Religion in der Psychiatrie - Eine (un)bewusste Verdrängung?. E-BOOK

von: Peter Kaiser

Vandenhoeck & Ruprecht Unipress, 2007

ISBN: 9783862340453 , 678 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 110,00 EUR

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Religion in der Psychiatrie - Eine (un)bewusste Verdrängung?. E-BOOK


 

"IX. Spezifische psychische Zustände, Erkrankungen und Religion/Religiosität (S. 449-450)

1. Spezifische Erkrankungen

Einleitung


Religion, wie jede andere kulturelle Entität, beeinflusst das Denken, Fühlen und Verhalten des Individuums und das der Gemeinschaft. Bei psychisch Kranken werden psychopathologische Phänomene wie Wahn und Halluzinationen natürlich ebenfalls durch Religion mit geprägt. Unter Berücksichtigung der vorangehenden Kapitel, insbesondere des Abschnittes, in welchem die Wechselwirkungen zwischen psychischer Gesundheit im allgemeinen und Religion erörtert, sowie Hypothesen zu möglichen psychologischen, soziologischen und physiologischen Mechanismen vorgestellt wurden, sollen in diesem Kapitel einige spezifische psychische Störungen ausgewählt werden.

Auf eine nochmalige Vorstellung und Diskussion möglicher Wechselwirkungsmodelle wird deshalb an dieser Stelle verzichtet. Eine gewisse Redundanz ist nicht zu vermeiden und teilweise auch gewollt, um die Lesbarkeit des Textes zu erhöhen. Wechselwirkung bedeutet nochmals zusammengefasst: Religion als Krankheitsursache: Die psychische Störung kann durch die Religion ausgelöst werden kann – auf den Begriff der sogenannten ekklesiogenen Neurose wird im nächsten Kapitel eingegangen.

Religion als Faktor der Krankheitsaufrechterhaltung: Eine psychische Störung per se oder der Umgang mit dieser verschlechtert sich durch Religion oder wird hierdurch erschwert, beispielsweise bei negativem religiösem Coping. Religion als Prophylaxe: Religion kann das klinisch Manifestwerden einer psychischen Erkrankung verhindern. Religion als Therapie: Religion vermag auf den Verlauf einer psychischen Störung positiv einzuwirken, beispielsweise im Rahmen positiv religiösen Copings.

Die Auswahl der psychischen Störungen gründet zum einen auf der epidemiologischen Häufigkeit der Psychopathologien, zum anderen wird hiermit auch die Rezeptionsfrequenz der entsprechenden Störungen im Zusammenhang mit Religion in Publikationsorganen reflektiert. Dieses Kapitel behandelt schwerpunktmäßig die unterschiedlichen psychischen Störungen und deren Beeinflussung durch Religion/Religiosität bzw. die Wirkung von Religion/Religiosität im Allgemeinen auf spezifische psychische Störungen.

Im anschließenden Kapitel erfolgt dann die Erfassung der Auswirkungen religionsspezifischen – genauer: konfessionsspezifischen – Verhaltens und Denkens auf die psychische Gesundheit. Obwohl in neueren Klassifikationssystemen vermieden, haben die Begriffe »Neurose« und »Psychose« bei Laien wie Fachleuten noch immer einen festen, wenngleich oftmals auch unscharf definierten Platz. Hier eine kurze Definition der beiden Bezeichnungen:

Unter einer Neurose verstehen die meisten Fachleute eine psychisch bedingte Gesundheitsstörung, deren Ursachen dem Betroffenen nicht bewusst und letztlich in der Kindheitsentwicklung zu suchen sind. Typische Beschwerden sind Ängste, Zwänge oder auch körperliche Symptome, für die man aber keine eigentlichen körperlichen Ursachen finden kann (z.B. ständiger Durchfall, obwohl mit dem Darm scheinbar alles in Ordnung ist). Neurosen sind somit psychische Störungen, oft auf dem Boden unbewusster Konflikte; die Bewältigung der üblichen Anforderungen an das tägliche Leben und der Realitätsbezug sind aber nur in Ausnahmefällen nicht gestört."