Letzter Gipfel - Ein Altaussee-Krimi

von: Herbert Dutzler

Haymon, 2012

ISBN: 9783709974193 , 360 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

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Letzter Gipfel - Ein Altaussee-Krimi


 

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Seit mehr als einer Viertelstunde standen Gasperlmaier und der Kahlß Friedrich jetzt schon auf der mittlerweile von immer zahlreicheren Sonnenstrahlen erwärmten Terrasse und hörten dem dumpfen Dröhnen des Hubschraubers zu, das einmal leiser, dann wieder lauter wurde und, wenn der Hubschrauber in Sichtweite geriet, nahezu ohrenbetäubend war.

„Da haben wir ein Glück gehabt, dass es doch noch so schön geworden ist, dass der Hubschrauber hat aufsteigen können!“, freute sich der Friedrich. Gasperlmaier war sich nicht so sicher, ob man es als Glück bezeichnen konnte, wenn womöglich in allernächster Zeit gleich die zweite Leiche des heutigen Tages angeliefert werden konnte, während die erste noch immer, gut verpackt, auf der Trage an der Hüttenwand ruhte. Die drei Bergretter, die sie gefunden hatten, waren mittler­weile erfolglos von ihrer Suche nach der abgestürzten Frau zurückgekehrt, hatten sich auf der Terrasse eine Bank und einen Tisch trockengewischt und warteten bei einem Bier ebenso gespannt wie die Polizisten auf die weitere Entwicklung der Dinge.

Das Knattern des Hubschraubers war inzwischen fast ganz abgeklungen. „Wenn sie aufgeben, dann fahren wir hinunter?“ Der im Schwebezustand zwischen Feststellung und Frage vorgebrachte Satz Gasperlmaiers wurde durch das wieder lauter werdende Grollen des Fluggeräts übertönt, und nur wenige Sekunden später tauchte das gelbe Rieseninsekt über dem Loser auf und sank so rasch auf Gasperlmaier zu, dass sie sich bald alle die Ohren zuhalten mussten. An einem langen Drahtseil, so konnte man jetzt deutlich erkennen, hingen eine Bergetrage, wiederum mit einer Plane abgedeckt, und ein Flugretter. Gasperlmaier befürchtete das Schlimmste. Unwillkürlich wich er zurück, als der Hubschrauber immer näher kam, obwohl er ja ohnehin im Schutz der Hütte so weit von einem möglichen Landeplatz entfernt stand, dass ihm die Rotoren keines­falls etwas anhaben konnten. Im Gleichklang griffen er und der Kahlß Friedrich nach ihren Mützen, als die Druckwelle der Rotoren spürbar wurde. Langsam senkte sich die Last gegen den Almboden zu, während der in einem orangeroten Overall steckende Flugretter Zeichen nach oben gab, wohl um zu signalisieren, in welcher Höhe er sich gerade befand. Sehr schnell ging es, und der Flugretter hatte festen Boden unter den Füßen und klinkte sich aus dem Drahtseil aus. Gasperlmaiers Uniform knatterte im Wind der Rotoren, und er versuchte, an der Hüttenwand Schutz zu suchen.

Ebenso schnell, wie er gekommen war, schoss nun der Helikopter, abenteuerlich steil nach vorne geneigt, über die Hütte hinweg. Seine Last hatte er auf dem einigermaßen ebenen Platz vor der Hütte zurückgelassen.

