König Artus - Mythos und Geschichte

König Artus - Mythos und Geschichte

von: Arnulf Krause

marixverlag, 2021

ISBN: 9783843806664 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 7,99 EUR

Mehr zum Inhalt

König Artus - Mythos und Geschichte


 

1. WER WAR ARTUS? FACTS, FICTION, FANTASY


Artus, der Jahrtausendheld


Wer kennt sie nicht, die Geschichte des britischen Mythenkönigs Artus: mit Zauberkraft gezeugt, als unerkannter Königssohn großgezogen, als kaum beachteter Knappe derjenige, der das Schwert Excalibur aus Amboss und Stein zieht – und damit zum König und Retter Britanniens wird. Ein heldenhafter Herrscher, der an seinem glanzvollen Hof Camelot die Ritter der sagenhaften Tafelrunde versammelt, darunter Lanzelot, Galahad, Gawain und Parzival, die ihre eigene Heldengeschichte erleben. Wie auch der geheimnisvolle Zauberer Merlin, der Artus berät, dessen Träume er deutet und der seine Prophezeiungen verkündet. Aber die Herrschaft des Königs endet tragisch: Er sieht sich gezwungen, seinen verräterischen Sohn Mordred zu töten und findet dabei selbst den Tod. Seine Frau Ginevra hat ihn mit dem edelsten Ritter Lanzelot betrogen, in Camelot machen sich Zwietracht und Streit breit. Die Gemeinschaft der Tafelrunde bricht auseinander, als sich ihre Ritter auf die Suche nach dem mysteriösen Gral begeben. Und Artus? Er soll gar nicht gestorben, sondern schwer verwundet auf einem Schiff von mythischen Frauen ins ferne Avalon gebracht worden sein. In dieser Form und mit zahlreichen Varianten und Nebengeschichten erzählte man sich die Artussage in vielen europäischen Ländern vom 12. bis ins 15. Jahrhundert. Seit 200 Jahren wird der Stoff vermehrt aufgegriffen und immer wieder aufs Neue dargestellt: als literarischer Text, in den bildenden Künsten und in den Genres des Hollywoodfilms und der digitalen Medien. König Artus erweist sich als Jahrtausendheld, der immer noch und immer wieder sein Publikum findet.

Eines der jüngeren Zeugnisse dieses anhaltenden Interesses ist die Verfilmung King Arthur: Legend of the Sword, die der britische Regisseur Guy Ritchie (*1968) 2017 präsentierte. Eine actionreiche Version mit hohem Tempo, deren Szenerien wenig mit Höfisch-Ritterlichem zu tun haben und umso mehr mit archaischen Fantasy-Welten, in denen sich der Held lange als Underdog bewegt, der unwillig ist, das Legendenschwert zu ergreifen. Viele Figuren und Details erzählt die Filmstory anders und ungewohnt. Gleichwohl bekundete Guy Ritchie seine enge und fast lebenslange Vertrautheit mit dem Stoff, der zu den fest verankerten englischen Erzählungen gehört (obwohl er ursprünglich eine keltische Geschichte ist, in der die Vorfahren der Engländer das Feindbild abgeben, doch dazu in diesem Buch mehr). Am Ende des Films rückt eine Art Tafelrunde ins Blickfeld, was darauf deutet, dass weitere Artusfilme geplant sind, die sich dann zu einem »Tafelrunden-Universum« vereinigen könnten (Berliner Morgenpost, 9. Mai 2017).

Auch im Rheinland hörte man gern von den Geschichten des britischen Königs und das bereits vor 800 Jahren. Ein anschauliches Zeugnis bringt der Zisterziensermönch Caesarius (ca. 1180–1240) aus dem Kloster Heisterbach nahe Bonn in seinem Dialogus Miraculorum (»Dialog über Wunder«, um 1220). Demzufolge habe sich der Abt während einer Predigt über seine unaufmerksamen und schläfrigen Mitbrüder geärgert. Zur Abhilfe habe er sich unterbrochen und direkt an die Zuhörer gewandt: »Hört, hört, Brüder! Ich weiß euch eine schöne neue Geschichte: Es war einmal ein König, der hieß Artus […]« (Distinctio 4, cap. 36). Sofort konnte er sich einer mehr als hohen Aufmerksamkeit sicher sein. Guy Ritchie und Caesarius von Heisterbach bezeugen die Popularität der Artussage über die Jahrhunderte. Zweifelsohne wird die Geschichte stets aufs Neue erzählt und variiert werden. Zudem wird im Folgenden zu zeigen sein, dass sie weit über Caesarius zurückreicht – wahrscheinlich um 700 Jahre.

