Lüge als Prinzip - Aufrichtigkeit im Kapitalismus

von: Wolfgang Engler

Aufbau Verlag, 2010

ISBN: 9783841200464 , 219 Seiten

Format: ePUB, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Lüge als Prinzip - Aufrichtigkeit im Kapitalismus


 

Das Theater der Aufrichtigkeit Hommage an Michel Foucault (S. 61-62)

Philosophisches Geleit: Gorgias

Der Zweifel an der Brauchbarkeit der menschlichen Sprache für Verständigungszwecke ist alt. Auch innerhalb der europäischen Denktradition reicht er weit zurück. Ausgangs des fünften vorchristlichen Jahrhunderts zieht Gorgias ein erstes Resümee. Angenommen, es gäbe ein Seiendes (das es nicht gibt) und dieses Seiende wäre erkennbar (was es nicht ist), so ließe sich diese Erkenntnis den Mitmenschen gleichwohl nicht adäquat vermitteln. Denn erstens erlischt im Wort die lebendige Vorstellung der Dinge. Wie »könnte das [Ding] dem deutlich werden, der es gehört, aber nicht gesehen hat?

Denn gerade wie das Auge nicht die Töne wahrnimmt, so hört auch das Gehör keine Farben, sondern Töne. Und es spricht der Sprechende [Worte], aber keine Farbe und überhaupt kein Ding. Wovon jemand nun [überhaupt] keine Vorstellung hat, wie könnte er das von einem anderen vermittels eines Wortes oder irgendeines Zeichens, das doch von dem Dinge selber verschieden ist, geistig aufnehmen?«43 Wären die Vorstellungen im Wort mitteilbar, so bedeuteten sie zweitens für den Sprecher und den Hörer nicht dasselbe. »Denn es ist doch nicht möglich, daß dasselbe [Ding] zugleich in mehreren Personen, die voneinander getrennt sind, vorhanden ist!

Denn dann wäre ja das Eine zwei! Wenn es aber auch in mehreren Personen vorhanden und dasselbe wäre, so spricht doch nichts dagegen, daß es ihnen nicht gleich erscheint, wenn sie nicht in jeder Hinsicht gleich sind und in demselben [Körper]. Denn wenn es so wäre, dann wäre es eine einzige, aber nicht zwei Personen!« Die Worte sind nicht die Dinge und repräsentieren sie auch nicht. Zumindest nicht so, dass auch nur zwei Menschen dasselbe darunter verstünden.

Falls doch, dann handelte es sich gar nicht um verschiedene Personen, sondern nur um eine einzige. In diesem Fall wäre das Verständnis gesichert, die Kommunikation hingegen entbehrlich. Bemerkenswert an diesen Äußerungen ist, dass sie von einem Meister der Rhetorik stammen. Aber vielleicht war es gerade die rhetorische Praxis, die Gorgias an der Sachdienlichkeit der Worte zweifeln ließ. Viele Bedingungen mussten zusammentreffen, ehe man die Unmöglichkeit, im Wort das Seiende unmittelbar auszusagen, als Tragödie statt als Eigenart der sprachlichen Kommunikation begriff.