Schwarztee - Kriminalroman

von: Anni Bürkl

Gmeiner-Verlag, 2009

ISBN: 9783839234129 , 320 Seiten

8. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 10,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Schwarztee - Kriminalroman


 

2


Old English Breakfast Tea


Sie erwachte von einem Schrei. Der Laut steckte ihr rau und schmerzhaft in der Kehle. Sie öffnete die Augen. Ihr Herz klopfte. Der Mund, noch immer geöffnet. Berenike blinzelte. Sonnenschein. Katzenhaarekitzeln.

Tot.

Er war endlich tot.

Bestraft. Für alles.

Die Bilder der Nacht tummelten sich auf ihrer Netzhaut. Helle kurze Haare, wie sie sich in schwarze Locken verwandelten, die dunkle Wangen umrahmten. Todeswangen. Gesichtszüge schoben sich ineinander, schnürten ihr die Luft ab, die Lebensluft. Sie hatten den Tod verdient. Alle.

Dem Blonden hatte sie den Tod gewünscht. Blond, immer dieses Blond. An seiner Stelle war der Dunkle gestorben. Sein Grinsen – wie das Grinsen jenes anderen Mannes. Nein, sie wollte seinen Namen nicht aussprechen.

Die Sonne zauberte Funken in die Luft, verwandelte Staub in Gold. Berenike berührte kurz die nackte Haut ihres Bauches unter der Decke. Sie blinzelte zum Wecker – 12 Uhr, das konnte nicht stimmen. Er musste stehen geblieben sein. Sie streckte sich, rieb sich den Schlaf aus den Augenwinkeln. Wollte den Traum wegwischen. Für einen Moment hatte sie geglaubt, in ihrem alten Leben gelandet zu sein. Schlimmer noch, es nie hinter sich gelassen zu haben. Im Traum hatte Berenike wieder als erfolgsverwöhnte Eventmanagerin gearbeitet. Ein Kunde war tot umgefallen, mitten im Meeting. Hatte mit den Händen gewedelt, als würde er ihr zuwinken. Nicht, dass er ihr leidgetan hätte, nicht einmal im Traum. Aber …

Schluss jetzt mit dem depressiven Zeug. Mit einem Schwung warf sie die Decke von sich und wollte nach den Hausschuhen fischen. Ein Pfotenhieb war die Antwort.

»Welcher Tiger pennt heute auf meinen Patschen?« Ein Blick unters Bett bestätigte den Verdacht: Marlowe, der kampflustigste Kater. Die beiden anderen, Spade und Dr. Watson, waren sicher noch am Schlummern. Berenike war als geborene Städterin froh, wenn die Miezen ihre Nächte im Haus verbrachten. Sie konnten hinter ihrem Kuschelfell den Übeltäter nicht ganz verbergen. Marlowes wachsame grüne Augen zwinkerten. Eine Vernehmungstaktik musste her.

»Na, Süßer, machen wir ein Geschäft?«

Ein weiterer Pfotenhieb war die Folge, diesmal mit mehr Kralleneinsatz.

»Ohne Hausschuhe kann ich auch nicht in der Küche nach deinen Leckerlis suchen.« Sie lachte, musste husten. Es gab nichts zu lachen, erst recht nicht seit dem gestrigen Vorfall.

Von all dem ahnte der rot-weiße Garfield-Verschnitt nichts. Marlowe war ein erfahrener Taktierer. Sie zog die Filzpantoffeln langsam unter dem Tierkörper hervor. Die Katze lief mit vorwurfsvollem Blick davon, setzte sich in einen Sonnenfleck und putzte sich das Fell. Von draußen war das Starten eines Traktors zu hören. »Immer fleißig, gell?« Eine tiefe Männerstimme. Kinderlachen, Vogelstimmen.

