Tatort Stadt - Mediale Topographien eines Fernsehklassikers

von: Julika Griem, Sebastian Scholz

Campus Verlag, 2010

ISBN: 9783593408705 , 329 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 29,99 EUR

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Tatort Stadt - Mediale Topographien eines Fernsehklassikers


 

Tatort Deutschland – Auf geographischer Spurensuche zwischen Sylt und Konstanz, Aachen und Dresden (S. 31-32)

Björn Bollhöfer

Das Erfolgsrezept der Reihe Tatort beruht neben dem hohen Unterhaltungsaspekt der gezeigten Kriminalfälle vor allem auf der eingeschriebenen Realitätsästhetik. Mit dem selbst definierten Ziel, die Identität unterschiedlicher Landstriche und die regionale Besonderheit des jeweiligen Sendegebiets möglichst authentisch darzustellen, hat die föderalistische Struktur der ARD eine reizvolle Idee hervorgebracht, die landschaftlich wechselnde Schauplätze in ein Reihenkonzept für Regionalkrimis integriert. Im Rahmen dieser »Poetik der Realitätsbezogenheit« (Brück u.a. 2003: 10) erscheint die Thematisierung beziehungsweise Integration konkreter Städte und Regionen als zentrales Phänomen: »Landeskunde als Thriller« (Vogt 2005: 117). Die über 700 Folgen sollen also durchaus als regionale Visitenkarten der unterschiedlichen Sendeanstalten verstanden werden. Sieht man sich aber die Tatort-Städte und ihre sozialen Milieus genauer an, so wird deutlich, dass zwar weitgehend an Originalschauplätzen gearbeitet wird, ihre jeweilige Auflösung in den Drehbüchern und Kamerahandlungen aber allzu oft sehr weit vom spezifisch Alltäglichen und Besonderen wegführt. Die eingeschriebene Realitätsästhetik muss somit auf den Prüfstein gelegt werden, wenn eine Abbildung der Wirklichkeit in Aussicht gestellt wird, die der Konstruktivität des Mediums zu widersprechen scheint.

Die Verteilung der Tatorte suggeriert zunächst ein starkes Stück Deutschland. Mehr als 70 Ermittler(-teams) füllen die Karte mit zahllosen Dienst- und Einsatzorten zwischen Sylt und Konstanz, Aachen und Dresden.

Gleichzeitig durchziehen Querverbindungen und Einsatzwege das Land derart, dass ein dichtes Netz filmischer Orte entsteht. Blickt man jedoch genauer in die Karte, wird deutlich, dass die letzten neuen Ermittlerteams die Tatort-Landschaft nicht erweitert haben. Seit 2002 Kommissarin Blum in Konstanz und das Team Börne/Thiel in Münster ihre Ermittlungen aufgenommen haben, gibt es keine neue ›Heimat‹ mehr. Zudem zeigt ein Blick von der mecklenburgischen Ostseeküste zum Frankenland, dass die Idylle trügt: kein Nordhessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg. Seit der Wende wurde von den fünf neuen Ländern einzig Sachsen in die Tatort-Landschaft integriert. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit ist in dieselben Regionen gegliedert wie die Rundfunkanstalten, wobei sich die Handlungsorte an die Produktionsstätten und kreativen Zentren anlehnen und die Schwerpunkte und »grauen Flecken« der filmischen Topographien durchaus mit der Größe und Bedeutung der Rundfunkanstalten korrelieren (s. auch Bollhöfer/Hanewinkel 2008).

Verknüpft man diese Beobachtungen mit ökonomischen Faktoren der Medienwirtschaft und deren Einfluss auf die räumliche Verteilung der Tatorte, fällt zunächst auf, dass die vier großen Sender WDR, SWR, NDR und BR mit Abstand die meisten Tatorte produzieren. Allein der WDR hat 125 Folgen zu verantworten, knapp gefolgt vom SWR, der aber die Produktionen des SDR und des SWF beinhaltet. Danach folgt mit 112 Tatorten der NDR und mit großem Abstand der BR, der jedoch mit dem Team Batic/Leitmayr die meisten Einsätze zu verbuchen hat. Die zunehmende Tendenz zu festen Ermittlerteams mit langem Ermittlungszeitraum begann mit Schimanski/Thanner, die als erste über einen Zeitraum von zehn Jahren tätig waren. Am längsten dabei ist die noch aktive Lena Odenthal, die 2009 ihr zwanzigjähriges Dienstjubiläum feiern konnte. Ein Effekt der längeren Dienstzeiten ist sicherlich, dass eine immer größere Anzahl von Tatort-Städten auch werbewirksam in Szene gesetzt wird.