Die Bergretter erhoben sich von ihrem Tisch, ihnen folgte der Friedrich, zögerlich nur Gasperlmaier selbst. „Kein schöner Anblick!“, warnte sie der Mann im orangeroten Overall. Seine Stimme klang dumpf durch das Helmvisier. Gasperlmaier schrak zurück, sich der Schwarzbeernocken in seinem Magen schmerzlich bewusst werdend. „Ruf du den Doktor Walter wieder her!“, rief ihm der Friedrich zu, und, dankbar dafür, eine Entschuldigung zu haben, die neuerliche Leiche nicht begutachten zu müssen, holte Gasperlmaier sein Handy hervor. Im Gegensatz zum Friedrich, stellte er beruhigt fest, zeigte seine Anzeige zwei Striche. Er hatte ihm immer schon gesagt, dass sein Netz das bessere war, was der Friedrich aber immer wieder vehement abgestritten hatte. Gott sei Dank hob der Doktor gleich ab. Als ihn Gasperlmaier in Grundzügen informiert hatte, brummte er wenig Freundliches in die Muschel, sagte aber zu, sich auf den Weg zu machen.

Mittlerweile, so stellte Gasperlmaier fest, umstanden alle fünf Anwesenden – die drei Bergretter, der Flugretter und der Kahlß Friedrich – die Trage mit der geborgenen Leiche, während sich von der Hütte her die Jetti, der Kilian und der Bohuslav näherten, neugierig, was denn nun schon wieder vorgefallen war. Während Gasperlmaier zögerte, kamen ihm die drei aus der Hütte zuvor, drängten sich zwischen die anderen, worauf die Jetti einen Schreckensschrei ausstieß, sich die Hand vor den Mund presste und so schnell in die Hütte zurück wollte, dass sie dabei einen ihrer Schlapfen verlor, der auf der feuchten Wiese zurückblieb.

Gasperlmaier schwankte – einerseits hätte er, so wenig Interesse er an der Jetti hatte, ihr gern den Schlapfen nachgetragen, andererseits war er sich der Tatsache bewusst, dass er als Exekutivorgan die Aufgabe hatte, die Sachlage zu prüfen und zu würdigen, und nicht Kellnerinnenschlapfen durch die Gegend zu tragen. So entschied er sich für einen Kompromiss: Den Schlapfen in der linken Hand haltend, näherte er sich vorsichtig der Trage, immer bedacht darauf, hinter dem Rücken eines der Anwesenden Deckung zu finden, um das Unvermeidliche hinauszuzögern. Die Kommentare der anderen machten es ihm nicht leichter. „Grauslich!“, schüttelte der Kilian seinen Kopf. „So was kriegen wir hier Gott sei Dank selten zu sehen.“ „Ich sag’s ja!“, wiederholte der Flugretter, der mittlerweile seinen Helm abgenommen hatte, unter dem ein verschwitzter Haarschopf zum Vorschein gekommen war. „Kein schöner Anblick!“

Nun gab es für den Gasperlmaier kein Ausweichen mehr, er versuchte jedoch, seinen Blick mehr oberhalb der Trage vorbeiziehen zu lassen, gewahrte aber dennoch eine blutige Masse, in der er Einzelheiten weder erkennen konnte noch wollte, und wandte sich ab. Ein paar Schritte zum Abhang hin, einige tiefe Atemzüge und der Ausblick auf den nunmehr frei und in der Sonne daliegenden Altausseer See entspannten ihn ein wenig. Diesmal gelang es ihm, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten. Gasperlmaier ließ den Schlapfen der Jetti wieder fallen. Sollte sie sich doch selber darum kümmern.

Wenig später hörte man unterhalb der Hütte einen Motor in hoher Drehzahl heulen, und kurz darauf tauchte das Auto des Doktor Walter auf und parkte genau dort, von wo es vor weniger als zwei Stunden abgefahren war.

