Kritik als Utopie der Selbstregierung

von: Volker Caysa

Frank & Timme, 2005

ISBN: 9783865960054 , 123 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 12,99 EUR

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Kritik als Utopie der Selbstregierung


 

Kritik ist Wille zur (Selbst-)Macht (S. 87-88)

In welchem Sinne könnte nun dem Willen zur Kritik der Wille zur Macht eigen sein? In dem Sinne, daß der Wille zur Kritik hier wesentlich als Wille zur Selbstmächtigkeit, zur Selbstbeherrschung, gedeutet werden muß. In diesem Sinne ist der Wille zur Macht als Übergang von einem Zustand in einen anderen zu bestimmen. Grundlegend für den Willen zur Macht ist der Übergang zur Selbstmächtigkeit. Im Mittelpunkt der Kritik steht nicht, andere zu beherrschen in dem Sinne, staatlich institutionalisierte Macht über andere und gegen andere auszuüben, sondern seiner selbst mächtig zu werden, sich selbst zu beherrschen, was oftmals für die Existenz des einzelnen gerade ausschließt, im politisch-technizistischen Sinne herrschen zu wollen.

Kritisch ist also nicht nur der, der sich nicht abfindet mit dem, was er vorfindet, der, der sich erfindet, der sich formt, der sich transformiert, sondern nun auch der, der sich selbst zu beherrschen vermag, der sich selbst regiert und sich nicht willkürlich – und wenn, dann möglichst den eigenen Maßen gemäß – von anderen regieren läßt. Kritik ist „die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden". Der „Wille, nicht regiert zu werden", ist der „Wille nicht dermaßen, nicht von denen da, nicht um diesen Preis regiert zu werden." Dieser Wille zur Machtnegation enthält zweifelsohne eine Ablehnung von Fremdregierung, nicht aber die Negation jeglicher Regierung. Kritik ist nicht der anarchistische Wille, überhaupt nicht zu regieren.

Die Ablehnung der Fremdregierung ist weder bei Foucault noch bei Nietzsche mit der Ablehnung jeglicher Regierung gleichzusetzen, sondern die Kritik der Fremdregierung zielt auf eine andere Form von Regierung und in diesem Sinne auf eine andere Form der Macht. Kritik ist derart gedacht Kritik der Macht, die herrscht, durch Selbstbeherrschung und deshalb Grund der Selbstachtung und Wahrung der Würde der einzelnen wie auch ganzer Kulturen. Das schließt ein, zu analysieren, warum wir selbst nicht mündig sind, warum wir uns dermaßen von anderen regieren lassen, welches Beziehungsgeflecht uns zwingt, uns regieren zu lassen, warum wir nicht das Können haben, uns selbst zu regieren, es schließt ein, die herrschende Sprache und Moral (und die mit ihr verbundene Gewalt) genealogisch zu kritisieren. Wer eine neue Sprache schafft, der schafft die Geschichte neu. Wer sich selbst regieren will und sich nicht durch die Sprache der staatlichen Macht beherrschen lassen will, muß sich selbst eine Sprache für seine Lebensform schaffen.

Kritik in diesem Sinne ist die Bewegung, in welcher sich das Subjekt nicht nur das „Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte" und „die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse" hin zu befragen, sondern auch die Bewegung, in der es die Fähigkeit erlangt, selbst Herrschaft auszuüben, die zunächst damit beginnt, sich selbst zu beherrschen. Kritik ist dann „die Kunst der freiwilligen Unknechtschaft, der reflektierten Unfügsamkeit. In dem Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnte, hätte die Kritik die Funktion der Entunterwerfung" und der Konstituierung von Autonomie.