Der alte Holzboden knarrte, als hätten die Bretter eine Aussage zu machen, während Berenike aufstand und das Handy einschaltete. Na eben, erst acht vorbei. Im Vorzimmer stieß sie mit dem Fuß gegen irgendein Zeug. Sie erstarrte. Sah sich um, ohne sich zu rühren. Es roch ein wenig komisch, sie atmete flach. Wer weiß, was das wieder war! Sie gewöhnte sich nur langsam an das Landleben. Ein Neuanfang im Alter von 36 Jahren war eben nicht leicht. Das Räucherzeug von letzter Nacht war vor der Kommode liegen geblieben, vielleicht hatten die Katzen damit gespielt. Sie musste sich später darum kümmern. Missetäter identifiziert, über das Urteil musste sie noch nachdenken.

Sie nahm die Butter aus dem Eiskasten und ging ins Bad. Die ätherischen Öle des Duschbads beruhigten Muskeln und Geist. Durch das Wasserpritscheln vernahm sie das Läuten des Telefons. Wahrscheinlich die Polizei. Seis drum, sie hatte aus gutem Grund einen Anrufbeantworter. Noch im Bademantel bereitete sie schwarzen Tee zu, eine Mischung mit dem passenden Namen ›Old English Breakfast‹. Dazu Brot, Butter und hausgemachte Marillenmarmelade von einer Bäuerin in der Nähe. Sie hatte ihre fixen Rituale. Duschen, Teetrinken, Meditation für den Erfolg des Tages. Tee, Cha, čaj – wer hätte früher gedacht, dass sie sich zur Teeliebhaberin entwickeln würde! Ohne literweise Kaffee hatte sie den Tag nicht zu überstehen geglaubt. Hatte jeden müde belächelt, der Dinge von sich gab wie ›Wenn du es eilig hast, gehe langsam‹. Wie sich die Zeiten ändern. Teetrinken war zur Philosophie ihres Lebens geworden. Tee trinken und den Lärm der Welt vergessen.

Während sie wartete, dass das Wasser kochte, drückte sie die Abspieltaste des Anrufbeantworters. »Hallo Berenike«, krächzte die Stimme ihrer Mutter, der Anruf war von gestern. Sie musste später zurückrufen. Danach ein Krachen und Klicken, gefolgt von einem Stöhnen. Aufgelegt. Ging das von vorne los? Sie musste diesem Menschen endgültig den Wind aus den Segeln nehmen.

Kater Marlowe beschattete einstweilen die Butter. Berenike setzte sich und bot ihm ein Stück davon an. Huldvoll schleckte eine raue rosa Zunge das Fett von ihrem Finger.

»Na, Marlowe? Was machen wir mit diesem Fall?« Der Kater enthielt sich der Aussage.

Nach dem Frühstück war es Zeit, ins Lokal zu fahren. Sie legte Wert darauf, pünktlich aufzusperren, die Gäste sollten sich trotz allem auf sie verlassen können. Auf dem Holzbalkon stellte sie sich für einen Moment breitbeinig hin, ließ ihren Atem fließen. Auch und gerade an einem Morgen wie diesem. Die klare Luft war gut, aber kühl. Die Sonne schien, als könnte ihr nie ein Regenschauer dazwischenkommen. In Gedanken versunken sah Berenike zu König Dachstein. Schneefinger bis weit ins Tal. Obwohl bereits Mai war, hatte es kürzlich einen Kälteeinbruch gegeben. Das alpine Klima zeigte sich im Salzkammergut gern launenhaft, das hatte sie lernen müssen. Nach kurzem Überlegen entschied sich Berenike für ihre Hose mit den gelben Sonnenblumen. Sie wickelte sich ihren roten Baumwollschal um den Hals, bevor sie in die Lederjacke schlüpfte. Gelb fördert die Konzentration, Rot die Kreativität – beides würde ihr bei den Recherchen zu den Ereignissen von letzter Nacht helfen. Sie hatte nicht vor, stumm alles hinzunehmen, diesen Fehler würde sie kein zweites Mal machen. Der Polizei war nicht zu trauen, nicht mehr.

