Der kleine Lord - Mit Bildern aus dem Film

von: Frances Hodgson Burnett

Null Papier Verlag, 2019

ISBN: 9783954181117 , 254 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 0,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der kleine Lord - Mit Bildern aus dem Film


 

Erstes Kapitel


Eine große Überraschung


Ce­drik selbst wuss­te kein Ster­bens­wört­chen da­von, nie war et­was Der­ar­ti­ges in sei­ner Ge­gen­wart auch nur er­wähnt wor­den. Dass sein Papa ein Eng­län­der ge­we­sen, wuss­te er, weil sei­ne Mama ihm das ge­sagt hat­te, aber dann war die­ser Papa ge­stor­ben, als er noch ein ganz klei­ner Jun­ge ge­we­sen, und ihm war von dem­sel­ben nicht viel mehr in Erin­ne­rung ge­blie­ben, als dass er eine hohe Ge­stalt und blaue Au­gen und einen lan­gen, schö­nen Schnurr­bart ge­habt und dass es herr­lich ge­we­sen, auf sei­nen Schul­tern in der Stu­be her­um­zu­rei­ten. Nach des Va­ters Tode hat­te Ce­drik dann die Ent­de­ckung ge­macht, dass es am al­ler­bes­ten sei, mit der Mama gar nicht von ihm zu spre­chen. Als der Papa er­krank­te, war Ce­drik fort­ge­bracht wor­den, und als er wie­der nach Hau­se kam, war al­les vor­über ge­we­sen, und sein Müt­ter­chen, das auch eine schwe­re Krank­heit durch­ge­macht, fing eben wie­der an, in ih­rem Lehn­stuh­le am Fens­ter zu sit­zen; al­lein sie war bleich und ma­ger und all die lus­ti­gen Grüb­chen wa­ren aus ih­rem hüb­schen Ge­sich­te ver­schwun­den; die Au­gen sa­hen so groß aus und so trau­rig, und ihr Kleid war ganz schwarz.

»Herz­lieb«, sag­te Ce­drik – so hat­te sein Papa sie im­mer ge­nannt, und der klei­ne Jun­ge mach­te es ihm nach – »Herz­lieb, geht’s Papa bes­ser?«

Er fühl­te, wie ihr Arm zit­ter­te, wand­te plötz­lich sein lo­cki­ges Köpf­chen und sah ihr ins Ge­sicht, und als er sie so an­sah, war’s ihm, als ob er selbst bald zu wei­nen an­fan­gen müs­se.

»Herz­lieb«, frag­te er noch ein­mal, »ist Papa wohl?«

Dann gab ihm sein klei­nes zärt­li­ches Herz plötz­lich ein, bei­de Ärm­chen um den Hals der Mut­ter zu schlin­gen und sie wie­der und wie­der zu küs­sen und sei­ne wei­che, war­me Wan­ge fest an die ih­ri­ge zu schmie­gen, und sie drück­te ihr Ge­sicht an sei­ne Schul­ter und hielt ihn um­schlun­gen, als ob sie ihn nie mehr von sich las­sen woll­te, und wein­te bit­ter­lich.

»Ja, ihm ist wohl«, schluchz­te sie; »ihm ist ganz, ganz wohl, aber wir – wir ha­ben nichts mehr auf der Welt als ein­an­der. Kei­ne Men­schen­see­le sonst.«

So klein er war, hat­te er doch be­grif­fen, dass sein großer, schö­ner, jun­ger Papa nicht mehr wie­der­kom­men wer­de, dass er tot sei, wie er es von an­de­ren Leu­ten auch schon hat­te sa­gen hö­ren, ob­wohl er nicht recht wuss­te, was das für ein selt­sa­mes Ding war, das so viel Her­ze­leid in sei­nem Ge­fol­ge hat­te, und weil sein Müt­ter­chen im­mer wein­te, wenn er von dem Papa sprach, kam er ganz in al­ler Stil­le auf den Ge­dan­ken, dass es bes­ser sei, nicht von ihm zu spre­chen, und all­mäh­lich fand er auch, dass es bes­ser sei, sie nicht ganz ru­hig da­sit­zen und zum Fens­ter hin­aus oder ins Feu­er star­ren zu las­sen. Be­kann­te hat­ten er und sei­ne Mama nicht vie­le, und man konn­te ihr Le­ben sehr ein­sam nen­nen, ob­gleich Ce­drik da­von kei­ne Ah­nung hat­te, bis er äl­ter wur­de und man ihm dann sag­te, wes­halb sie kei­ne Be­su­che er­hiel­ten. Er er­fuhr dann, dass sei­ne Mama eine Wai­se war und ganz al­lein in der Welt ge­stan­den hat­te, ehe sie Pa­pas Frau ge­wor­den. Sie war sehr hübsch und hat­te als Ge­sell­schaf­te­rin bei ei­ner rei­chen al­ten Frau ge­lebt, die nicht gü­tig ge­gen sie ge­we­sen war. Ei­nes Ta­ges hat­te Ka­pi­tän Ce­drik Er­rol, der Be­such bei der Dame mach­te, sie die Trep­pe hin­auf­ei­len se­hen mit schwe­ren di­cken Trä­nen­trop­fen an den lan­gen Wim­pern, und da­bei hat­te sie so un­schul­dig und trau­rig und wun­der­lieb­lich aus­ge­se­hen, dass der Ka­pi­tän es nicht mehr hat­te ver­ges­sen kön­nen. Dann wa­ren man­cher­lei merk­wür­di­ge Din­ge ge­sche­hen, sie hat­ten ein­an­der ken­nen ge­lernt und hat­ten sich sehr lieb und wur­den schließ­lich Mann und Frau, ob­wohl die­se Hei­rat ih­nen die Miss­bil­li­gung ver­schie­de­ner Per­so­nen zu­zog. Am meis­ten er­zürnt dar­über war der Va­ter des Ka­pi­täns, der in Eng­land leb­te und ein sehr rei­cher und vor­neh­mer Herr von lei­den­schaft­li­cher Ge­müts­art und ei­ner hef­ti­gen Vor­ein­ge­nom­men­heit ge­gen Ame­ri­ka und die Ame­ri­ka­ner war. Ka­pi­tän Ce­drik war der drit­te Sohn und hat­te also für sein Teil we­nig Aus­sich­ten auf die äu­ßerst be­deu­ten­den Gü­ter und Ti­tel sei­nes Hau­ses.

