Florentinerpakt - Palinskis achter Fall

von: Pierre Emme

Gmeiner-Verlag, 2009

ISBN: 9783839230428 , 277 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Florentinerpakt - Palinskis achter Fall


 

2. Kapitel


Langsam tauchte der Mann wieder aus den Tiefen des an Bewusstlosigkeit grenzenden Schlafes auf. Noch ehe ihm irgendetwas bewusst wurde, registrierte sein Körper instinktiv die ungeheure Kälte in und um ihn herum und begann, unkontrolliert zu zittern. Dagegen waren das dringende Bedürfnis zu kotzen und der fürchterliche Geschmack im Mund vergleichsweise Lappalien. Die Erinnerung an die schrecklichen Besäufnisse seiner Sturm- und Drangzeit schoss ihm durch den Kopf und veranlasste ihn zu einem versuchten Lächeln. Das er aber sofort wieder abbrach, da es schreckliche Kopfschmerzen auslöste.

Verdammt, dachte Hans Garber, so einen Kater hatte er sein Leben lang noch nicht gehabt, während er mühsam versuchte, die Augen aufzubekommen.

Der erste Eindruck seiner unmittelbaren Umgebung erschreckte ihn nicht wenig. Weiß, alles weiß. Weiß, so weit das Auge reichte. War er in eine Lawine geraten? Wenn ja, dann mit seinem Wagen, denn in dem saß er offensichtlich. Ein vorsichtiger Blick nach links, durch das Fenster der Fahrertüre, ließ ihn in der Dämmerung in etwa 15 Metern Entfernung eine Gartenmauer erkennen. Zwischen der Mauer und seinem frostigen Standort führte eine schmale Straße von oben nach unten. Oder auch umgekehrt. Vor dem matten Licht der Straßenbeleuchtung war der leichte Schneefall sehr gut zu beobachten. An sich ein schönes, friedliches Bild. Auch der Gedanke, dass es heuer möglicherweise wieder einmal weiße Weihnachten geben könnte, hätte Garber Freude gemacht. Wäre ihm bloß nicht so kalt gewesen.

Die Uhr am Armaturenbrett zeigte 5.12 Uhr an, die an seinem Handgelenk dagegen bereits 7.46 Uhr.

Wieso saß er eigentlich auf dem Beifahrersitz? Mühsam schob er sich auf den Platz des Fahrers und versuchte, den Motor zu starten. Aber vergebens.

Wie er insgeheim befürchtet hatte, ließ sich der Schlüssel nicht nach vorne drehen, da er sich bereits in der Startposition befand, die ganze Zeit befunden hatte. Dass die schon vorher nicht mehr allzu frische Batterie das nicht überlebt hatte, war klar, aber höchst unangenehm. Hoffentlich war zumindest sein Mobiltelefon noch intakt, denn er musste in 14, nein, in zwölf Minuten in der Bank sein. Das Handy, das die Nacht in der doch etwas weniger kalten Brusttasche von Garbers Sakko verbracht und dabei nicht unwesentlich von den Resten der animalischen Wärme seines Besitzers profitiert hatte, bedankte sich artig für diesen Komfort und funktionierte.

Während der Banker auf das Taxi wartete, versuchte er krampfhaft, aber ziemlich erfolglos die Ereignisse der vergangenen Nacht zu rekonstruieren, um so auf den Grund für seine doch ziemlich miese, zumindest aber reichlich unwürdige Lage zu kommen. Er erinnerte sich noch an diese junge Frau, an Marlene … , ihr Nachname war ihm entfallen. Nach einigen Gläsern Weihnachtspunsch hatte sie ihn überredet, sich ihre Wertpapiere anzusehen. Vermutlich war es keine sehr gute Idee gewesen, ihrem Drängen nachzugeben. Aber die Kleine hatte es geschickt verstanden, in ihm einige Seiten anzusprechen, die er schon seit geraumer Zeit für stillgelegt gehalten hatte.

Er erinnerte sich noch, dass er ihr vor der roten Ampel an der Einmündung der Friedlgasse in die Krottenbachstraße das Du angeboten hatte. Dabei war er sich noch ganz toll vorgekommen.

»Alter Trottel«, dachte er sich, doch diese Selbsterkenntnis brachte ihn jetzt auch nicht weiter.

Etwas später, in der Hartäckerstraße, hatte ihn die junge Frau gebeten, kurz anzuhalten, um sein Angebot anzunehmen. Der bei solchen Anlässen traditionellerweise folgende Kuss war aber gar nicht »bruderschaftlich« ausgefallen. Allein der Gedanke daran erregte ihn jetzt noch. Dann hatte Marli, wie sie hatte genannt werden wollen, einen »Flachmann« aus der Tasche gezogen, um den neuen Status zu begießen. Ein kräftiger Schluck aus der kleinen Flasche aus Edelstahl, ein weiterer Kuss mit allen Schikanen und dann das beginnende Nesteln der Frau an seiner Hose, das war das Letzte, woran er sich noch erinnern konnte. Danach … Filmriss, nichts, absolute Amnesie.

Aber was solls. Jetzt musste er nach vorne blicken. In einer halben Stunde hatte er seinen ersten Termin in der Bank. Bis dahin musste er sich so weit frisch machen, dass man ihm den Umfaller der vergangenen Nacht nicht auf Anhieb ansah. Gut, dass er in seinem Büro einen Rasierapparat und ein frisches Hemd hatte. Er blickte in den Rückspiegel, um den Zustand seines Bartwuchses festzustellen. Dabei bemerkte er, dass seine Krawatte nicht dort war, wo er sie eigentlich vermutet hätte. Der offene Kragen war zwar angenehm, aber ein krasser Verstoß gegen die Bekleidungsvorschriften seiner Zunft.

