Fuck the Möhrchen - Ein Baby packt aus

von: Barbara Ruscher

Aufbau Verlag, 2013

ISBN: 9783841206800 , 240 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 8,99 EUR

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Fuck the Möhrchen - Ein Baby packt aus


 

1. Ich bin dann mal da


Bin noch im Bauch. Draußen schreit eine Frau. Hört sich an wie Tina Turner auf Ecstasy.

Will hier nicht raus.

Sie schreit weiter.

Will ihr sagen, mit Schreien erreiche man gar nichts. Jetzt schreit sie mich an. Heiße wohl PDA.

Origineller Name, klingt nicht schlecht. Die Hebamme heißt Gudrun-Rudolf-Steiner Wiebkötter und sagt, für die PDA sei es schon zu spät.

Ich horche auf.

Muss raus und sehen, was da los ist.

Vorsorglich packe ich mir ein Stück Mutterkuchen ein.

Sehe Licht am Ende des Tunnels und warte auf den Bus.

»Kommt mal wieder nicht, Fahrplanänderung oder wegrationiert, oder was ist hier los«, murmelt der Mutterkuchen, »scheiß Gesundheitsreform, gerade jetzt.«

»Gemecker bringt jetzt auch nichts«, sage ich unwirsch, »wir müssen uns beeilen!«

Doch er ist bockig und stellt sich tot.

Ich aber kann jetzt keine Rücksicht nehmen und rutsche alleine und bauchwärts den Weg entlang. Komme kaum vorwärts, es ist viel zu eng hier drin und irgendwie unheimlich. Tatsächlich fühle ich mich wie im Dschungelcamp und rechne mit Spinnen, Emus und C-Prominenz.

Plötzlich erfasst Luft mein spärliches Haar. Jemand nimmt meinen Schädel zwischen beide Hände. Wow. Geboren und sofort frisiert werden, ich gebe zu, dass mir diese Welt spontan gefällt.

Schwupps bin ich draußen und mache die Augen auf.

Als Erstes sehe ich einen bleichen Mann mit blutroter Nase, der am Boden liegt.

Das ist der erste Mensch, den ich sehen kann, denke ich beglückt, und er ist mir auf Anhieb sympathisch. Nein, mehr noch, eine riesige Woge der Zuneigung überschwemmt meine kleine Seele.

Wer um Himmels willen ist das?

Vermutlich ein Krankenhausclown, der sich kurz ausruht, denke ich voller Anteilnahme. Plötzlich aber kommt Leben in ihn, und er ruft gerührt: »Ich bin dein Papa, da bissu ja endlich, meine kleine Prinzessin!«

Großartig, denke ich, habe ich ein Glück, mein Papa scheint ein toller Kerl zu sein und noch dazu ein König – ich hätte es wirklich schlechter treffen können.

Dann sehe ich mich erst mal in unserem Palast um und schreie entsetzt los, denn die Wände hat Gudrun-Rudolf-Steiner Wiebkötter in gebärmutterfarbenem Rosa gestrichen  – zum Glück bin ich ein Mädchen, sonst müsste ich mit Sicherheit sofort schwul werden.

Das nenne ich frühkindliche Prägung. Liebe Güte, wahrscheinlich werden Jungs in diesem Land direkt umgebracht.

»Oder an katholische Priester in St. Pölten verkauft«, brummt der Mutterkuchen, der mittlerweile auch den Weg nach draußen gefunden hat.

Alle schauen mich liebevoll an und weinen, nur die Anthroposophen-Hebamme nicht. Spontan beschließe ich, sie zu hassen, da richtet sich eine Kamera auf mich, und alle weinen weiter, die hören gar nicht mehr auf zu weinen, offensichtlich bin ich hässlich. Vielleicht bin ich aber auch die Wiedergeburt von Elvis. Schreie direkt ein »Muss i denn, muss i denn ...« auf einem einzigen Vokal.

Das hat vor mir anscheinend noch keiner gemacht, denn es kommt enorm gut an, sogar mein bleicher lieber Papa stillt behände seine Nasenblutung und klatscht begeistert auf eins und drei.

Nur die Hebamme findet, dass ich nun fertig mit Singen sei, und stopft mir die Brustwarze einer Frau in den Mund.

Was soll das denn, frage ich mich, da schwant es mir: Das ist meine Mama!

Papa nennt sie allerdings immer »Du-hast-es-geschafft-mein-Schatz«.

Wär mir zu lang.

»Meine Mama«, seufze ich.

Ich bin völlig von den Socken und schenke ihr einen liebevollen Blick. Lächeln kann ich leider noch nicht, doch das  übernimmt sie für mich, und ich habe das Gefühl, es strahlen tausend kleine Sonnen aus ihren Augen heraus. Begeistert taufe ich sie lautstark »Wäh«, und sie weint vor Freude.

Ein Mann in Weiß kommt nun herein und näht Mama untenrum zu, vermutlich soll ich Einzelkind bleiben.

Im Moment ist mir das egal. Ich bin einfach glücklich.

Nach einer halbe Stunde inniger Zusammenkunft reißt mich die Hebamme aus den Armen meiner Mama und meint, sie müsse mich jetzt wiegen und messen, und das Baden könne ja der Papa übernehmen. Engagiert sagt er, klar, das sei kein Problem, das könne er gerne machen  – doch ich sehe in seinen Augen einen Hauch von Angst und weiß nicht, ob sie sich auf das ungewohnte Badeerlebnis oder die Anwesenheit der argusäugigen Hebamme bezieht.

Die nämlich beginnt unverzüglich mit dem Prozedere und verkündet das Ergebnis der Messung.

