Das Regime des liberalen Kapitalismus - Inklusion und Exklusion im neuen Wohlfahrtsstaat

von: Richard Münch

Campus Verlag, 2009

ISBN: 9783593407463 , 374 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 26,99 EUR

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Das Regime des liberalen Kapitalismus - Inklusion und Exklusion im neuen Wohlfahrtsstaat


 

2.3 Die Innovationsregime koordinierter und liberaler Marktwirtschaften In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, genauer auf die Innovationsfähigkeit unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatsregime einzugehen. Nach einer Analyse von Hall und Soskice (2001) unterscheiden sich 'liberale' von 'koordinierten' bzw. 'sozialen' Marktwirtschaften nicht durch eine grundsätzlich größere Innovationsfähigkeit, sondern nur durch einen anderen Typus der Innovation (vgl. auch Albert 1992; O'Sullivan 2000: 11-40). Während liberale Marktwirtschaften eher radikale Innovationen mit tiefgreifendem Wandel fördern, zeigt sich die besondere Qualität koordinierter Marktwirtschaften in inkrementalen Innovationen der ständigen Verfeinerung von Produkten und Prozessen ohne tiefgreifenden Wandel. Abzulesen ist dieser Gegensatz daran, dass die Gründungs- und Schließungsrate von Unternehmen in der forschungsintensiven Industrie in koordinierten Marktwirtschaften wie Deutschland, Japan, Schweiz, Schweden und Finnland deutlich niedriger liegt als in liberalen Marktwirtschaften wie Großbritannien und USA. Ähnliches gilt für die wissensintensiven Dienstleistungen, bei denen allerdings Dänemark, die Niederlande und Frankreich als koordinierte Marktwirtschaften dennoch hohe Gründungs- und Schließungsraten aufweisen (EFI 2008: 58). Jeder dieser beiden Typen der Marktwirtschaft hat im Hinblick auf Innovationsfähigkeit spezifische Qualitäten, so dass sich nach Auffassung von Hall und Soskice beide Typen nur mit je spezifischen, die eigenen Qualitäten stärkenden Strategien angesichts der von der Globalisierung verschärften Konkurrenz behaupten können. Nach dieser Sicht hat auch der Typus der koordinierten Marktwirtschaft gute Chancen, die Herausforderungen der Globalisierung zu bewältigen. Mit dieser These wollen wir uns im Folgenden auseinandersetzen. Die beiden konträren Innovationsmodelle unterscheiden sich zunächst durch ihre technologische Spezialisierung: Deutschland ist auf inkrementale Innovation spezialisiert. Sie erfolgt durch die Perfektionierung von hochwertiger etablierter Technik in Automobilbau, Maschinenbau, Elektrotechnik und Chemie, basierend auf Erfahrungswissen. Sie ist auf Patentierung von Erfindungen zur Sicherung von technologischem Vorsprung bei gegebenen Produkten ausgerichtet. Die USA sind auf radikale Innovation durch Erzeugung von Spitzentechnologie in Mikroelektronik und Biotechnologie spezialisiert. Das geschieht auf der Basis von wissenschaftlichem Wissen und ist auf die Patentierung von Erfindungen zur Schaffung neuer Märkte bezogen. Die Organisation von Innovationen beinhaltet in Deutschland die enge Verknüpfung von Innovationen mit der Produktion innerhalb etablierter Unternehmen. Innovationen werden von der Produktion gesteuert. Es überwiegt die angewandte Forschung ohne Verbindung zur Grundlagenforschung. Stabile, längerfristig bestehende, regional konzentrierte eng miteinander verknüpfte, oft von Verbänden organisierte Produktions- und Innovationsnetzwerke beherrschen das Feld. Innovationen sind eine Sache traditionsreicher kleiner, mittlerer und großer Unternehmen mit großem Reservoir an akkumuliertem technischem Wissen. In den von den USA entwickelten Spitzentechnologien finden Innovationen außerhalb der Produktion statt, und zwar durch eigenständige Bereiche der Forschung und Entwicklung und neugegründete Unternehmen als Anstoß für neue Produkte und eine innovationsgesteuerte Produktion. Die angewandte Forschung ist eng mit der Grundlagenforschung an universitären Forschungszentren verbunden. Die Innovationsnetzwerke sind freie, kurzfristige, nicht von Verbänden organisierte, ergebnisorientierte Kooperationen bis hin zu internationalen Allianzen. Neugegründete Start-up-Unternehmen spielen die Rolle von Pionieren, die nach Erfolg von den großen Unternehmen aufgekauft werden. Das deutsche Modell einer koordinierten Marktwirtschaft Als Modellfall der koordinierten Marktwirtschaft dient Deutschland. Zur Familie dieser Marktwirtschaften zählen aber auch Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Japan, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden und die Schweiz, die sich untereinander wieder durch die Art der Koordination der Marktwirtschaft unterscheiden. Koordinierte Marktwirtschaften setzen auf die neokorporatistische Zusammenarbeit von Staat, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften und auf einen starken Wohlfahrtsstaat, in eher konservativ oder eher sozialdemokratisch geprägter Variante oder in einer Mischung davon. Der Modellfall für die liberale Marktwirtschaft sind die