Falls er jetzt noch irgendwo einen Selbstbinder besorgen musste, würde es verdammt knapp werden. Hastig fuhr er in die Taschen seines Sakkos, aber da war nichts. Wo könnte er das lästige ›Bindl‹ noch hingesteckt haben?

Inzwischen hatte ein Taxi neben Garbers Wagen angehalten. Nachdem der Banker sein eiskaltes Nachtquartier verlassen hatte, ersuchte er den Fahrer, beim ›Zur-Seite-Schieben‹ des Pkws behilflich zu sein.

»Harte Nacht gehabt, Chef?«, flachste der schäbig grinsende Taxler, während er sich daran beteiligte, den in der Mitte des Parkplatzes vor dem Neustifter Friedhof befindlichen Mercedes ordnungsgemäß abzustellen.

Nachdem Garber das erfreulich gut beheizte Taxi bestiegen und sein Fahrtziel genannt hatte, entdeckte er die Krawatte in der linken Innentasche seines Mantels. Er nahm es als gutes Omen dafür, dass sich doch noch nicht alles gegen ihn verschworen hatte. Beim Versuch, sich das gute Stück wieder um den Hals zu knoten, musste er allerdings feststellen, dass sein Hemd nicht richtig geknöpft war. Der zweite Knopf von oben befand sich im dritten Knopfloch, ganz so, als ob er sich hastig und unachtsam angezogen hätte. Einen Moment lang war Garber versucht, sich eine angenehme Erklärung dafür vorzustellen, dann überkam ihn aber ein ungutes Gefühl. Was hatte das alles zu bedeuten? Und wieso konnte er sich ab dem Moment, da Marli den einzigen Zippverschluss seiner Hose geöffnet hatte, an rein gar nichts mehr erinnern?

*

Der Experte der Feuerwehr hatte nicht lange gebraucht, um festzustellen, dass es sich bei der Gasexplosion in der Villa der Garbers um keinen bedauerlichen Unfall handelte, der auf ein Leck in der Gasleitung des Gebäudes aus dem späten 19. Jahrhundert zurückzuführen war. Am Hauptventil im Keller war kräftig manipuliert worden, und da sich die Explosion vor allem nach oben gerichtet hatte, war das Corpus delicti weitgehend unzerstört geblieben. Darüber hinaus war festgestellt worden, dass in den Schlafzimmern Benzin als Brandverstärker zum Einsatz gelangt war. Da hatte jemand absolut auf Nummer sicher gehen wollen, dachte Major »Fink« Brandtner vom Landeskriminalamt Niederösterreich. Seinen richtigen Vornamen hütete er wie ein Staatsgeheimnis, den kannte kaum jemand und verwendete keiner. Alle nannten ihn »Fink«, nicht, weil er wie ein Vogel aussah, sondern weil er im Ruf stand, äußerst gefinkelt zu sein.

Brandtner war vor zehn Minuten am Tatort eingetroffen und noch immer ziemlich sauer, dass sein Assistent Inspektor Lorenz Egger ausgerechnet heute krank sein und er daher alles allein machen musste.

Das Ganze war schlimm genug und reichte in Verbindung mit dem devastierten Tatort aus, einem die Stimmung schon am Morgen zu versauen. Als die wahren Stimmungskiller erwiesen sich dann aber die fünf bisher gefundenen Teile eines menschlichen Körpers, der wahrscheinlich einmal einer Frau gehört hatte. Die zahlreichen kleinen Fleischfetzen, die über den gesamten ehemaligen Eingangsbereich verstreut waren, waren dabei noch gar nicht berücksichtigt. Die Vermutung hinsichtlich des Geschlechtes der menschlichen Überreste verdankte die Polizei vor allem dem Umstand, dass ein noch jetzt sehr teuer wirkender Pelzmantel die enorme zerstörerische Kraft der Detonation wesentlich besser überstanden hatte als seine mutmaßliche ehemalige Trägerin.

Mehlhammer, einer der beiden uniformierten Beamten der örtlichen Polizei, war zum Major getreten. »Da ist eben eine Frau Hebsack gekommen. Sie sagt, sie wäre die Putzfrau der Garbers, denen das Haus gehört. Hat«, fügte er nach einer Sekunde noch dazu. »Jetzt gehört ihnen ja nur mehr eine Ruine. Wollen Sie mit der Dame sprechen?«

Brandtner nickte zunächst automatisch, hielt den Polizisten aber dann kurz zurück. »Sagen Sie, Mehlhammer, gibt es in dieser schönen Stadt ein Café, das um diese Zeit schon geöffnet hat? Ich kann mich ja kaum mit dieser Frau bei Minusgraden im Freien unterhalten, die erfriert mir ja.«

Und du mit ihr, dachte der Befragte, während er auf seine Armbanduhr blickte. »Das Café Berger am Hauptplatz müsste schon offen sein«, erwiderte er, »die sperren um 7.30 Uhr auf, wenn ich mich nicht sehr irre. Sie können sich aber auch in der Polizeiinspektion aufwärmen. Unsere Hermine kocht Ihnen gerne einen Kaffee.«

»Nein danke, ich glaube, ich ziehe das Kaffeehaus vor«, winkte Brandtner ab. »Ich werde mich da einmal provisorisch einrichten. Bitten Sie die Putzinger, mich in einer halben Stunde dort zu treffen. Und falls sonst noch Zeugen auftauchen, die etwas zum Thema zu sagen haben, schicken Sie die auch hin. Und geben Sie auch den Kollegen von der Tatortgruppe Bescheid.« Sprachs und machte sich auf den Weg zu einer wärmeren Umgebung.

*

»Soll ich dir noch etwas frischen Toast bringen?«, bot Palinski freundlich an, während er vom Tisch...