Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

von: Karl Hohenthal

Heyne, 2012

ISBN: 9783641070564 , 512 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,99 EUR

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Hadschi Halef Omar im Wilden Westen


 

ZWEITES KAPITEL


Der Königlich Bayerische Mundkoch


Wir können uns glücklich schätzen, daß dieser grausame Krieg sich seinem Ende zuneigt. Ungeheure Opfer an Mitteln und Blut hat er uns abgefordert. Er hat sich freilich auch als eine Stunde der Bewährung erwiesen, doch sehe ich für die nahe Zukunft eine Krise heraufziehen, die mich zutiefst beunruhigt und um die Sicherheit meines Landes befürchtet sein läßt. Als eine Folge des Krieges haben sich Unternehmen inthronisiert, die eine Ära der Korruption nach sich ziehen werden. Alles werden diese Geldkreise tun, um ihre Herrschaft zu erhalten; sie werden die Voreingenommenheit des Volkes ausnutzen, bis aller Reichtum sich in einigen wenigen Händen gesammelt hat und die Republik am Boden liegt. Mehr denn je empfinde ich darum Sorge um die Sicherheit meines Landes, selbst mitten im Kriege. Gebe Gott, daß meine Befürchtungen sich als grundlos erweisen.

Dieser Brief vom amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln wurde kurz nach seinem tragischen Tode bekannt, ein Brief, mit welchem er sich am 21. November 1864, also noch im Bürgerkriege, an den Colonel William F. Elkins gerichtet hatte. Kaum je ist von seiten eines Staatslenkers deutlicher Sorge laut geworden, die zumeist im Heimlichen agierenden Finanzkräfte eines Landes könnten dasselbe zu übernehmen trachten. Daß ein Mann wie Lincoln, als Anwalt mit Raffinessen vertraut, sich gegenüber einem Militär – jenem Colonel Elkins – über besagte Geldkreise ausließ, mag dem Leser als Beweis dienen, wie sehr gerade die Vereinigten Staaten von Amerika aus einem einzigen Ringen um Geld und Macht bestehen; sein Beispiel belegt aber auch, wie wenig leider selbst ein Präsident, und sei es ein so kluger, fähiger Mann wie Lincoln es gewesen, gegen das Kapital aufzukommen vermag. Wer waren diese Selbstinthronisierten, die Korrupten, die Volksaufwiegler, von denen der Sohn armer, gläubiger Auswanderer so vorsichtig, beinahe ängstlich gesprochen hatte? Er selbst, geboren und aufgewachsen in einer Blockhütte in Kentucky, für kaum länger als ein Jahr überhaupt auf einer Schule, Lincoln selbst verachtete das eigensüchtige Anhäufen von Geld, wohl weil dieser Mann ein so aufrechter, ehrlicher und gottesfürchtiger Mensch war, der den Irrweg des Dollars in noch mehr Blut und Rauch enden sah. Der Amerikaner verherrlicht ja geradezu seinen »amerikanischen Weg«, auf welchem, wie behauptet wird, ein jeder zu Glück und Reichtum gelangen könne, so er nur strebsam und fleißig genug sei.

Wie wenig jedoch dies für alle Bürger, um so mehr dafür für wenige der genannten Selbstinthronisierten zutrifft, kann ein jeder sich ausrechnen; selbst ein an Öl und Erzen reiches Land wie Amerika macht nicht aus jedem seiner Bewohner, sei er noch so strebsam, einen Millionär.

Und da ist es auch schon gefallen, dies kleine und doch so kostbare Wort: Erz!

Waren es bisher in unserem Jahrhundert Gold und Silber gewesen, welche die Spekulanten immer tiefer ins nordamerikanische Urland gezogen hatten, so wurden nun, fünf Jahre nach dem Ende des Krieges zwischen Nord und Süd, ganz andere Reichtümer entdeckt. Industrielle und Finanziers taten sich zusammen, gewaltige Konsortien entstanden. Mit Macht und Rücksichtslosigkeit warfen diese sich auf die Ausbeutung von Eisen-, Zink- und Kupfervorräten.

Überall auf dem Kontinent entstanden Minen, tiefe Wunden wurden in die Erde gebohrt, gesprengt, gegraben. Seither bildet der Bergbau, neben der Förderung des erst seit kurzem wertgeschätzten Öls, die sicherste Möglichkeit, verhältnismäßig rasch unermeßlichen Reichtum anzuhäufen. Daß dies auf Kosten der Landschaft sowie der Menschen und Tiere darin gehen muß, versteht sich von selbst, doch kümmert es raffgierige Gemüter nicht. Noch genügt das Wort Fortschritt, um jeden Kritiker zum Verstummen zu bringen, und wer sich dieser Gleichmacherei einmal »freiwillig« unterworfen hat, sei es als Arbeiter, als Miner oder als von beiden profitierender Geschäftsmann, der nimmt diesen schrillen metallischen Ton ebenfalls in sich auf und formt ihn sich um zu einem fröhlichen Pfeifen: Mir geht es gut, was kostet die Welt?

Schon umspannen die Vereinigten Staaten von Amerika den halben Kontinent. Derart groß ist dieser Verbund, daß er schon Abermillionen Flüchtlinge, Abenteurer und Glückssucher in sich aufnehmen konnte, ohne daß es darin eng würde. Denn üppiger als an Weite ist dieses Land ja an innerer Größe. Ohne Ansehen der Person und ohne Fragen nach dem Woher und Wohin, ohne in jemandes Geldbeutel zu sehen oder in ihm zu wühlen, kann ein jeder sich darin frei bewegen, und zwar nach allen Himmelsrichtungen, zu jeder beliebigen Zeit, in jeder beliebigen Weise – konnte je ein in deutschen Landen, in Frankreich, Italien oder Spanien lebender Mensch das gleiche von sich behaupten?