Zweiundfünfzig Zentimeter und drei Komma sieben Kilo, das sei ja sensationell, ruft Papa voller Elan in Richtung Gudrun-Rudolf-Steiner Wiebkötter, das habe sein strammes Mädchen aber fein gemacht.

Die Hebamme guckt empört.

Papa wird rot und ergänzt, er meine natürlich seine Mia, das habe sie doch gut gemacht, aber Heike auch, und Heike lacht, ja, das sei dem Naturjoghurt geschuldet, den sie sich säckeweise reingeschaufelt habe.

Und auch dem Eis, das ich dir nachts von der Tanke habe besorgen müssen, ruft Papa, ob sie das noch wisse, erst Paprika, aber um Gottes willen nur die gelbe, dann Lasagne, obwohl man da nie wisse, was drin sei, ob Rind, Pferd oder Känguru, und dann das Eis, er habe damals gedacht, sie habe sie nicht mehr alle, sie solle ihm nicht böse sein, aber jetzt sähe man ja, dass ihr das gutgetan habe, seiner Mia, richtig schön propper sei sie geworden und alles sei dran.

Die Hebamme verdreht die Augen und lässt das Badewasser ein. Papa krempelt sich die Ärmel hoch, nimmt mich in seine Arme und legt mich vorsichtig in die warme Brühe – mh, ich weiß nicht, ob mir das gefallen soll, denn das Fruchtwasser war irgendwie weicher und wärmer, doch er ist sich ganz sicher und säuselt: »Ja, fein, liebe Mia, daaas macht Spaß, oder? Plitsche, platsche, gleich bist du sauber, huch, nicht so spritzen, oder willst du mal Feuerwehrfrau werden, haha, ein Scherz, Humor ist nämlich wichtig im Leben, liebe Mia«, und Frau Wiebkötter fragt er: »Ich habe ein bisschen Angst, dass sie mir absaust, was soll ich tun?«

»Keine Sorge«, sagt die Hebamme trocken, »das machen Sie schon. Nun ist es aber auch gut, hier ist das Handtuch, und auch das Köpfchen schön einwickeln und immer stützen, sonst knickt das ab.«

Bevor er mich schnappen kann, pullere ich noch schnell ins seichte Wasser – ein herrliches Gefühl, das ich mir unbedingt merken muss. Ich hoffe inständig, dass es in meinem Leben noch haufenweise Gelegenheiten geben wird, bei denen ich das wiederholen kann. Dann werde ich mich immer an diesen einen Moment zurückerinnern, in dem mein Papa mich zum ersten Mal gebadet hat.

Hach – die Welt ist schön.

~

Zu meinem Entsetzen wache ich nach meinem ersten Schlaf außerhalb des Mutterleibs nicht alleine auf. Neben mir liegt eine vollständig behaarte Gestalt mit einem Knopf im Ohr und grinst mich an. Meine Eltern beugen sich über die Wiege und grinsen auch.

Ich fasse es nicht. Mama und Papa haben mich heimlich verheiratet.

Ich verstehe die Welt nicht mehr – erst tun sie so nett, und dann verschachern sie mich skrupellos an den Nächstbesten. Will sofort hier weg, kann mich aber nicht drehen und verharre verzweifelt in meiner Rückenlage.

Meine Bewegungsunfähigkeit macht mich noch wahnsinnig.

War der Haarige etwa die ganze Nacht bei mir, und warum grinst der so, frage ich mich und versuche hektisch, mich an den letzten Abend zu erinnern. Vermutlich hatte ich zu viel gesoffen, es gab dieses weiße Zeug aus Mamas warmer Brust, immer weiter wurde mir das mit diesem unwiderstehlichen Lächeln angeboten, da kann man doch nicht nein sagen, aber wer weiß, was in dieser ersten Milch alles drin war, und dann kompletter Filmriss und zack, bist du verheiratet, so schnell kannst du gar nicht gucken. »Wie konntet ihr nur«, schreie ich wütend und enttäuscht, »ich bin doch gerade erst auf der Welt und jetzt schon Hochzeit, wie soll denn das weitergehen, heute Nachmittag dann ins Seniorenheim und abends Wiedergeburt oder was«, doch keiner reagiert.

Alle lächeln weiter und sagen: »Dududu, feinifeinifeini, guckguckguckguck, ja wo isse denn, die Süüüße.«

Nur das braune Ganzkörpertoupet neben mir bemerkt trocken: »Wiedergeburt, warum nicht, im Krankenhaus sind wir ja schon.«

»Für die Witze bin ich hier zuständig«, stelle ich unmissverständlich klar und rufe Mama zu, dass sie mir eine Erklärung schulde, ich hätte sie doch schließlich lieb und sie mich angeblich doch auch, aber sie lächelt nur glücklich und kitzelt mich neckisch am Kinn. Daraufhin wende ich mich an Papa mit der Bitte um schnelle Rückmeldung, doch er zählt ignorant meine Finger und Zehen und sagt begeistert, dass alles dran sei, sogar richtige Nägel.

»Die hören dich nicht«, sagt mein gepiercter Bettnachbar und feilt sich gelassen die Tatzen.

»Das merke ich auch«, rufe ich und schreie lauter.

»Die hören dich nicht«, wiederholt er hartnäckig.

Ich finde ihn arrogant und brülle: »Die haben nur grad keine Zeit! Meine Eltern lieben mich und würden mich nie hängenlassen, dass das klar ist!«

Teddy schweigt.

»Die werden mich schon hören!«, setze ich nach und versuche, an die Vuvuzela ranzukommen, ein Geburtsgeschenk unserer afrikanischen Zimmernachbarin.

»Die verstehen dich nicht«, wiederholt er penetrant, »Erwachsene sprechen keine...