Die Artuswelt: Höfische Pracht, Mythen und Esoterik


Die Artussage wächst im Laufe ihrer Überlieferung zu einer regelrechten Artuswelt heran, die außer ihren Ursprüngen allerlei Figuren, Motive und Requisiten an sich bindet. Manches davon mag inselkeltischer Herkunft sein und sich für die Rezipienten der letzten zwei Jahrhunderte mit der vielberufenen Magie des britischen Nordens verbinden: Avalon, Merlin, Feen und Anderweltkreaturen gehören dazu, womöglich sogar die Gralsvorstellung, die aber auch zutiefst mit dem Christentum verbunden ist. Jedenfalls ist der Figur des Artus ein archaisch-mythischer Zug nicht fremd, der zu vorchristlichen Stammesgemeinschaften und ihrer Religion führt. Auf den ersten Blick bietet sich die Artuswelt jedoch in einem höfischen Umfeld dar, wie es in der Ritterkultur des hohen Mittelalters verwurzelt ist. Verantwortlich für diese Dominanz ist vor allem der Engländer Sir Thomas Malory († 1471), dessen Werk über Artus und die Ritter der Tafelrunde nicht nur den fulminanten Schlusspunkt der mittelalterlichen Artusliteratur setzt, sondern auch als umfangreichster Text dieser Literatur eine ergiebige Quelle der Artuswelt bietet. Ihm kam zugute, dass es 1485 mittels des neu erfundenen Mediums des Buchdrucks publiziert wurde – dies war der Anfang seiner heutigen Erfolgsgeschichte, bietet es doch den bis dahin arg verwickelten und zersplitterten Stoff als geschlossenes Ganzes, das zudem gut lesbar ist. Artusfilme verweisen darum gern im Abspann auf Thomas Malory als Quelle.

Zumeist folgt man ihm auch in der Darstellung Camelots als höfische Welt, die den Idealen der Ritterkultur verpflichtet ist. Sie äußern sich in einer prächtigen Szenerie voll von aristokratischem Luxus und geprägt von religiöser Inbrunst. Die Ritter der Tafelrunde feiern mit ihren edlen Damen in Festsälen bei Wein und Gesang; deren kultivierte Sitten prägen das Bild einer höfischen Festkultur. Den eigentlichen Höhepunkt bilden die Turniere, in denen die Ritter ihre Kampfstärke messen. Camelot symbolisiert diese Kultur auf höchste Weise und bezieht dabei notwendigerweise höfische Bildung und ritterliche Tugenden wie Freigebigkeit und Tapferkeit mit ein. Thomas Malorys zivilisierte Artuswelt bietet jedoch aus der modernen Perspektive alles andere als ein rationales Bild, ist sie doch von ritualisierten Obsessionen durchdrungen: Dazu gehört die Aventiure-Sucht der Ritter, die geradezu zwanghaft Camelot verlassen, um Abenteuer zu bestehen – bestenfalls mit einem Gegner von gleichem Stande (vgl. Kap. 2). Aber diese teilweise symbolisch verrätselte Artuswelt der höfischen Kultur lässt immer wieder das andere durchschimmern, das erheblich älter ist und sich auf die oben angesprochenen mythisch-magischen Wurzeln der Inselkelten zurückführen lässt. Deren Gestalten tauchen aus den dunklen Winkeln der Natur auf, aus Wäldern, Höhlen und Gewässern. Figuren wie der Zauberer Merlin und die Fee Morgane repräsentieren offensichtlich eine ganz andere Seite der Artuswelt, gewissermaßen deren Tiefe – worauf sich etwa die amerikanische Autorin Marion Zimmer Bradley (1930–1999, vgl. Kap. 3) bezieht.

Folglich haben Forscher und Interpreten Artus nicht nur als mehr oder weniger säkulare Heldengeschichte mit einem mutmaßlichen historischen Kern verstanden, sondern auch auf einer mythischen wie archetypischen Grundlage. Demnach wären der Sagenkönig und seine Ritter vielleicht auf keltische Gottheiten zurückzuführen und böten somit ebenso eine Erklärung über die Ursprünge der Welt. Tiefenpsychologisch-esoterisch (diese Verbindung mag man mir hier nachsehen) kann etwa die Gralssuche des jugendlichen Helden als eine archetypische Suchbewegung des Menschen begriffen werden. Der Artusstoff verbindet jedenfalls wirkliche oder imaginierte historische Wahrheit mit paganen und christlichen Elementen, mit höfischer Dichtung und reicher Fantasiegestaltung. Auch Märchen und Mythen lässt er sich zuordnen, bis er schließlich als reichhaltige und tiefgründige Quelle der populären Fantasy-Kultur dient.

Der König als Held unter Helden


Unbestritten muss Artus als Heldengestalt gesehen werden, die sich in ihrem höfischen Gewand einer langen Reihe von Helden und Heldinnen zuordnen lässt. Keine Kultur kommt anscheinend ohne Gottheiten und Heroen aus, deren Beziehungen untereinander sehr unterschiedlich artikuliert werden. Die homerischen Helden um Hektor und Achill sind ebenso wie der spätere Herkules der Götterwelt eng verbunden, bis hin zum Status des Halbgottes. Die inselkeltischen Helden Irlands wie der legendäre Cú Chulainn weisen hingegen größere Distanzen zum Göttlichen auf, während es in der germanischen Überlieferung bei Dietrich von Bern, Siegfried oder Beowulf nicht mehr greifbar ist respektive als hochmittelalterliche fiktive Ausschmückung auftritt. Held und Heldin sind allerdings grundsätzlich außergewöhnliche Menschen, die positiv wie negativ bewertet werden. Zu ihren bemerkenswerten und sie heraushebenden Charakteristiken gehören unter anderem Herkunft und Geburt (bei Artus dient Merlins Magie als Unterstützung seiner Zeugung), eine Jugend im Verborgenen, die in eine außerordentliche Tat mündet (das Schwert im Stein), Tapferkeit im Kampf, aber auch das tragische Ende (Zerfall der Tafelrunde und Artus’ Fall). Der...