Ratgeber Traurigkeit, Rückzug, Depression - Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher

von: Gunter Groen, Wolfgang Ihle, Maria E. Ahle, Franz Petermann

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2012

ISBN: 9783840923821 , 61 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Ratgeber Traurigkeit, Rückzug, Depression - Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher


 

6 Warum werden Kinder und Jugendliche depressiv?

Gerade bei Kindern und Jugendlichen sind depressive Störungen und Symptome oft eine Reaktion auf bestimmte Lebensereignisse, besondere Belastungen im Umfeld oder auch gewisse Entwicklungsanforderungen. Diese Umstände müssen bei der Betrachtung und bei der Lösung der Probleme unbedingt beachtet werden. Natürlich spielen auch Eigenarten des Kindes häufig eine gewisse Rolle. Es ist aber sicher nicht sinnvoll oder hilfreich, eine Depression auf eine alleinige „Krankheit“ oder „krankhafte Veranlagung“ des Kindes zu reduzieren.

Nach dem heutigen Wissensstand sind für die Entstehung und den Verlauf von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen sowohl biologische als auch vor allem psychologische und soziale Faktoren von Bedeutung. Vereinfacht kann man sagen, dass es innere und äußere Umstände gibt, deren Vorhandensein die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten und die Aufrechterhaltung einer Depression erhöhen. Um das Zusammenwirken dieser Faktoren zu verstehen, sind genaue psychologische und medizinische Kenntnisse darüber vonnöten, wie unser Erleben und Verhalten beeinflusst und reguliert wird. Daher sollten bei Vorliegen von ernsten depressiven Symptomen immer Experten für psychische Störungen des Kindesund Jugendalters herangezogen werden (vgl. Kapitel 12). Diese sind in der Lage, die vorliegenden Informationen individuell zu gewichten und eine auf das jeweilige Kind und seine Familie zugeschnittene Hilfe vorzuschlagen.

Im Einzelfall können ganz unterschiedliche Belastungen, Risiken und Ursachen zu Depressionen von Kindern und Jugendlichen führen. Abbildung 1 zeigt ein einfaches Erklärungsmodell der Entstehung und Aufrechterhaltung depressiver Störungen, das auf dem heutigen Erkenntnisstand aufbaut. Dabei interessieren uns besonders die Antworten auf folgende Fragen:
1. Was macht anfällig für das Auftreten von Depressionen?
2. Was löst Depressionen aus?
3. Was hält Depressionen aufrecht?

Die Antworten müssen für jeden Einzelfall individuell gefunden werden. Auf die wichtigsten aktuellen Erkenntnisse wird im Folgenden kurz eingegangen.

Genetische Veranlagung

Depressionen können in Familien gehäuft auftreten. Dies ist neben anderen Gründen auch auf mögliche Einflüsse der Vererbung zurückzuführen. Sind enge Verwandte betroffen, ist die Gefahr, selbst eine Depression zu entwickeln, etwas erhöht. Bei eineiigen Zwillingen steigert sich das Risiko, dass beide an einer Depression erkranken. Dies zeigt, dass genetische Faktoren bei der Entstehung depressiver Störungen eine Rolle spielen können. Wie groß und bedeutend der Einfluss der Gene ist, ist aber gerade bei Kindern und Jugendlichen bisher noch ziemlich unklar. Nach heutigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass die Veranlagung vor allem bei schweren und chronischen Depressionsformen eine größere Rolle spielt als bei leichten und mittelgradigen. Eltern, die unter Depressionen leiden, sind aufgrund der psychischen Störung oft nicht mehr so gut in der Lage, angemessen auf die emotionalen und sozialen Bedürfnisse ihrer Kinder einzugehen. Sie sind selbst besonders belastet und gefordert (vgl. Kapitel 10). Somit kommt neben der Veranlagung immer auch äußeren Einflüssen große Bedeutung zu.

Stoffwechselund Funktionsveränderungen im Gehirn

Viele Studien deuten darauf hin, dass depressive Symptome auch durch Stoffwechselveränderungen im Gehirn begünstigt oder davon begleitet werden können. Chemische Botenstoffe (sogenannte Neurotransmitter wie z.B. Serotonin und Noradrenalin), welche die Stimmung positiv beeinflussen, sind im Ungleichgewicht. Depressive Patienten weisen oft eine geringere Konzentration dieser Botenstoffe auf, wobei das Ausmaß der betroffenen Neurotransmitter-Systeme individuell unterschiedlich sein kann. Mit dieser Stoffwechselveränderung sinkt die Fähigkeit, Empfindungen wie Freude oder Zufriedenheit zu verspüren und negative Gefühle können die Oberhand gewinnen. Es ist jedoch bis heute nicht klar, ob diese Veränderungen Ursache, Begleiterscheinung oder Folge einer Depression sind. Im Blut und Urin von einigen depressiven Patienten wurde auch eine zu hohe Konzentration des Stresshormons Kortisol gefunden. Allerdings deuten auch hier die Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Veränderungen nicht ursächlich und auch nicht spezifisch für Depressionen sind. Neuere neurowissenschaftliche Forschungsbefunde, auf der Grundlage von bildgebenden Verfahren, zeigen bei Betroffenen während einer …