Emotionsregulation im Kindesalter

von: Angelika Kullik, Franz Petermann

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2012

ISBN: 9783840924347 , 188 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 23,99 EUR

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Emotionsregulation im Kindesalter


 

Kapitel 1 Was bedeutet Emotionsregulation? (S. 9-10)

Ein Zehnjähriger sagt: „Wenn du traurig bist, setze ein Lächeln auf, gehe mit den anderen mit und versuche dich normal zu verhalten.“ (von Salisch, 2001)

Emotionen begleiten uns von der Geburt an. Ein Säugling, der in den frühen Lebensmonaten durch ein lautes Geräusch erschreckt wird, reagiert meistens ängstlich und weint. Ein Kleinkind reagiert wütend, wenn es nicht das gewünschte Spielzeug zu seinem Geburtstag geschenkt bekommt. Schulkinder freuen sich über den gemeinsamen Klassenausflug in den Freizeitpark. Ein Junge empfindet Stolz beim Sieg seiner Fußballmannschaft; ein anderer fühlt sich schuldig, dass er kein Tor geschossen und seine Mannschaft verloren hat. Ein Mädchen zeigt Mitgefühl für die Freundin, die sich für die vergessenen Hausaufgaben schämt.

All das sind nur wenige Beispiele für Anlässe, in denen Kinder verschiedenste Emotionen erfahren. Solche Erfahrungen machen sie im Laufe der ersten Lebensjahre tagtäglich und lernen nach und nach mit ihnen umzugehen. Das emotionale Erleben und Verhalten von Kindern birgt viele wichtige unbeantwortete Fragen in sich, denen wir uns widmen müssen. Was bedeutet es denn genau, die eigenen Emotionen wie Angst, Wut oder Freude zu erfahren, einzuordnen und zu bewältigen? Können derartige Emotionen kontrolliert, verändert oder gar ausgelöscht werden? Wie wird das emotionale Erleben und Verhalten den Erwartungen von Eltern, Geschwistern, Familie, Freunden oder der schulischen Umwelt angepasst? Können Emotionen überhaupt verändert werden und wenn ja, wie genau lassen sich Emotionen verändern? Was wird eigentlich verändert? Wie wird die Regulation der Emotionen im Laufe der frühen Lebensjahre erlernt und wie entwickelt sich diese in der weiteren Kindheit? Was genau bedeutet „Emotionsregulation“ und welche Bedeutung besitzt sie für die kindliche Entwicklung?

Zu einer der wichtigsten Entwicklungsaufgaben des Kindesalters zählt die Entwicklung von Fähigkeiten, die für ein angemessenes emotionales Erleben und Verhalten notwendig sind (Thompson, 1994; Zeman, Shipman & Penza-Clyve, 2001). Wissenschaftliche Studien haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend mit dem Konzept der Emotionsregulation befasst, das so zu einem eigenen und unabhängigen Forschungsfeld wurde (z. B. Campos, Walle, Dahl & Main, 2011; Cole, Dennis, Smith-Simon & Cohen, 2009; Dennis, 2010; Eisenberg, Spinrad & Eggum, 2010; Ekas, Braungart-Rieker, Lickenbrock, Zentall & Maxwell, 2011; Feng et al., 2009; Gross, 1998). Gibt man die Begriffe „emotion regulation“ in die Datenbank Web of Science ein, so kann eine rasante und über die vergangenen Jahre fast durchgehend steigende Anzahl an wissenschaftlichen Artikeln verzeichnet werden, die 2011 mit mehr als 800 Neuveröffentlichungen ihren Höhepunkt erreicht hat und diesen in den folgenden Jahren wohl noch überschreiten wird (vgl. Abb. 1).

Die Wurzeln der aktuellen Emotionsregulationsforschung sind in den frühen psychoanalytischen Studien zu psychologischen Abwehrmechanismen (Freud, 1926), psychologischem Stress und Coping (Lazarus, 1966), der Bindungstheorie (Bowlby, 1969) und der Emotionstheorie (Frijda, 1986) zu suchen (Gross & Thompson, 2007). Seither wächst das Interesse an diesem Konzept mehr und mehr, was nicht zuletzt der wachsenden Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen, Büchern, Konferenzen und Trainingsprogrammen zu entnehmen ist, die sich dem Thema widmen (Tamir, 2011). Damit ist die Erforschung der Emotionsregulation nicht länger nur ein Aspekt der grundlagenorientierten Emotionsforschung, sondern beginnt die klinische und kinderpsychologische Praxis zu prägen und eröffnet ferner wichtige Anwendungsperspektiven.

Heute wird nicht mehr bezweifelt, dass die Emotionsregulation wichtige Konsequenzen für die kindliche Entwicklung sowie die soziale Funktionalität mit sich bringt (Blair, Denham, Kochanoff & Whipple, 2004; Dollar & Stifter, 2012; Hubbard & Coie, 1994; Suveg, Jacob & Payne, 2010; Tamir, 2011; Yap, Allen & Sheeber, 2007). Graziano, Reavis, Keane und Calkins (2007) konnten zudem zeigen, dass die Emotionsregulation einen direkten und bedeutsamen Prädiktor für den Schulerfolg von Kindern darstellt. So zeigte sich in ihrer Studie, dass ausgeprägte Emotionsregulationsfähigkeiten der Kinder eine von den Lehrkräften berichtete bessere schulische Leistung sowie bessere standardisierte Lese- und Mathematikwerte vorhersagte. Darüber hinaus wird der Emotionsregulation mittlerweile eine zentrale Bedeutung für die Aufrechterhaltung der psychischen ...