Streitbare Frauen - Porträts aus drei Jahrhunderten

von: Michaela Karl

Residenz Verlag, 2011

ISBN: 9783701742189 , 272 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Streitbare Frauen - Porträts aus drei Jahrhunderten


 

»Heiß ich doch, weil ich fromm war, Frevlerin!

Ja, wenn es den Göttern wohlgefällt,

Dann seh ich ein: Ich leide, weil ich fehlte.

Doch fehlten diese, treffe sie nichts Ärgeres,

Als was sie wider Recht an mir getan!«

Sophokles, Antigone2

Zu diesem Buch


Sophokles erzählt in seinem Drama von Antigone, der Tochter des Ödipus, über die sich der Fluch der Götter legt, nachdem ihr Vater seinen eigenen Vater getötet und seine Mutter geheiratet hat. Antigones Brüder Polyneikes und Eteokles erschlagen sich gegenseitig beim Kampf um Theben. Der neue König Kreon versucht die Ordnung wiederherzustellen und verbietet die Bestattung Polyneikes, der als Verräter gilt. Doch Antigone widersetzt sich den Gesetzen des Herrschers. Das Gebot der Götter, die Toten zu bestatten, gilt ihr als höheres Recht und auch die Androhung von Strafe kann sie nicht von ihrem Weg abbringen. Sie handelt gemäß ihrer moralischen Überzeugung und bestattet den Bruder. Damit stellt sie ihr Gewissen über das Gesetz; sie ist bereit, für ihr Streben nach Gerechtigkeit das eigene Leben zu opfern.

Im Mythos der Antigone, der schon Hegel als Symbol für das sittliche Recht galt, drückt sich der Widerstreit von gerechtem Handeln und positivem (vom Menschen gemachtem) Recht aus. Antigone wird gefasst und nach einem Verhör, in dem sie ihre Gründe darlegt, zum Tode verurteilt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie die zukünftige Schwiegertochter Kreons ist. Noch im Kerker geht sie in den Freitod, ihr Verlobter, Kreons Sohn Haimon, und dessen Mutter, Kreons Ehefrau Eurydike, folgen ihr.

Antigone hatte gegen zwei Gesetze verstoßen, die nicht nur in der antiken Welt Gültigkeit hatten, sondern auch lange danach noch galten: Zum einen missachtete sie ein Gesetz der Regierung und zum anderen hatte sie die ihr zugedachte Rolle als Frau, wonach sie sich dem Mann unterzuordnen und sich von der politischen Bühne fernzuhalten hatte, verlassen. Statt sich den politischen und gesellschaftlichen Geboten zu beugen, kämpfte sie unbeirrbar, mutig und entschlossen für die Umsetzung eines höheren Zieles. Der Einsatz für ein höheres Gut überstrahlte alle menschlichen Beziehungen und stand über ihrem eigenen Wohl und Wehe.

Die in diesem Buch porträtierten Frauen gleichen ihr darin. Auch sie glaubten an ein höheres Ideal, dem sie sich verpflichtet fühlten. Sie waren Überzeugungstäterinnen, die für die Durchsetzung ihrer Ziele gegen sittliche und staatliche Gebote verstießen. Die Umsetzung ethischer Werte hatte bei ihnen stets Vorrang vor der Umsetzung weltlicher Gesetze. Sie fühlten eine tiefe moralische Verantwortung für die Menschen in sich, die sie dazu brachte, sich gesellschaftlichen und politischen Zwängen zu verweigern und Gesetze zu brechen.

Angetrieben von Wut und Empörung angesichts gesellschaftlicher oder politischer Missstände hatte ihr Einsatz jenseits aller politischen Analyse immer auch eine persönlich-moralische Dimension, die bei Frauen ungleich stärker zum Tragen kommt als bei Männern. Ein Umstand, der sicherlich die erstaunliche Radikalität und Konsequenz erklärt, mit der diese Frauen ihre Ziele verfolgten. Couragiert und furchtlos stritten sie für ihre Überzeugungen, allen Widrigkeiten zum Trotz.

Politische Frauen waren zu allen Zeiten ein heikles Thema. Oppositionelle Frauen hatten und haben es weitaus schwerer als diejenigen, die im Gleichschritt mit der Macht marschieren. Trotzdem sind es gerade die Rebellinnen, jene Frauen, die gegen den Strom schwammen, die noch heute faszinieren. Ihr unbedingter Einsatz für unpopuläre Themen wie Frauen- und Menschenrechte, Freiheit und Frieden veränderte die Welt und brachte zahlreiche Neuerungen mit sich, von denen nicht nur Frauen profitieren konnten. Der Einsatz von Frauenrechtlerinnen wie Mathilde Franziska Anneke oder Clara Zetkin verbesserte die rechtliche Situation von Frauen überall auf der Welt. Der Kampf von Harriet Tubman gegen die Sklaverei trug entscheidend zur Ächtung derselben bei.

