Todeswelle - Ein Ostsee-Krimi

Todeswelle - Ein Ostsee-Krimi

von: Katharina Peters

Aufbau Verlag, 2021

ISBN: 9783841226952 , 336 Seiten

3. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Todeswelle - Ein Ostsee-Krimi


 

2


Die nächsten Wochen blieben für Christoph arbeitsreich und ausgefüllt. Er pendelte zwischen Wismar, Schwerin, Lübeck und Hamburg, während Emma hin und wieder Büroaufgaben in seinem neu angemieteten Betriebshof am Ortsrand von Gadebusch übernahm. Etwa dreißig Kilometer südwestlich von Wismar und zirka zwanzig nordwestlich von Schwerin gelegen war der Hof für die neuen Aufgaben gut zu erreichen. Ansonsten genoss sie Christophs aufgeräumte Stimmung und das hochsommerliche Wetter.

Für Emma gab es keine Folgeaufträge aus Hamburg, und das war ihr auch ganz recht. Stattdessen sorgte die BKA-Frau Johanna Krass dafür, dass sie an einem zweitägigen Fortbildungsseminar in Berlin teilnahm – Schwerpunkt: die Aufgaben externer Ermittler und Ermittlerinnen. In Erinnerung bleiben würde Emma vor allem die Kneipentour, die sie am letzten Abend mit Johanna und zwei anderen Teilnehmern in Kreuzberg und Mitte unternahm und die ihr einen gehörigen Kater bescherte.

Der Auftrag Gundlach geriet komplett in Vergessenheit – bis zu jenem Tag einige Wochen später, als Feriengäste am naturbelassenen Strand von Hoben, nicht weit von Zierow entfernt und mitten in der Hochsaison am frühen Morgen die Leichen einer jungen Frau und eines Mannes in Schwimmanzügen entdeckten. Emma war gerade in der Küche und kochte Kaffee, als die Meldung im Radio nach den Regionalnachrichten vertieft wurde. Sie drehte die Lautstärke hoch und lauschte konzentriert. Die Sprecherin erwähnte Kopfverletzungen, die den Schluss zuließen, dass es einen Zusammenstoß mit einem größeren Boot gegeben hatte. Zur Identität der beiden konnte die Polizei noch nichts sagen.

Emma ließ ihren Kaffee stehen und machte sich sofort auf den Weg in die Wismarer Dienststelle. Kommissariatsleiter Torsten Friedmann, mit dem sie bereits mehrere Fälle gemeinsam gelöst hatte, war nicht im Hause, erklärte ihr eine uniformierte Polizistin in zurückhaltendem Ton – offenbar war die junge Beamtin neu.

»Ich nehme an, er ist am Strand von Hoben?«

Die Beamtin zögerte.

»Ich habe gerade von dem Leichenfund erfahren«, erklärte Emma. »Ich kannte die beiden womöglich.« Das war womöglich etwas übertrieben, aber in der Sache nicht falsch. »Friedmann und ich arbeiten schon eine Weile zusammen und …«

»Das stimmt«, ertönte die Stimme des Kommissariatsleiters plötzlich hinter ihr.

Emma drehte sich um.

Friedmann war verschwitzt und angespannt, er winkte der Polizistin zu und wandte sich dann an Emma. »Gehen wir in mein Büro.«

Er ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen und atmete zweimal tief durch, bevor er eine Flasche Mineralwasser zur Hälfte leerte, dann zwei Telefonate erledigte und schließlich die Hände faltete und Emma ansah. »Habe ich das richtig mitbekommen: Du kennst die beiden Verunglückten?«

»Möglich. Jedenfalls habe ich einen Verdacht. Ich hatte vor einigen Wochen einen Observationsauftrag, der mich auch in die Nähe von Hoben geführt hat. Hast du Fotos von den Leichen?«

Friedmann zögerte.

Emma hob eine Braue. »Sag nicht, dass du …«

Er winkte ab. »Natürlich vertraue ich dir«, warf er ein. »Die Aufnahmen sind allerdings nichts für schwache Gemüter.«

»Seit wann zählst du mich ausgerechnet dazu?«

»Tue ich nicht. Versteh es bitte nur als Warnung.«

»Mach ich.« Emma zuckte mit den Achseln, aber sie schluckte, als Friedmann ihr mehrere Bilder auf seinem Handy zeigte. Beide Opfer wiesen beträchtliche Kopfverletzungen auf, von denen ja bereits in der Radiomeldung die Rede gewesen war. Die Gesichter waren zumindest im Stirnbereich entstellt. Dennoch war sie ziemlich sicher, sowohl den Mann als auch die junge Frau zu erkennen, obwohl sie von Letzterer lediglich das offizielle Foto der Meldebehörde kannte.

»Es hat beide voll erwischt – wahrscheinlich mit dem Bug in der Mitte des Schädels«, erörterte Friedmann. »Kein schöner Anblick.«

Emma nickte und sah wieder hoch. »Bei dem Mann handelt es sich um Bastian Gundlach«, sagte sie leise. »Und die Frau kenne ich auch, zumindest namentlich.«

Friedmann verschränkte die Arme vor der Brust.

»Gundlach war in einem großen Hamburger Beratungsunternehmen als Betriebswirt und Anlagenexperte beschäftigt und leitete das Büro in Schwerin. Ich sollte ihn beschatten – Auftrag der Geschäftsführung. Warum genau, hat man mir nicht verraten. Ich ging davon aus, dass man seine Arbeitsweise und seine Kontakte überprüfen wollte. Unter Umständen hatte er sich verdächtig gemacht – Stichwort: Wirtschaftsspionage. Vielleicht ging es auch nur um einen Check, weil der Mann für eine andere Position infrage kam. Wie auch immer – ich konnte nichts Verdächtiges feststellen, aber das muss nichts heißen«, fuhr sie fort und berichtete zusammenfassend von den Besonderheiten, die dieser Auftrag mit sich gebracht hatte.