Vereinigten Staaten. Zur Familie dieser Marktwirtschaften werden auch Australien, Kanada, Großbritannien und Neuseeland gerechnet. Bei der Charakterisierung dieser beiden Typen der Marktwirtschaft werden vier Komponenten ihrer institutionellen Struktur unterschieden: (1) das System der Unternehmenskontrolle, (2) das System der industriellen Beziehungen, (3) das System der allgemeinen und beruflichen Bildung und (4) das System der interorganisatorischen Beziehungen zwischen Unternehmen. Das System der Unternehmenskontrolle Das in Deutschland verwirklichte Modell der koordinierten Marktwirtschaft ist zunächst durch ein spezifisches System der Unternehmenskontrolle gekennzeichnet, das man als internes, marktabgewandtes System bezeichnen kann (vgl. Windolf 2002). Bei der Unternehmenskontrolle geht es um die Frage, wer die Kontrolle über ein Unternehmen ausübt, wie, das heißt in welcher Form, dies geschieht, und welche Kriterien dabei im Vordergrund stehen. Charakteristisch für das deutsche Modell der Unternehmenskontrolle ist die relativ große Unabhängigkeit der Unternehmen vom Aktienmarkt. Die Struktur des Aktienmarktes stellte sich Mitte der 1990er Jahre in Deutschland so dar, dass Aktien nur 10 Prozent des gesamten Wertpapierumlaufs ausmachten, nur 20 Prozent der Aktien wirklich gehandelt wurden, eine hohe Umlaufgeschwindigkeit bestand und nur eine niedrige Börsenkapitalisierung der Unternehmen vorhanden war. Der inländische Aktienbesitz war durch folgende Merkmale gekennzeichnet: großer Anteil von Unternehmen und Banken (1992: 42,9 Prozent bzw. 10,2 Prozent) und geringer Anteil von Investmentfonds (1992: 5,4 Prozent), hohe Eigentumskonzentration (1992: 65 Prozent der Kapitalanteile zwischen 25 Prozent und 100 Prozent, 85 Prozent der Unternehmen mit Eigentümern über 25 Prozent der Anteile), starke Kapitalverflechtung zwischen Banken und Unternehmen sowie Unternehmen untereinander, Überlappung von Kapital- und Personalnetzwerken. Die Unternehmensfinanzierung zeichnete sich aus durch einen großen Anteil der einbehaltenen Gewinne - nur 10 Prozent bis 17 Prozent Dividendenausschüttung aus den Gewinnen -, also durch eine umfangreiche Innenfinanzierung, bei gleichzeitig wenig Aktienemissionen und Anleihen (1993: 5,9 Prozent), aber viel Finanzierung durch langfristige Bankkredite (1993: 50,5 Prozent der Finanzmittel) und umfangreichere Rückzahlung als Neuaufnahme von Bankkrediten (1993: 41,1 Prozent) (Daten aus Heinze 2001: 650, Tabelle 2; vgl. auch Heinze 2002). Charakteristisch für das deutsche Modell ist die weit überwiegende Beschaffung von Finanzmitteln durch mittel- und in großem Umfang langfristige Bankkredite im Vergleich zur Finanzierung über den Finanzmarkt, das heißt durch die Ausgabe von börsennotierten Aktien. Dem großen Anteil der Finanzierung durch Banken korrespondiert die umfangreiche Beteiligung der kreditgebenden Banken am Unternehmenskapital sowie ihre Vertretung im Aufsichtsrat des Unternehmens. Umgekehrt haben die von einer Bank finanzierten Unternehmen nicht selten auch eine Beteiligung an der Bank und sind in deren Aufsichtsrat vertreten. Dazu kommen überkreuzende Beteiligungen zwischen Unternehmen, so dass ein nahezu unentwirrbares Geflecht gegenseitiger Beteiligungen und Aufsichtsratsvertretungen entstanden ist. In der Literatur hat sich dafür der Begriff Deutschland AG eingebürgert (Windolf und Beyer 1995; Windolf und Nollert 2001). Es besteht dabei ein hohes Maß der Eigentumskonzentration, das heißt eine kleine Zahl von Banken und Unternehmen vereinigt einen sehr großen Teil der Aktien eines Unternehmens auf sich. Nur ein sehr kleiner Teil der Gewinne wird als Dividende ausgeschüttet. Daraus ergibt sich, dass die Unternehmen ihre Finanzierung nicht auf dem offenen Markt, sondern in engen interpersonellen Beziehungen zwischen Unternehmen und Banken sichern. Dementsprechend gering ist die Transparenz der Unternehmen für potenzielle, auf dem Markt aktive Anleger. Den Investoren stehen für ihre Entscheidungen nur wenig aussagekräftige Informationen über die Unternehmensbilanzen zur Verfügung. Deswegen spielt auch die Durchleuchtung von Unternehmen durch unabhängige Ratingagenturen wie etwa Standard & Poor's keine Rolle. An die Stelle des Faktenwissens tritt deshalb das Vertrauen in die Personen des Unternehmensmanagements, das sich in den engen persönlichen Beziehungen der miteinander über Beteiligungen und Aufsichtsratspositionen verflochtenen Unternehmen bildet. Neben der Verflechtung der Unternehmen trägt auch die enge Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung sowie in der gemeinsamen Gestaltung von Technologie-Transfer, technischer Standardsetzung und beruflicher Ausbildung in den großen Industrie- und Arbeitgeberverbänden zur Verdichtung des Netzwerks interpersoneller Beziehungen bei. Über diese Netzwerke fließen Informationen über die Bonität von Unternehmen und die Vertrauenswürdigkeit ihres Managements. Auf diese Informationen stützen sich Investoren bei ihren Entscheidungen.