Sie schnappte Geldbörse und Handy. Ein Anruf in Abwesenheit, sie tippte auf die Tasten. Nummer unbekannt. Ein Schauer wanderte ihr Rückgrat hinauf, kräuselte ihren Scheitel.

Müde und aufgeregt zugleich verließ Berenike die Wohnung im ersten Stock des alten Hauses und tappte die Holzstiege hinunter. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Für Styling war wie so oft keine Zeit geblieben. Die Hausbesitzerin kam aus ihrer Küche geschossen. Ein Geruch nach kochender, womöglich überkochender Milch waberte um sie herum. Über ihrem alten Dirndl trug Frau Gasperl eine blaue Arbeitsschürze. Berenike hatte mehrmals ihren Blick erhascht, wie sie ihre Mieterin kritisch beäugte. Die ältere Frau hatte wohl noch nie mit Feng-Shui und dergleichen zu tun gehabt.

›Bisher war mit dem Haus immer alles in bester Ordnung‹, hatte Frau Gasperl angemerkt, als ein asiatischer Fachmann Berenikes neue Wohnung inspiziert hatte. Es war schwer genug gewesen, einen Spezialisten wie ihn ausfindig zu machen, da wollte sie sich ihre Pläne nicht durch Frau Gasperl zunichtemachen lassen. Später hatte sie mit der älteren Dame um eine Buddhastatue gerungen, die Berenike in einer Nische der Treppe aufgestellt hatte. Schließlich sei das hier ein katholisches Haus, hatte die Vermieterin betont. Sie hatten sich auf einen Kompromiss geeinigt: Die Statue kam neben Berenikes Wohnungstür, wo niemand außer ihr und ihren Gästen sie sehen konnte.

»Frau Roither!« Die ältere Frau war beim Sie geblieben, obwohl das in dieser Gegend kaum üblich war. Nur Fremden gegenüber, Sommergästen, deren Aufenthalt nur von kurzer Dauer war, verwendete man die unpersönliche Anrede. Die Einheimischen duzten sich traditionell. Die Vermieterin hatte offenbar noch nicht entschieden, zu welcher Rubrik Berenike gehörte.

»Ich hab gehört, was letzte Nacht in Ihrem Lokal passiert ist! Das muss ja furchtbar sein!« Frau Gasperl hielt sich die Hand vor den Mund, den plötzlich aufgerissenen.

»Ja, das ist – einfach ist es nicht …« Das gestrige Geschehen explodierte wie heiße Sterne in Berenikes Kopf.

»Sie sehen blass aus! Wollen Sie sich einen Moment zu mir setzen?«

»Ich muss arbeiten, Frau Gasperl.« Wie albern sie sich gestern aufgeführt hatte, während die Polizisten mit ihren großen, rauen Händen nach zerbrechlichen Tassen und Kannen gegriffen hatten. Das Geschirr war ihr Kapital, gekauft von jenem dreckigen Geld, das dennoch kein Preis war, kein Preis für …

»Aber ich hätte gerade frischen Kuchen.«

»Danke.« Berenike bemühte sich um ein Lächeln, es schmerzte in den Kieferknochen.

»Ist es wahr, dass …«

»Frau Gasperl, es tut mir leid.« Sie versuchte, sich an der anderen vorbeizudrängen.

»Dass die Finger des Toten …«

»Die Finger, ja …« Berenikes Hände waren die ganze Nacht gegen Dinge geflogen, alles Mögliche war zu Bruch gegangen. Immer wieder hatte sie wie unter Zwang ihre eigenen Hände betrachtet, Hände mit intakten Fingergliedern.

»Schrecklich. So ein Ende. Wer macht so was?«

»Ich muss wirklich los.«

»Natürlich.« Jetzt gab Frau Gasperl die Tür frei. »Sie sind jung, da hat man viel zu tun, jetzt erst recht …« Die ältere Frau biss sich erschrocken auf die Unterlippe. »Ich wünsch Ihnen wirklich nichts Schlechtes!«

»Schon gut.«

Frau...