Gedächtnis, Kultur und Politik

von: Ingeborg Siggelkow (Hrsg.)

Frank & Timme, 2006

ISBN: 9783865960573 , 152 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Gedächtnis, Kultur und Politik


 

Wolfgang W. Timmler
Hitlers Hut – Das Schillerdenkmal im Norden Berlins (S. 55-56)

Im November 1940, ein Jahr nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen, kam der Film "Friedrich Schiller Der Triumph eines Genies" in die deutschen Kinos. Der Kostümfilm, mit Horst Caspar in der Titelrolle, Heinrich George in der Rolle des Herzogs Karl Eugen von Württemberg und Lil Dagover in der Rolle der Franziska von Hohenheim, schildert die Sturm- und Drangzeit des Dichters, sein Studium an der Karlsschule, sein Aufbegehren, seine Flucht und seinen ersten Bühnenerfolg. Schiller steht als Figur für den Wagemut, den Aufbruch in eine neue Zeit. Dass die neue Zeit den Räubern gehört, erzählt der Film nicht/1/.

Das Schillerdenkmal im Bezirk Wedding: Das Standbild zeigt den Dichter auf hohem Sockel, mit lorbeerbekränztem Haupt und antiker Schriftrolle. Vier weibliche Figuren sitzen ihm zu Füßen, die Lyrik, die Dramatik, die Philosophie, die Kultur- und Geistesgeschichte. Nichts deutet darauf hin, dass das Denkmal eine Konterbande des nationalsozialistischen Regimes ist.

Seit 1941 steht der Bronzenachguss des Schillerdenkmals von Reinhold Begas von 1869 im ersten modernen Volkspark Berlins/2/. Die Wahl des Standorts war kein Zufall. Der Landschaftspark trug von Anfang an den Namen des Dichters, doch viel bedeutsamer war für das Regime, dass er in einem politisch linken Arbeiterbezirk lag. Mit dem Standbild konnten die Nationalsozialisten, die auch die Weimarer Klassik für ihre Ziele benutzten, nun ein, zumindest der äußeren Form nach, unverfängliches Zeichen der Macht setzen/3/. Die Kopie des Schillerdenkmals sollte nicht nur den ideologischen Gegner einschüchtern, sondern auch den Schülern, die auf der großen Parkwiese ihre Turnübungen machten, gehörigen Respekt einflößen. Mit der Figur des Dichters kam Hitlers Hut in den Volkspark. Dass dieses Herrschaftszeichen auf Kannibalismus beruhte, die Kopie des Denkmals verschlang nicht weniger als ein ganzes Kunstwerk, bekräftigte den räuberischen Charakter des Regimes.

Um das Schillerdenkmal besser zur Geltung kommen zu lassen, wurde die mächtige Terrassenanlage des Volksparks baulich verändert. Nichts sollte den Blick ablenken. Der plumpe Ziergiebel mit der Uhr wurde entfernt, die Brunnennische durch Kalksteinmauerwerk geschlossen. Zum Bildschmuck des Schillerparks ge hörte seit den zwanziger Jahren die Bronzeplastik "Ringer" von Wilhelm Haverkamp. Bei der Umgestaltung der festungsartigen Anlage musste die lebhafte Körperstudie von 1906 ihren Platz räumen und wurde in den benachbarten Volkspark Rehberge versetzt, wo sie leider etwas unglücklich am Wegesrand platziert heute noch steht/4/.

Den Mittelpunkt des größten Volksparks im Norden Berlins bildete seit 1930 die große Gedenkstätte von Georg Kolbe für Emil und Walther Rathenau. Nicht nur die politischen Gegner der Weimarer Republik, auch viele Kunstkritiker lehnten sie wegen ihrer technisch-abstrakten Formensprache ab. 1934 ließ das nationalsozialistische Regime die Gedenkstätte für den Gründer der A.E.G. und den Außenminister der Weimarer Republik schleifen. Die Bronzen der Anlage, das Brunnenbekken, der schraubenförmige Aufsatz von den Zeitgenossen als "Steuerschraube" und "Propellermaschine" verspottet sowie die beiden Portraitreliefs, kamen ins Depot des Gartenbauamts Wedding. Aus diesem Material wurde 1941 die Kopie des neubarocken Schillerdenkmals gegossen/5/.