Seit einem knappen Jahrhundert erst wird man als Amerikaner weniger geboren als vielmehr dazu gemacht, und es gibt kaum jemand, der dieser Gunst nicht teilhaftig werden möchte, am wenigsten in unserem nun Alte Welt genannten Europa, wo jeden Tag der Hunger und die Armut, namentlich aber die Geißel der Unfreiheit die Menschen an die Überseehäfen und über den Atlantik treibt.

Das Wort Amerika, es klingt in den Ohren wie ein wahr gewordenes Märchen, es leuchtet in den Gedanken von früh bis spät als Inbegriff bislang vorenthaltenen Wohlstandes, es gilt als ein Schutzwort für Freigeister, es scheint sprichwörtlich auf seine Eroberung zu warten als das »Land der Freien«. So hofft ein jeder, seine Not, gleich welcher Art, an den Gestaden der »großen Verlockung« in Glück zu verwandeln. Nicht die schlimmsten Entbehrungen, nicht der schockierendste Bericht über das alltägliche Hauen und Stechen der Gegensätze an der »neuen Grenze« kann Neuankömmlinge schrecken. Wer in Amerika anlandet, empfindet sich von Stund an als ein Auserwählter, mögen noch so viele Löcher in seinen Schuhen und Kleidern klaffen. Wie von einem heiligen Glanze umgeben, wirken diese Unerschrockenen, und was der Geschichte, die sie von nun an selber in ihren Briefen fortspinnen, an Wahrheit fehlt, das fügen zu Hause deren Empfänger hinzu: Ame-ri-ka! – – – –

Zu den eigentlichen Häfen der Vereinigten Staaten waren die sogenannten Frontstädte geworden. Als solche bezeichnete man jene am schnellsten und am weitesten in die Wildnis vorgeschobenen Orte, die in ihrem kaum glaubhaft schnellen Wachsen von ein paar Blockhäusern zur Siedlung und von da an zur Stadt ungeheure Mengen an Menschen und Material anzogen.

Ich selbst war erst vor einigen Monaten, geradewegs aus dem Orient kommend, in das Land zurückgekehrt. Nun befand ich mich, nach einer Zeit fleißigen Schreibens in verschiedenen Städten entlang der Ostküste, auf dem Wege zu eben einer solchen Frontstadt. Vorausschicken muß ich, daß man vielerorts meinen zivilen Namen als Reiseschriftsteller schon kannte, unter welchem ich, des Broterwerbs halber, für gewöhnlich in Erscheinung zu treten pflegte. Warum ich es mir nicht leichter machte und meine Berichte nicht mit meinem sehr viel bekannteren, ja berühmten Westnamen, nämlich Old Shatterhand, zeichnete, was mir gewiß besseres Salär eingetragen hätte?

Lieber Leser, von jeher und mit Vorbedacht trage ich Sorge dafür, mir ein gewisses Geheimnis zu bewahren. Heutzutage, da der »singende Draht«, der Telegraph, alles mögliche an die Öffentlichkeit trägt, da ist dies letzte Gärtchen namens Privatheit der kostbarste Ort, den ein Mensch unserer Zeit überhaupt haben kann. Ich will nicht, daß ein jeder alles von mir weiß. Der Schriftsteller tut sich da leicht, ich gebe es zu. Als letzten Klecks unter sein Geschriebenes setzt er einen Namen, welcher immer ihm behagt. Wichtig ist allein, daß die ihm dafür gezahlten Geldscheine nicht in dem gleichen Gedanken gefertigt wurden. Nochmals betone ich, daß es mir dabei nicht um Geheimniskrämerei zu tun ist, nein. Ganz für sich sein zu können, obwohl man, durch seine Schriften, mit Zigtausenden sozusagen korrespondiert, das ist die wahre Freiheit, dies will ich gewahrt wissen. Womöglich wird, wer sich heute mit seinem guten Namen verschwendet, eines Tages genauso denken, ja meiner Überzeugung nach wird man spätestens in einhundert Jahren gelernt haben, wie wichtig die sprichwörtliche eigene Tür ist, hinter der gefälligst ein jeder selbst kehre. Es besteht für mich kein Zweifel, daß in folgenden Generationen jedem Individuum aufgehen wird, wie kostbar doch das Mysterium der ebenfalls sprichwörtlichen eigenen vier Wände ist.

Denn für mich, den damals ständig Reisenden, konnte es keine größere Sicherheit geben, als mich in persönlichen Dingen bedeckt zu halten. Ein so bekannter – ich darf auch sagen: beliebter – Westmann wie Old Shatterhand zu sein, das bedeutete eben auch, allerorten in Anspruch genommen zu werden. Als eine solche Figur findet man sich allzubald vereinnahmt. Pflichten werden an einen herangetragen, welchen man sich kaum entziehen kann, will man nicht als unhöflich gelten; Kleinkinder sollen geherzt, Veranstaltungen eröffnet werden. Jeden noch so hanebüchenen Anlaß muß der eigene Name überstrahlen. Irgendwann stellt man fest, nicht mehr Herr seiner Zeit zu sein. Der Leib schwillt einem, der Kamm auch, denn von allen Seiten kriegt man Löffel in den Mund gestopft. Der Kopf aber wird leer, denn über welche Nichtigkeiten bei derlei Gesellschaften geplappert wird, dies darzulegen erspare ich mir und dem Leser.

Dennoch – hätte ich geahnt, welche Folgen mein schriftstellerisches und westmännisches Doppelleben zeitigen würde, ich schwöre, ich hätte nicht gezögert, mir einen ganzen Strauß von Identitäten zuzulegen. Lieber wäre ich als ein...