Dabei galt politisches Engagement lange Zeit als unweiblich und nicht gesellschaftsfähig. Als Bertha von Suttner sich an die Spitze der europäischen Friedensbewegung setzte, wurde sie verlacht und verhöhnt. Dass Frauen in der Öffentlichkeit als Rednerinnen auftraten, wurde als höchst unschicklich und unpassend bewertet. Eine restriktive Gesetzgebung sorgte lange Jahre dafür, dass Frauen ohnehin von jeglicher politischen Betätigung ausgeschlossen blieben. Traten Frauen öffentlich in Erscheinung, dann höchstens als Gefährtinnen und Helferinnen männlicher Helden, als selbstständige Akteurinnen wurden sie nicht geduldet. Frauenengagement galt als etwas Unnatürliches, und dass viele der im Folgenden porträtierten Akteurinnen ein äußerst turbulentes Privatleben aufzuweisen hatten und dadurch zusätzlich gegen gesellschaftliche Schranken verstießen, war Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner. Dabei ist es nur allzu gut vorstellbar, dass Frauen, die sich dem Diktum widersetzten, sich von der Politik fernzuhalten, sich auch im privaten Bereich nur wenig um gesellschaftliche Konventionen scherten.

Während man sich heute an Frauen in Öffentlichkeit und Politik gewöhnt hat, fällt es noch immer schwer, Frauen im Zusammenhang mit verübter Gewalt zu betrachten – Frauen nicht nur als Opfer, sondern auch als Täterinnen zu sehen. Männer können Helden werden, auch wenn sie Gewalt anwenden. Frauen, die zur Gewalt greifen, gelten als Fanatikerinnen oder Verrückte wie Charlotte Corday. Dass Frauen wie Emmeline Pankhurst oder Emma Goldman den Staat mit Gewalt bekämpfen wollten, löst Unbehagen aus. Derart radikale Frauen machen Angst, steht das Weibliche doch für die friedlichen Mittel in der Auseinandersetzung. Noch beängstigender jedoch sind Frauen wie Phoolan Devi, die auf männliche Gewalt mit massiver Gegengewalt reagierten und damit eine Männerwelt auf den Kopf stellten. Frauen sollen dulden oder sich zumindest mit humanen Mitteln wehren – selbst gegen Inhumanität. Feldzüge für die Gerechtigkeit sollen ihre Sache nicht sein.

Widerstand zu leisten ist immer mit einschneidenden Konsequenzen verbunden, bei Frauen ist deren Tragweite jedoch ungleich größer. Für Constance Markievicz und Vera Figner bedeutete ihr politisches Engagement den vollständigen Bruch mit ihrem bisherigen Leben. Für sie gilt in extremer Weise das, was für alle hier vorgestellten Frauen gilt: Sie schlugen einen Weg ein, den man ihrer sozialen Herkunft und Sozialisation nach nicht von ihnen erwartete. Doch anstatt sie dafür zu bewundern, begegnete man ihnen mit Skepsis. Menschen, die keine Rücksicht auf ihre Familien nehmen und für ihre politische Überzeugung gar ihre Kinder verlassen, nennt man »Helden«, wenn sie Männer sind, und »Rabenmütter«, wenn es sich um Frauen handelt. Dabei zeigt die Geschichte, dass Frauen, die sich einmal zu einem derartigen Schritt durchgerungen haben, weder durch Gefängnis noch durch Folter von ihrer Mission abgebracht werden konnten. Der Bruch mit Familie, Freunden und Partnern, den Tamara Bunke und Tina Modotti erlebten, konnte sie zu keiner Zeit von ihrem aufrechten Gang abhalten.

Sicherlich können sie nicht für alle ihre Aktionen unser Verständnis erwarten, manches macht den Umgang mit diesen Frauen schwierig. Auch Frauen sind nicht unfehlbar. Es mag nicht jede Entscheidung akzeptabel sein, eine Gewissensentscheidung war sie trotzdem. Diese Frauen stellten einen hohen moralischen Anspruch an das Leben und an sich selbst und umso interessanter ist es, zu erfahren, wie es innerhalb dieses hohen Anspruches zu gravierenden Fehlentscheidungen und Taten kommen konnte, die diesem Anspruch nicht gerecht werden. Um eine gerechte Bewertung der Akteurinnen leisten zu können, ist es wichtig, sie noch einmal in Selbstzeugnissen zu Wort kommen zu lassen. Durch die Hinterlassenschaft von Briefen, Tagebüchern, Autobiografien, Schriften und Artikeln ist es auch so viele Jahre später möglich, in ihre Gedankenwelt einzutauchen und den Entscheidungsfindungsprozess, der ihrem Handeln vorausging, nachzuvollziehen.

Es ist offensichtlich: Für Frauen und Männer gelten in der Politik nicht dieselben Maßstäbe. Um wahrgenommen zu werden, müssen Frauen nicht nur besser, sondern auch radikaler sein. Lange Zeit standen ihnen nicht die gleichen Mittel zur Verfügung wie Männern, um ihre politischen Ziele umsetzen zu können. Bemächtigten sie sich dieser Mittel, wie öffentlicher Auftritte, Provokationen oder Militanz, stießen sie auf heftige Gegenwehr, deren Überwindung sie radikalisierte und zum Teil auch fanatisierte.

Doch wie immer man auch zu ihnen stehen mag, eines ist unbestritten: Sie waren charakterfest, geradlinig und von unbeugsamem Willen. Ihr Einsatz verfolgte stets ein höheres Ziel. Der Wille zur Macht, der männliches Engagement zumeist bestimmt, fehlte ihnen gänzlich.

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