1414 - Die Erfolgsgeschichte der Rega und ihre Gesichter

von: Franziska Schläpfer

Wörterseh Verlag, 2012

ISBN: 9783037635308 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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1414 - Die Erfolgsgeschichte der Rega und ihre Gesichter


 

Georg Hossli, Pionier der Intensivmedizin
und Notarzt an der Front


«Das ist mein Leben.» Georg Hossli klappt den letzten Fotoband zu. Stundenlang hat er erzählt, als wäre es gestern gewesen. Kaum zu glauben, der Mann ist neunzig. Prägte die moderne Anästhesie in der Schweiz. Wissenschaftler, Professor, Familienvater, Notarzt im Dienst der Rega. Ein Leben? Zwei, drei, vier. Er deutet zum Waldrand neben seinem Haus in Witikon, hier habe er jeweils auf den Helikopter gewartet, und berichtet von allerlei Fällen – bis mir ist, als würde der Heli gleich über die Wipfel rattern.

Der einwöchige Papstbesuch im Juni 1984 war ein Höhepunkt. Er lacht: «Ich bin gottlob katholisch!» Erstmals hatte die Schweiz einen Papst zu Gast: Johannes Paul II. Die Rega war für sein gesundheitliches Wohl zuständig. Von Genf nach Fribourg flog das Kirchenoberhaupt mit der Crossair. Dort wartete der «Papst-Heli», ein aufgerüsteter Super Puma. Und die Bölkow BO 105 der Rega mit Pilot Ueli Soltermann, Flughelfer Heinz Enz und Notarzt Georg Hossli. «Wir flogen direkt hinter dem Papst, als erster der sieben Begleithelis. Bei allen Anlässen und Messen stand ich im roten Rega-Gwändli mit Heinz Enz und Notarztkoffer in der Nähe des Papstes. Die erste Nacht in Fribourg war er im Priesterseminar untergebracht; ich lag im Zimmer neben ihm.«

Ein gutes Jahr später der eintägige Papst-Besuch im Fürstentum Liechtenstein. In Zürich-Kloten wartete Bundespräsident Kurt Furgler – und wiederum die Rega-Crew. «Der Papst kam zuerst auf mich zu: Da ist ja Professor Hossli!» Fürstenfamilie und Regierung bedankten sich später bei ihm und seinen Leuten mit einem Empfang auf dem Schloss.

Georg Hossli hatte schon früher Kontakt zum Vatikan. 1979 brachte er den schwer kranken polnischen Kardinal Andrzej Maria Deskur – verwandt mit dem Papst, engagierter Medienmann und Chef von Radio Vaticana – in seine Heimat, vermeintlich zum Sterben. «Bewacht von Schweizergardisten wurde er in einem Spezialauto vom Spital Santa Croce zum Militärflugplatz geführt. Wir repatriierten ihn via Universitätsspital Zürich nach Warschau.» Als Hossli 2006 mit der Schweizerischen Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen am 500-Jahr-Jubiläum der Schweizergarde teilnahm, traute er seinen Augen nicht: Unter den Gästen, im Rollstuhl, Kardinal Deskur.

Wie aber hat der Arzt zur Rega gefunden? Im März 1955, anlässlich der ersten grossen Propaganda-Aktion mit Fallschirmabsprüngen über dem Zürichsee. «Dem Rega-Gründer Rudolf Bucher war das Unterfangen nicht ganz geheuer. Er kontaktierte das Kantonsspital, ich wurde delegiert, die ärztliche Betreuung zu organisieren.»

Georg Hosslis Grossmutter väterlicherseits war Hebamme: Das sind die medizinischen Wurzeln. Der Vater war Bahnhofvorstand in Zürich Enge. 1940 machte Georg die «Kriegsmatura» und begann Medizin zu studieren. Achtmal rückte er zum Aktivdienst ein. Der Leutnant war stolz, nicht als Sanitäter, sondern als Infanterist im Zürcher Gebirgsschützen-Bataillon 11 zu dienen. Während des achten Einsatzes 1944 erkrankte er an Pleuritis exsudativa, einer «nassen» Brustfellentzündung. Fünf Monate Liegekur im Militär-Sanatorium Leysin. Dort liess er sich von der Laborantin Mathilde Huber nicht nur in die Geheimnisse der Labormethoden einführen. 1947 heirateten die beiden.

Nach dem Staatsexamen diente er einige Monate als Schiffsarzt auf der «Margaret Johnson»; die Reise führte nach Schweden und Südamerika. 1950 wurde er Assistenzarzt in der Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals Zürich – und als Jüngster im Team, das war damals so üblich, wurde er auch für Narkosen eingesetzt. Zwei Jahre später machte er seinen Chef Professor Alfred Brunner auf drei tödliche Vorfälle aufmerksam, die nach seiner Meinung vermeidbar gewesen wären. So rasant entwickelten sich die Kenntnisse und Verfahren der Anästhesie.

1955 ersuchte Hossli, seit einem Jahr leitender Arzt der neu geschaffenen Anästhesieabteilung, um einen Landeplatz für den Rettungshelikopter in der Nähe des Unispitals. Drei Jahre später bewilligte die Zürcher Regierung die «gelegentliche» Nutzung des Sportplatzes der Kantonsschule Zürich (heute Rämibühl). Umständliche, zeitraubende Transporte! Vor jeder Landung waren diverse Massnahmen notwendig, vom Einholen der Einwilligung des Hauswarts bis zur Benachrichtigung der Polizei, damit sie den Platz absperrte. Die städtische Sanität fuhr dann den Patienten über verkehrsreiche 500 Meter zur Notfallaufnahme.