Grinsend stieg der Doktor aus. Der freut sich doch bloß, dachte Gasperlmaier bei sich, dass er heute gleich zweimal am Tag auf Kosten der Krankenkassa wie ein Rallyefahrer durch die Kehren herauf und wieder hinunterbrettern kann. Ohne lange zu zögern, ging der Doktor auf die Trage zu, auf der die Abgestürzte lag. Zwei der Bergretter hatten sich entfernt, um ihr Zeug zusammenzupacken und ins Auto einzuladen, nur der Flugretter und der Kastenhuber Kurt standen noch dort und rauchten. „Ich rauch nicht oft!“, meinte der Flugretter, „aber nach so einem Anblick …“

Ohne darauf einzugehen, beugte sich der Doktor Walter über die Leiche, während Gasperlmaier sich abwandte und gebührenden Abstand hielt. Längere Zeit machte sich der Doktor an der Leiche zu schaffen, ging sogar auf die Knie und nahm eine Lupe zur Hand. Gasperlmaier erstarrte, als sich der Doktor, seine weißen Handschuhe voller Blut, wieder aufrichtete: „Meine Herren!“, sagte er und machte dann, wie Gasperlmaier fand, eine bedeutungsschwangere Pause. „Eines kann ich Ihnen auf jeden Fall sagen: Die Frau ist vor ihrem Absturz ziemlich heftig gewürgt worden. Möglicherweise bis zur Bewusstlosigkeit.“ Der Friedrich atmete schwer und schüttelte ungläubig den Kopf.

Jetzt, so dachte Gasperlmaier bei sich, haben wir tatsächlich wieder einen Mordfall hier in Altaussee. Wahrscheinlich, zumindest. Es konnte gar nicht anders sein, als dass da einer die Frau gewürgt und danach oder sogar währenddessen vom Gipfelplateau über die Wand hinuntergestoßen hatte. Was Gasperlmaier sich nicht erklären konnte, war, warum er daraufhin – und es konnte ja gar niemand anderer gewesen sein – in der Loserhütte angerufen und behauptet hatte, seine Frau sei abgestürzt.

Der Friedrich trat an seine Seite. „Gasperlmaier“, sagte er, „jetzt müssen wir wen anrufen. Ob wir jetzt einen Unfall oder zwei haben oder ob da mehr dahinter­steckt, da muss auf jeden Fall wer her, der ermittelt.“ Gasperlmaier stimmte nickend zu und dachte dabei an die Frau Doktor Kohlross vom Bezirkspolizei­kommando in Liezen, die vor nicht allzu langer Zeit Bluttaten in Altaussee aufgeklärt hatte. Gasperlmaier hatte sie – als ortskundiger Führer und Berater – dabei begleitet und schätzen gelernt. Dachte er an die Frau Doktor, empfand er etwas, was, wie er meinte, seinen Gefühlen näher ging. Nicht, dass Gasperlmaier sich in die von der Statur her kleine, von der Persönlichkeit her aber fast dominierende Kommissarin verliebt hätte, ganz und gar nicht, lieben tat er seine Christine, immer noch und immer wieder, aber dennoch ließ ihn die Frau Doktor nicht unberührt. Allerdings, so dachte Gasperlmaier bei sich, war es wohl wenig wahrscheinlich, dass sie auch mit diesem Fall betraut werden würde – da unten in Liezen, da liefen die Studierten, die man in solchen Fällen unbedingt brauchte, sicherlich dutzendweise herum. Warum sollten sie ausgerechnet die Frau Doktor wieder nach Altaussee schicken – wo sie doch im letzten Fall, den sie hier bearbeitet hatte, sogar brutal zusammengeschlagen worden war und ein paar Tage im Krankenhaus hatte verbringen müssen.

Während Gasperlmaier seinen Gedanken nachhing, beendete der Friedrich sein Gespräch und brummte zufrieden: „Die Frau Doktor Kohlross schicken’s. Die wird das hier schon in den Griff bekommen.“ Gasperlmaier überrieselte eine kleine Gänsehaut der Erregung und Vorfreude. Der Friedrich, so schien es ihm, war aber hauptsächlich froh darüber, dass er die Verantwortung für den Umgang mit den beiden Leichen jemand anderem überlassen konnte. „Wir sollen einstweilen nichts verändern, die Toten bleiben an Ort und Stelle“,...