Sprache, Mathematik und Naturwissenschaften

Sprache, Mathematik und Naturwissenschaften

von: Gabriele Fenkart, Anja Lembens, Edith Erlacher-Zeitlinger

Studienverlag, 2021

ISBN: 9783706561365 , 288 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 27,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Sprache, Mathematik und Naturwissenschaften


 

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Zweit- und Fremdsprache im Fachunterricht


Spracherwerb im mehrsprachigen Klassenzimmer


Elisabeth Langer*


Spracherwerb im Naturwissenschaftsunterricht in Klassen mit Migrationshintergrund


1. Einleitung


Sprache ist das wichtigste Medium des Lernens und Lehrens. Die Beschreibung und Vermittlung von Fachinhalten erfolgt jedoch in Diskursformen, die sich von der Alltagssprache unterscheiden, und die sich einem unmittelbaren Verständnis durch die Lernenden vielfach entziehen. Dies gilt besonders für die Naturwissenschaften und den Naturwissenschaftsunterricht (Lemke 1990). Den Lehrpersonen ist dieser Umstand oft nur unzureichend bewusst. Dies trägt erheblich dazu bei, dass Gegenstände wie Physik, Chemie und (in der Sekundarstufe II) auch Biologie als kompliziert und unverständlich empfunden werden.

Eine besondere Situation liegt in Klassen mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund vor. Diese haben oft gute oder sogar ausgezeichnete Sprachkenntnisse im Bereich der Alltagssprache, sind jedoch den komplexen Sprachmustern naturwissenschaftlicher Texte nicht gewachsen. Werden sie vor die Aufgabe gestellt, solche Texte zu verstehen, zu interpretieren oder gar selbst zu verfassen, ist ein Scheitern meist unvermeidlich (Hanser 1999, S. 237–241; Gogolin 2004). NaturwissenschaftslehrerInnen sehen es andererseits häufig nicht als ihre Aufgabe an, fachsprachige Kompetenz zu vermitteln und meinen, dies den Deutsch-Lehrerinnen und Lehrern überlassen zu können. Damit wird nicht nur von den Germanistinnen und Germanisten eine Leistung verlangt, die sie alleine nicht erbringen können, sondern auch eine wesentliche Erkenntnis der Neurodidaktik übersehen: Fach- und Sprachen-Lernen erfolgt simultan in beständiger Interaktion (Roth, zit. nach Herrmann 2006). Gute Unterrichtsmaterialien sind daher sowohl in inhaltlicher als auch in sprachlicher Hinsicht an das altersgemäße kognitive Niveau der SchülerInnen angepasst.

Will man jedoch die FachlehrerInnen ermuntern, in ihrem Unterricht gleichzeitig fachliches und sprachliches Wissen und Können zu fördern, muss man ihnen einerseits die Entwicklung der erforderlichen Professionalität ermöglichen und andererseits geeignete Konzepte und Materialien zur Verfügung stellen. In beiden Bereichen ist das Angebot bisher unzureichend. Eine verstärkte Wahrnehmung des Problems im LehrerInnenaus- und -fortbildungsbereich hat immerhin in jüngerer Vergangenheit zu einer Reihe von Initiativen geführt, die mittelfristig eine Verbesserung der Situation erwarten lassen.

Abb. 1: Morphologische Besonderheiten der naturwissenschaftlichen Fachsprache (Langer 2008, S. 7)

2. Sprache und sprachbezogene Probleme im Naturwissenschaftsunterricht


Diese Arbeit beschreibt den Einsatz der Literalen Didaktik und des 3-Phasen-Modells (Schmölzer-Eibinger 2008 und 2008a) im Naturwissenschaftsunterricht. Für eine sinnvolle Anwendung dieses Konzepts ist eine vorherige Analyse der Besonderheiten der naturwissenschaftlichen Fachsprache erforderlich. Ferner muss geklärt werden, welche Textsorten im Naturwissenschaftsunterricht zum Einsatz kommen, um sie gezielt im Rahmen der Arbeitsaufträge im 3-Phasen-Modell zu bearbeiten. Ebenso ist für die Gestaltung dieser Aufgaben wichtig zu erheben, mit welchen sprachlichen Schwierigkeiten und Problemen SchülerInnen – insbesondere solche mit anderen Erstsprachen als Deutsch – im Naturwissenschaftsunterricht kämpfen.

Die Abbildungen 1 und 2 geben einen Überblick über die morphologischen und syntaktischen Besonderheiten der naturwissenschaftlich-technischen Fachsprachen.1 Obwohl häufig davon ausgegangen wird, dass es die Fachausdrücke sind, die den Schülerinnen und Schülern Verständnisschwierigkeiten bereiten, zeigen Untersuchungen, dass Fachtermini im Allgemeinen das kleinere Problem darstellen. Trennbare Verben, komplexe Attribute, wenig geläufige Partikel, unpersönliche Formulierungen und komplexe syntaktische Konstruktionen sind demgegenüber ein wesentliches Hemmnis für die Entwicklung fachsprachiger Kompetenz in den naturwissenschaftlichen Fächern (Hanser 1999, S. 115–166; Vollmer 2009). Für SchülerInnen der Sekundarstufe I gilt, dass Fachtexte (auch solche in Lehrbüchern für diese Jahrgangsstufen) häufig über ihre altersgemäße Sprachentwicklung hinaus gehen (Bauer, zit. nach Olechowski 1995).