1958 übernahm Georg Hossli die ärztliche Betreuung bei der Rega. «Dringliche Medizin war für uns Ärzte interessant und wichtig.» Er führte die Bewusstlosen-Lagerung ein, die Mund-zu-Nase-Beatmung, die externe Herzmassage.

Pleuritis exsudativa. Nach fünfzehn Jahren und mehreren Nachkuren wurde Hossli 1959 als geheilt erklärt, wieder eingemustert und zur Sanität umgeteilt, kam 1967 in den Armeestab als Verantwortlicher für Anästhesie und Intensivbehandlung im Rang eines Oberstleutnants. Er trug wesentlich bei zur Entwicklung der Feldnarkose-Ausrüstung, des Militär-Kreislauf-Narkoseapparates, des Wiederbelebungstornisters und so weiter. Mit Peter Dangel, Chefarzt Anästhesie des Kinderspitals, gründete er den Militärhelikopter-Rettungsdienst, bildete Ärzte und Rettungssanitäter, darunter 224 Zahnärzte, zu Militär-Anästhesisten aus.

Hossli war ein hartnäckiger Bittsteller. Man spottete über seine ersten Gesuche um einen Landeplatz auf dem Dach des Universitätsspitals. Das Spital sei ohnehin überfüllt. Dazu der Lärm. Und was, wenn der Heli in Brand gerät, das Benzin ins Spital läuft? Die grosse Angst vor dem Notfalltourismus via Spitaldach. Der Regierungsrat lehnte zunächst ab. Am 6. August 1970 war es dann doch so weit, die Versuchslandungen von Rega und Luftwaffe waren erfolgreich (die Armee operierte zur Zeit des Kalten Krieges mit eigenem Luftrettungsdienst; auf den geheimen Höhen-Richtstrahlstationen konnte sie ja nicht die Rega rufen…).

Von Beginn an stellte Hosslis Institut die Ärzte für die steigenden Einsätze der Rega-Basis Zürich, die ihren Heli ab Mitte Mai 1972 auf dem Dach des Kinderspitals stationieren durfte. 1975 richtete Hossli – alternierend mit dem Kinderspital – einen Bereitschaftsdienst ein. Was von den freiwilligen Notärzten einiges verlangte: «Parat sein in der Dienstzeit, auch bei Nacht und misslichen Flugverhältnissen, die Fähigkeit zur raschen, summarischen Untersuchung, erste ärztliche Hilfe, Entschlusskraft bezüglich Wahl des Zielspitals – klassische Notarztqualitäten.» Hossli kämpfte auch um Einsätze bei Verkehrsunfällen. Im Frühjahr 1975 bewilligte der Zürcher Regierungsrat einen halbjährigen Versuch für die Strassenrettung mit Ambulanzhelikoptern der Rega.

Die Entwicklung der Rega hat Hossli an der Front wie im Stiftungsrat mitgeprägt. Der Anästhesist leistete ein paar Hundert Flugeinsätze. Er erinnert sich an abenteuerliche und dramatische Rettungen. Im August 1958 war ein Senn auf der Suche nach einer Kuh auf einer Alp im Kanton Glarus abgestürzt. Ein heikler Absprung für die drei Fallschirmer aus einer DO-27. Nachts und bei strömendem Regen brachten sie den Verletzten über glitschige Hänge zur Seilbahn und ins Spital.

1968 verunfallte ein Bauarbeiter im Stollen auf dem Oberalppass. Offene Trümmerfraktur des rechten Unterschenkels. Schwierige Bergung im verschneiten Steilhang. «Weil das Bein schief herausragte, brachten wir den Mann nicht in den Heli und mussten die seitliche Tür aushängen. Wir werden nicht nach Zürich kommen, dachte ich. Christian Bühler konnte vor Kälte kaum fliegen, ich den Patienten kaum betreuen.»

Er erzählt von hektischen Organtransporten, bei denen jede Minute zählte und meist zwei Teams im Einsatz waren, eines transportierte das Organ, das andere den Empfänger. «Für Herztransplantationen, die ersten machte Professor Ake Senning 1969, holten wir mit dem Learjet das Herz des Spenders, zum Beispiel in der Westschweiz, spurteten in Zürich-Kloten zum Heli, der ins Unispital flog, wo der bereits narkotisierte Empfänger lag.»

«Besonders tragisch» war das Unglück in Feldmeilen im Januar 1971. Zwei Züge des «Goldküstenexpress» mit je 200 Passagieren prallten um 20 Uhr zusammen. Gegen fünfzig Verletzte, sieben Tote. Schnee lag, es war dunkel und bitterkalt. Georg Hossli organisierte vor Ort die chaotisch angelaufene Hilfe. «Eine Siebzehnjährige war eingeklemmt, beide Beine gequetscht, schockiert, in die zerfetzte Leiche ihrer Freundin eingepresst, eine scheinbar hoffnungslose Situation.» Er tat, was möglich war: Schockbehandlung mit Infusionen, intravenöse Schmerzbekämpfung, Überwachung und Zuspruch während der neunstündigen Bergungsaktion.

Georg Hossli hat auch den ersten...