Friedmann lauschte mit zunehmend konzentrierter Miene, insbesondere als Emma von Gundlachs Besuch im Fischerhaus in Zierow erzählte.

»Bei der zweiten Leiche dürfte es sich um die junge Frau handeln, die Gundlach besuchte«, beendete Emma ihren Bericht. »Louise Herzog, Ende zwanzig, eine Studentin, die das Haus vor einiger Zeit gemietet hat. Mehr wollte mein Auftraggeber übrigens gar nicht wissen – zumindest gab es keine weitergehenden Fragen, auch nicht, als ich darauf hinwies, dass Gundlach sich während der Fahrt seltsam verhielt, als befürchte er, verfolgt zu werden.«

Friedmann runzelte die Brauen. »Und nun sind beide tot.«

»Klingt ein bisschen seltsam, wenn du mich fragst.«

»Ich stimme dir zu. Wir haben allerdings bisher keinerlei Anhaltspunkte, die für eine Straftat sprechen könnten.«

»Bis auf die Tatsache, dass Gundlach offenbar seinen Ausflug verheimlichen wollte«, warf Emma eilig ein. »Warum und vor wem auch immer.«

»Ich kann mir denken, was du meinst – aber das liegt Wochen zurück, wenn ich dich richtig verstanden habe, und die beiden waren vielleicht nur ein heimliches Liebespaar. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen war das Ganze ein Unfall. Sie sind ziemlich weit rausgeschwommen, und ein Boot oder eine größere Yacht hat sie erwischt. So könnte es zumindest gewesen sein.«

Emma wies mit einer beiläufigen Handbewegung in Richtung der Fotos. »Und das Boot erwischt beide auf die gleiche Weise – jeweils mittig über dem Kopf, ohne dass der Bootsführer etwas bemerkte? Wie soll das gehen? Sind sie etwa direkt hintereinander geschwommen? Oder welche Erklärung böte sich noch an?«

Friedmann schüttelte den Kopf. »Die einzige schlüssige Erklärung, die wir zurzeit haben, lautet, dass wir noch zu wenig wissen. Der Rechtsmediziner hat hoffentlich bald ein paar erhellende Erkenntnisse für uns. Ansonsten versuchen wir, alle Boote und Schiffe ausfindig zu machen, die heute früh und auch gestern Abend in der Wismarer Bucht unterwegs waren. Bislang ist ja noch nicht einmal klar, wann der Unfall geschehen ist. Es könnte auch gestern passiert sein, und die Leichen sind erst in den frühen Morgenstunden angeschwemmt worden.«

»Und niemand hat sie vermisst gemeldet?«

Friedmann seufzte. »Eins nach dem anderen, Emma. So ersparen wir uns überflüssige Aktivitäten.«

»Ja, okay.«

»Du klingst alles andere als überzeugt.«

Emma konnte ihm nicht verdenken, dass er sie auszubremsen versuchte. Zurzeit sprach tatsächlich einiges für ein Unfallgeschehen – ob nun am gestrigen Abend oder frühen Morgen spielte lediglich eine untergeordnete Rolle. Falls Gundlach und Herzog ein Paar waren, hatte er bei seiner Lebensgefährtin sehr wahrscheinlich einen Auswärtstermin vorgeschoben. Das würde sich alles bald herausstellen. Und trotzdem wuchs ihr Unbehagen. Sie glaubte nur höchst selten an Zufälle. »Wärst du damit einverstanden, wenn ich mit dem Geschäftsführer in Hamburg Kontakt aufnehme?«

Friedmann zögerte.

»Dafür überlasse ich dir alles, was ich zu Gundlachs Vita vorliegen habe«, fügte sie rasch hinzu. »Das erspart dir und deinen Leuten ein paar Recherchen, und ihr könnt euch anderen Aufgaben widmen.«

»Wie großzügig! Falls ich eingehende Infos überhaupt benötigen werde … Aber sag mal – ich denke, du durftest deine Aktivitäten nicht zusätzlich aufzeichnen«, wandte Friedmann ein.

»Stimmt, aber einige Eckdaten sind ja frei verfügbar. Außerdem verfüge ich über ein sehr gutes Gedächtnis.«

Friedmann warf ihr einen schrägen Blick zu. »Na schön. Sprich mit dem Geschäftsführer, aber halte mich an der Stelle bitte zunächst heraus. Ich kann dein Engagement zumindest im Moment nicht rechtfertigen.«

»Kein Problem.«

Auf dem Nachhauseweg schrieb Emma Padorn eine Nachricht. Es war kaum eine Stunde vergangen, als sie wieder in ihrer Küche saß und sich einen frischen Kaffee gönnte. Sie überlegte nur einen Moment, ob es tatsächlich schlau war, an der Stelle voreilig aktiv zu werden, doch dann wählte sie kurzerhand die Handynummer von Hallner. Der Geschäftsführer meldete sich erst nach dem vierten Rufzeichen. »Frau Klar«, begrüßte er sie, und die Überraschung war seiner Stimme deutlich anzuhören. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich störe nur ungern, Herr Hallner, aber der Anlass ist wichtig genug. Es geht um Bastian Gundlach und Louise Herzog.«

Kurzes Schweigen.

»Die beiden sind heute früh tot am Strand von Hoben...