Schlafstörungen im Alter - Risikofaktoren und Anforderungen an Behandlung und Pflege

von: Vjenka Garms-Homolová, Uwe Flick

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2012

ISBN: 9783840922770 , 252 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 26,99 EUR

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Schlafstörungen im Alter - Risikofaktoren und Anforderungen an Behandlung und Pflege


 

2.3.3 Interviews mit Angehörigen

Auch bei der Gewinnung von Angehörigen als Interviewpartner spielten die Pflegedienstleitungen eine wichtige Rolle. Sie verteilten eine im Vorfeld vorbereitete schriftliche Information an die Besucherinnen und Besucher der Heimbewohner. Mit potenziellen Interessenten wurde zunächst abgeklärt, ob sie mit dem Schlafthema und mit Schlafstörungen ihrer pflegebedürftigen Familienmitglieder konfrontiert wurden oder nicht. Nur Interessentinnen und Interessenten, die einen Kontakt zu ihrem im Heim lebenden Angehörigen hatten und über seine (früheren) Schlafgewohnheiten sowie Schlafstörungen informiert waren, wurden zum Interview eingeladen. Dieses wurde im Zeitraum von November 2009 bis Februar 2010 realisiert. Befragt wurden elf Personen, davon sechs Frauen und fünf Männer im Alter von 47 bis 87 Jahren. Es handelte sich um Kinder der Heimbewohner und Heimbewohnerinnen; aber auch Ehepartner und Geschwister wurden interviewt (vgl. Tab. 4).

Das im Heim untergebrachte Familienmitglied der befragten Angehörigen lebte dort zum Zeitpunkt des Interviews seit etwa 2 Jahren, wurde als multimorbid angesehen und litt – bis auf wenige Ausnahmen – unter Demenz sowie weiteren Erkrankungen, wie Herzinsuffizienz, Rheuma, Osteoporose, Depressionen oder Parkinson. Die Angehörigen von Demenzkranken sind in diesem Sample in der Überzahl. Das entspricht dem Morbiditätsprofil der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner (vgl. auch die nachfolgenden zwei Beiträg von Garms-Homolová & Theiss sowie Garms-Homolová, Kuck & Theiss). Deshalb war es schwierig, Angehörige von Personen ohne Demenz als Gesprächspartner zu finden. Auch insgesamt bereitete die Rekrutierung große Probleme, weil die Mehrheit der angesprochenen Angehörigen überzeugt war, mit dem Thema „Schlaf und Schlafstörungen“ kaum etwas zu tun gehabt zu haben. Auch die Angehörigeninterviews wurden in der gleichen Weise wie die mit den Pflegenden dokumentiert.

2.3.4 Auswertung der qualitativen Interviews

Die Interviews wurden für jedes der drei Samples (Pflegekräfte, Ärzte und Angehörige) separat analysiert. Im Verlauf der Interviewauswertung wurden zunächst alle Aussagen zu einem Bereich (etwa zur Bedeutung von Tagesaktivitäten aus Sicht von Pflegenden) fallspezifisch thematisch kodiert (vgl. Flick, 2009). Fallübergreifend wurden dann Vergleichsdimensionen bestimmt, anhand derer sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Interviews herausarbeiten ließen (vgl. Kelle & Kluge, 2010, S. 93). Entlang der Vergleichsdimensionen und ihren Merkmalsausprägungen wurden die Fälle gruppiert und hinsichtlich bestimmter Merkmalskombinationen untersucht. Über Fallkontrastierungen wurden zunächst die Fälle innerhalb einer Gruppierung auf Ähnlichkeiten verglichen. Fallvergleiche zwischen den Gruppen sollten bestehende Unterschiede zwischen diesen verdeutlichen (Flick, 2009). Auf die Weise entstanden Typen von Deutungsund Handlungmustern, die in ihren Sinnzusammenhängen analysiert und interpretiert wurden. Dazu dienten abermals Fallvergleiche und -kontrastierungen innerhalb und zwischen de

n Gruppen.

2.4 Analyse der Heimbedingungen Um ein Bild der realen Schlafbedingungen in den stationären Pflegeeinrichtungen zu erhalten, wurden zwei empirische Zugänge gewählt: (a) eine mündliche Befragung (Experteninterview) anhand einer Checkliste und (b) eine Begehung der Einrichtung mit Messungen von Beleuchtungsverhältnissen (vgl. den Beitrag von Migala). Die Checkliste diente zur Erfassung von Angaben zu Beleuchtung, Lärm, Aktivierungsangeboten, Tagesablauf und Organisation. Lichtstärkemessungen wurden in den Räumlichkeiten durchgeführt, die von den Bewohnern regelmäßig genutzt werden. Ausgewertet wurden die Daten mit deskriptiver Statistik (vgl. Bortz & Döring, 2006) oder – sofern es sich um offene Fragen gehandelt hat – mittels des thematischen Kodierens und der Typenbildung (Flick, 2009).