Die Na­tur ver­teilt ihre Gü­ter je­doch nicht nach dem Erst­ge­burts­recht, und es kommt vor, dass drit­te Söh­ne Din­ge be­sit­zen, die den bei­den äl­te­ren ver­sagt sind. Ce­drik Er­rol hat­te ein hüb­sches Ge­sicht, eine kräf­ti­ge, schlan­ke, elas­ti­sche Ge­stalt, ein hel­les La­chen und eine wei­che, fröh­li­che Stim­me; er war tap­fer, frei­mü­tig und hat­te das bes­te Herz von der Welt, und es war, als ob ihm ein Zau­ber ver­lie­hen sei, der alle Men­schen zu ihm zog und an ihn fes­sel­te. Bei sei­nen äl­te­ren Brü­dern war dem nicht so; der eine wie der and­re war we­der hübsch noch be­gabt, noch gut­her­zig. Als Kna­ben in der Schu­le zu Eton mach­ten sie sich sehr un­be­liebt; auf der Uni­ver­si­tät be­trie­ben sie kei­ner­lei Stu­di­en, ver­geu­de­ten Zeit und Geld und ge­wan­nen we­nig Freun­de. Was der Va­ter an ih­nen er­leb­te, wa­ren Ent­täu­schun­gen und De­mü­ti­gun­gen; der Erbe sei­nes ed­len Na­mens mach­te dem­sel­ben kei­ne Ehre und ver­sprach, nichts zu wer­den, als ein selbsti­scher, ver­schwen­de­ri­scher un­be­deu­ten­der Mensch ohne jeg­li­che rit­ter­li­che Tu­gend. Es war sehr bit­ter für den al­ten Herrn, dass der Sohn, wel­cher die un­be­deu­ten­de Stel­lung des Jüngs­ten ein­nahm und nur ein sehr mä­ßi­ges Ver­mö­gen er­hal­ten konn­te, al­les be­saß, was an Ta­lent, Lie­bens­wür­dig­keit, Kraft und äu­ße­rer Er­schei­nung in sei­ner Fa­mi­lie zu ent­de­cken war.

Zu­wei­len hass­te er den fri­schen jun­gen Ge­sel­len bei­na­he, der sich un­ter­fing, all’ die gu­ten Din­ge zu be­sit­zen, die doch mit Fug und Recht zu dem großen Ti­tel und dem herr­li­chen Be­sitz­tum ge­hört hät­ten, und doch hing sein stol­zes, ei­gen­wil­li­ges al­tes Herz ins­ge­heim un­end­lich an sei­nem Jüngs­ten. In ei­nem der­ar­ti­gen An­fall von Ge­reizt­heit war’s, dass er ihn auf eine Rei­se nach Ame­ri­ka ge­schickt hat­te; Ce­drik soll­te ihm eine Zeit lang aus den Au­gen kom­men, da­mit er nicht durch den im­mer­wäh­ren­den Ver­gleich sich über das Trei­ben der bei­den Äl­tes­ten, die ihm ge­ra­de da­mals wie­der viel zu schaf­fen mach­ten, noch mehr auf­zu­re­gen brauch­te.

Aber kaum war der Sohn ein hal­b­es Jahr fort, als der alte Herr Sehn­sucht nach ihm emp­fand und ihm den Be­fehl zur Heim­kehr sand­te. Die­ser Brief kreuz­te sich mit ei­nem des jun­gen Man­nes, in dem die­ser dem Va­ter von sei­ner Lie­be zu der hüb­schen Ame­ri­ka­ne­rin und sei­ner Ab­sicht, die­sel­be zu hei­ra­ten, sprach, was den Gra­fen in fürch­ter­li­che Wut ver­setz­te. Wie ent­setz­lich sei­ne Zor­nes­aus­brü­che auch sein le­ben­lang, ge­we­sen wa­ren, so schran­ken­los hat­te er noch nie ge­tobt, wie nach dem Empfang von Ka­pi­tän Ce­driks Brief, und sein Kam­mer­die­ner, der eben im Zim­mer war, mach­te sich auf einen Schlag­an­fall ge­fasst. Eine Stun­de lang ras­te er wie ein wil­des...