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Europäische Textsortennetze – eine translatorische Annäherung (S. 43-44)
Larisa Schippel, Berlin
Am Beginn der folgenden Überlegungen steht die mit E. Coseriu geteilte Überzeugung, dass der Gegenstand übersetzungswissenschaftlicher Fragestellungen der Text und nicht die Sprache ist. Beim Dolmetschen wie beim Übersetzen, ebenso wie bei der Lokalisation von Web-Seiten werden Texte übertragen. „Es geht also nicht einfach darum, dass „Wörter" nicht übersetzt werden. Man muss vielmehr sagen, dass einzelsprachliche Inhalte als solche nicht „übersetzt" werden; mehr noch: dass die Übersetzung überhaupt nicht die Ebene der Einzelsprachen, sondern die Ebene der Texte betrifft (...). Nur Texte werden übersetzt; und die Texte werden nicht mit sprachlichen Mitteln allein erzeugt, sondern zugleich, in verschiedenem Maß, auch mit Hilfe von außersprachlichen Mitteln. Das ist das Grundprinzip, von dem alles Übrige bei der Übersetzung (und daher auch in der Übersetzungstheorie) abhängt."
1. Sinn und Form
Die übersetzerische Praxis wie auch die Translationstheorie kreisen nach meinem Dafürhalten nun um zwei zentrale Fragestellungen: Das sind die Frage nach dem Sinn des Textes und die Frage nach seiner Form. Bei der Interpretation des Sinns werden Anleihen bei den Nachbardisziplinen aufgenommen, sei es die Literaturwissenschaft, die Hermeneutik, die Philologie. Im Hinblick auf die Textform liefert die textlinguistische Forschung für den Translationswissenschaftler wichtige Ergebnisse hinsichtlich der (kulturspezifischen) Gestaltung der Textform. Kirsten Adamzik konstatiert nun – wie ich meine zu Recht – ein allgemeines Unbehagen an der Textsortenforschung und plädiert für eine Abkehr von der weit verbreiteten Untersuchung hoch standardisierter Kleinformen wie Kochrezept, Wetterbericht, Todesanzeige etc. Hier wer de einseitig vor allem der Aspekt der Rekurrenz in den Mittelpunkt gestellt. Abgesehen davon, dass diese Untersuchungen für die Translationswissenschaft nicht sonderlich ergiebig sind – wer übersetzt schon Todesanzeigen?, ist aber auch aus der Sicht der Textsortenforschung Adamziks Kritik zuzustimmen, dass Ergebnisse mitunter eher trivial sind.
Aussichtsreich ist die in Gang kommende Beschäftigung mit Textsortennetzen, die davon ausgeht, dass Texte und Textsorten (...) nicht verbindungslos nebeneinander (stehen), sondern (...) ein Gesamtsystem (bilden), innerhalb dessen sie einen bestimmten Platz und Stellenwert haben".2 Josef Klein hatte bereits 1991 festgestellt, dass die bisherige Textsortenforschung vergleichend und subsumierend sei, und kritisiert, dass diese „methodische Fixierung auf das Vergleichen und Subsumieren (...) den Blick für andere Relationen getrübt (habe) – und zwar gerade für diejenigen Relationen, die in der kommunikativen Wirklichkeit zwischen Textsorten fungieren. Wenn Textlinguist(inn)en feststellen, dass z.B. die Textsorten x und y zur Textsortenklasse Erzähltexte gehören, oder wenn sie die Ausprägung eines bestimmten Sets von Merkmalen bei den Textsorten 1-n vergleichen, dann wird der Zusammenhang zwischen ihnen erst in der wissenschaftlichen Analyse konstituiert. Demgegenüber bestehen – etwa zwischen den Textsorten ‚Gesetzesentwurf’ und ‚Ausschussbericht’ im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens oder zwischen Werbeprospekten und Zeitungsanzeigen im Rahmen eines Wahlkampfes – funktionale Zusammenhänge vor und unabhängig von wissenschaftlicher Analyse."
Klein plädiert daher für einen methodischen Wechsel zur Untersuchung der funktionalen Verknüpfung von Textsorten innerhalb von Interaktionssystemen.
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