der nachfolgenden mehrjährigen ärztlichen Weiterbildung erworben wird. Allerdings sind die Prozesse so komplex, dass auch der einzelne Arzt sich für Fragestellungen, die außerhalb seines Fachgebietes liegen, Informationen erarbeiten muss und selbst dann die Diagnose und Th erapie lieber einem Spezialisten dieses Faches überlässt, da ihm oder ihr die nötige klinische Erfahrung in diesem Bereich fehlt.

Dies führt zu dem Phänomen der Überweisung, welches bei KFZ-Mechanikern oder Rechtsanwälten selten zu beobachten ist. Die Informationsasymmetrie ist u. a. auch der Grund dafür, dass die Zielgruppe der Arzneimittelindustrie die Ärzte und nicht die Patienten sind. Mit dem Directto- Consumer (DTC)-Marketing für verschreibungspfl ichtige Medikamente und der Strategie des Rx- OTC-Switch, d. h. der Befreiung von Arzneimitteln aus der Verschreibungspfl icht, wurden jedoch neue Strategien entwickelt, um den Patienten als Kunden direkt adressieren zu können (7 Kap. 3.6).

Die zweite Besonderheit sind die hohen Kosten, die mit falschen Entscheidungen verbunden sind, und bis zu lebenslangen Behinderungen und Tod reichen können. Bei den meisten Produkten und Dienstleistungen außerhalb des Gesundheitswesens können Kunden aus früheren Entscheidungen lernen: einen Schokoladenriegel, der nicht schmeckt, wird beim nächsten Mal nicht mehr gekauft . Dieses klassische Charakteristikum von sog. Erfahrungsgütern ist im Gesundheitswesen häufi g nicht gegeben. Wenn man sich für den falschen Chirurgen entscheidet, bekommt man u. U. keine zweite Chance, unbeschädigt dieselbe Operation zu versuchen oder man erfährt den Nutzen der Dienstleistung gar nicht. Deshalb werden viele im Gesundheitswesen erbrachte Dienstleistungen als Vertrauensgüter bezeichnet.