Abb. 2: Syntaktische Besonderheiten der naturwissenschaftlichen Fachsprache (Langer 2008, S. 9)

Eine typische Ergänzung naturwissenschaftlicher Texte sind graphische Darstellungen wie Diagramme, Funktionsgraphen und schematische Darstellungen sowie Formeln und Gleichungen. Während solche Darstellungen für ExpertInnen die Verständlichkeit und Prägnanz von Fachtexten unterstützen, darf keineswegs angenommen werden, dass dies auch für SchülerInnen gilt. Eine Schwierigkeit im Umgang mit der diskontinuierlichen Struktur von Fachtexten besteht etwa im Wechsel oft mehrerer Darstellungsebenen (Stäudel/Franke-Braun/Parchmann 2008). Es bedarf daher der Anleitung und Übung, damit SchülerInnen einerseits die Fähigkeit erlangen, den Inhalt bzw. die Aussage graphischer Darstellungen zu verbalisieren bzw. andererseits auch lernen, eine in einem Text enthaltene Information in Form einer Grafik wiederzugeben.

Die im Naturwissenschaftsunterricht zum Einsatz kommenden Textsorten lassen sich grob danach einteilen, ob sie rezeptive bzw. produktive Verarbeitungsprozesse verlangen: (Eher) rezeptiv ist der Umgang der SchülerInnen mit Lehrbüchern, Tafelbildern/Mitschriften, Arbeitsblättern und Informationstexten. Von den Schülerinnen und Schülern selbst erstellt werden Präsentationen, Portfolios, Prüfungstexte und Fachbereichsarbeiten.

Eine Besonderheit eines Tafelbilds bzw. einer Mitschrift ist, dass es sich dabei meist nicht um kohärente Texte, sondern um stichwortartige Notizen handelt. Dies bereitet den Schülerinnen und Schülern erhebliche Schwierigkeiten bei der Wiedergabe der Inhalte, besonders im Rahmen mündlicher Prüfungen. Wenn die Kohäsionsmittel fehlen, gelingt es besonders Lernenden mit Deutsch als Zweitsprache oft nicht, den logischen Zusammenhang der Aussagen zu rekonstruieren. Doch selbst wenn der Sinn der Mitschrift erfasst wird, fehlt Migrantinnen und Migranten häufig das sprachliche Repertoire, um die verkürzten Texte angemessen zu vervollständigen. Die hier aufgezeigten Probleme machen deutlich, dass der Rolle der Sprache im Naturwissenschaftsunterricht erhöhte Beachtung geschenkt werden muss.

3. Literale Didaktik und 3-Phasen-Modell


Hinsichtlich geeigneter Konzepte und Materialien zur Sprachförderung in Sachfächern sind einem größeren Kreis von Naturwissenschaftslehrerinnen und -lehrern bisher vor allem die Arbeiten von Josef Leisen geläufig (Leisen 1999, 2005 und 2006). Leisens Wechsel der Darstellungsform (z.B. Leisen 2005, S. 4–11) und seine zehn Strategien (Leisen 2006, S. 12–23) sind grundsätzlich leicht für verschiedene Unterrichtsanlässe adaptierbar. Dabei ist die erreichbare fachsprachige Kompetenz der SchülerInnen in erster Linie eine rezeptive. Nun hat Leisen in neueren Publikationen (Leisen 2008) dem Umstand Rechnung getragen, dass Scientific Literacy (Eckebrecht/Schneeweiß 2003) eigenständiges mündliches und schriftliches Argumentieren im jeweiligen Fach einschließt, und sein Konzept auch für das Schreiben von Texten adaptiert. Leisens sehr praxistaugliche Rezepte greifen nur dort zu kurz, wo es um eine intensive, nachhaltige Auseinandersetzung mit der Sprachstruktur naturwissenschaftlicher Texte geht, die SchülerInnen auch befähigen soll, die Fachsprache eigenständig und gezielt einzusetzen, wie etwa in Schularbeiten, bei Präsentationen, öffentlichen Veranstaltungen oder beim Verfassen von Fachbereichsarbeiten. Obwohl Leisen die Probleme von Schülerinnen und Schülern mit von Deutsch verschiedenen Erstsprachen anerkennt und thematisiert, basieren seine Arbeiten nicht vornehmlich auf der Zweitsprachendidaktik.

Darüber hinaus gibt es eine Fülle an Einzelarbeiten, die sich mit speziellen Aspekten fachsprachiger Kompetenz im Naturwissenschaftsunterricht auseinander setzen (siehe z. B. Vollmer 1980, Stäudel/Parchmann 2008 und dort zitierte Literatur).

Ein für alle Sachfächer einsetzbares Konzept zum Erwerb von Textkompetenz in rezeptiver und produktiver Hinsicht ist die Literale Didaktik und das 3-Phasen Modell zur Förderung von Textkompetenz (Schmölzer-Eibinger 2008 und 2008a). Das Konzept inkludiert eine umfangreiche Aufgabentypologie, die es der Anwenderin/dem Anwender erleichtert, es im Unterricht einzusetzen.

Abb. 3: Prinzipien der Literalen Didaktik2

Obwohl die Literale Didaktik sich besonders eignet, Lernende mit Deutsch als Zweitsprache beim Erwerb von fachsprachlicher Textkompetenz zu unterstützen, ist das Modell ebenso für muttersprachige SchülerInnen einsetzbar. Die intensive Auseinandersetzung mit der Fachsprache ist vor allem auch einem Verständnis für die »Natur der Naturwissenschaften« (Höttecke 2001)...