3 Vorläufiges Resümee und Ausblick auf die einzelnen Beiträge

Zum Ende dieser Einführung wollen wir noch einmal einen Überblick über dieses Buch geben. Die beiden Beiträge, die dieser Einführung unmittelbar folgen, präsentieren epidemiologische Grundlagen. Sie beschreiben einerseits, wie weit die Population Hochbetagter von Schlafstörungen betroffen ist und von welchen Faktoren die jeweiligen Häufigkeiten sowie die Distribution von Schlaf-Wach-Störungen in Bevölkerungsgruppen mit speziellen Lebenslagen abhängig sind. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen Menschen in der stationären Langzeitpflege, die mehrfach erkrankt sind. Andererseits setzen sich diese Beiträge mit der Rolle von Schlaf-WachStörungen bei multiplen Pathologien und Gesundheitsproblemen auseinander (speziell der dritte Beitrag, von Garms-Homolová, Kuck & Theiss). Im vierten Beitrag (Garms-Homolová & Theiss) wird das „Risikopotenzial“ von Schlaf-Wach-Störungen bei der Verursachung von häufigen pflegerischen und geriatrischen Problemen untersucht. Mit dem darauf folgenden Beitrag von Flick und Röhnsch beginnt der Teil des Buchs, der weniger die Schlaf-Wach-Störungen selbst, sondern vielmehr ihre Behandlung durch Mitarbeiter im Heim und Ärzte thematisiert. Die drei ersten Beiträge von Flick und Röhnsch befassen sich mit dem Personal der stationären Langzeitpflege und seiner eigenen Bewertung der Notwendigkeiten und Grenzen von Interventionen bei Schlafstörungen. Im vierten Beitrag von Flick und Röhnsch geht es um den Einfluss der Schlafstörungen im häuslichen Bereich vor dem Umzug in eine Pflegeeinrichtung. Die weiteren Beiträge von Kuck, Garms-Homolová und Theiss sowie von Migala zeigen, was für die betroffenen Bewohner tatsächlich getan wird: von den behandelnden Ärzten, den Pflegemitarbeitern, Therapeuten und schließlich vom mittleren bis gehobenen Management der Heime. Darauf folgt im abschließenden Beitrag eine Zusammenschau der Handlungserfordernisse, die sich aus der empirischen Studie ergeben. Die Empfehlungen adressieren sowohl die Pflegeanbieter und ihr Personal, als auch die Forscher und Forscherinnen, die gefordert sind, die Arbeit an den in diesem Buch erörterten Fragestellungen fortzuführen.

Zusammenfassend möchten wir konstatieren, dass wir in diesem Buch das bestehende Wissen über die Schlafstörungen von Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern systematisieren, jedoch auch zahlreiche völlig neue Erkenntnisse über Schlafstörungen im hohen Alter und bei bestehender Multimorbidität vorstellen wollen. Identifiziert werden Forschungslücken und Möglichkeiten für eine Anschlussforschung. In den letzten 10 bis 15 Jahren ist die Anzahl der Studien zum gestörten Schlaf dramatisch angewachsen (Institute of Medicine, 2006). Die hochaltrige Population und Menschen mit Pflegebedarf profitierten davon bislang nicht.

Eine zentrale Perspektive dabei sind die in diesem Buch vorgestellten Befunde über den „professionellen“ Umgang mit Schlafstörungen durch Pflegekräfte und Ärzte, die gemäß der Insomnia-Studie professionelle Kompetenzen überwiegend vermissen lassen. Gerade deshalb werden an vielen Stellen des Buchs und insbesondere im letzten Kapitel die schon erwähnten praktischen Schritte vorgeschlagen. Das Schwergewicht liegt in der Steigerung des Problembewusstseins und Kenntnisstandes bei den Leitungen und klinischen Mitarbeitern der Einrichtungen, für die gezielte Fortbildungen und Trainings angeboten werden müssten. Es werden Empfehlungen gegeben, wie sich die Bedingungen des Schlafs und die Verringerung der risikoreichen Tagesschläfrigkeit in vielen Einrichtungen der Langzeitpflege mit einem minimalen Aufwand erheblich verbessern lassen. Mehrere Beiträge fokussieren auf die Interdependenz zwischen den Schlafstörungen und anderen Gesundheitsproblemen oder Erkrankungen. Dabei wird dargestellt, dass die Vernachlässigung von Schlafstörungen die Morbidität und Funktionsverluste von Pflegeheimbewohnern befördert. Ebenso wird diskutiert, wie der inadäquate Umgang mit der Morbidität und verbleibenden Gesundheit zu zahlreichen Problemen, allen voran zu Schlafstörungen, führt, die Lebensqualität in Heimen reduziert und den Bedarf an Pflege anwachsen lässt.