Magie aus Tod und Kupfer

Magie aus Tod und Kupfer

von: Lisa Rosenbecker

Drachenmond Verlag, 2020

ISBN: 9783959915601 , 400 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Magie aus Tod und Kupfer


 

Kapitel Eins


Ich bin enttäuscht von dir, Ilena.«

Mágissa Nephele verzog bei diesen Worten keine Miene, ihre Stimme aber zeugte von erschöpfter Ratlosigkeit und schlecht unterdrückter Ungeduld. Mit dieser Reaktion hatte ich gerechnet. Immerhin kannte ich die Ischyró Mágo, die Anführerin der Mageía Mésa, schon lange genug, und es war nicht meine erste Vorladung in den Tempel der Magierinnen.

Nephele hatte ihr Gefolge bei meiner Ankunft fortgeschickt. Wir waren allein in dem Bau, der vom Olymp direkt hierherversetzt zu sein schien und dem Hekate-Tempel aus der antiken Stadt Lagina nachempfunden war, dem ersten und bisher einzigen Ort auf der Welt, an dem der Göttin zu Ehren ein solches Gebäude errichtet worden war. Marmorsäulen reckten sich zwei Stockwerke nach oben und trugen ein reich verziertes Dach auf ihren Schultern, das heute bedrohlich und dunkel über uns schwebte. Normalerweise genoss ich es, die von schwebenden Kristallen beleuchteten und stuckverzierten Decken und Wände zu betrachten, die üppig gefüllten Blumenamphoren zu bewundern und durch die Gärten außerhalb der Tempelmauern zu streifen. Heute fehlten der Glanz und das Licht. Nur das Prickeln der Magie in der Luft war gleich geblieben. Sie tastete meinen Körper ab, berührte jeden Fleck nackter Haut, um zu testen, ob ich diejenige war, für die ich mich ausgab. Die Antwort auf diese Frage interessierte mich, denn ich war mir dessen selbst nicht sicher.

Nepheles graublaue Iriden flackerten verräterisch, ihre Magie brodelte unter der Oberfläche. Die goldenen Symbole auf ihrer Haut leuchteten kurz auf und ich machte einen Schritt zurück.

»Weshalb genau?«, hakte ich nach und erkannte im selben Moment, dass diese Erwiderung ein Fehler gewesen war. Nephele hatte meinen Sarkasmus nie verstanden und heute war nicht der Tag, an dem sich das ändern würde. Sie presste die Lippen aufeinander und ihre Finger verkrampften sich um die Lehne des steinernen Throns, auf dem sie saß. Ihre Knöchel wurden weiß wie der Marmor unter ihren Händen. Ich kniff die Augen zusammen, weil ich fürchtete, dass das Material jeden Moment ihrer Wut nachgeben und zersplittern würde. Sie richtete sich im Sessel auf und der Stoff ihrer hellen Toga raschelte.

Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus und schloss die Augen. Ihre Muskeln entspannten sich, als sie sich kurz sammelte. Ich warf einen Blick auf die Statue, die hinter ihr über dem Thron aufragte. Es war ein Abbild Hekates, die ich mir in diesem Moment an meine Seite wünschte. Die Statue fing nur eines der drei Gesichter ein, mit denen die Göttin heutzutage assoziiert wurde. Sie zeigte die wunder­schöne Version einer Frau Mitte dreißig, die ich kennengelernt hatte. Die anderen Gesichter, eines jünger, eines älter, welche die Weg­kreuzungen hinüber zur Magie- und Götterwelt symbolisierten, waren zu Lebzeiten der Künstlerin noch nicht geläufig gewesen und daher nicht dargestellt. Doch egal welche Version von Hekate gerade durch den Olymp wandelte, nur ein Wort von ihr und die Mageía Mésa hätten mir alle Ausrutscher vergeben. Doch seit sie uns dabei geholfen hatte, Athenes Fluch zu brechen und die Gorgonen sowie den Perseus-Orden zu befreien, hatte niemand mehr die Göttin der Magie zu Gesicht bekommen.

Ich schluckte schwer und es war so still im Tempelsaal, dass das Geräusch sich in jeden Winkel ausbreitete. Zumindest bildete ich mir das ein.

Nephele hob den Blick. »Die Liste deiner Verstöße ist lang. Du hast dich im Krieg auf eine Seite gestellt. Du hast verbotene Blut­magie angewandt, um den Orden des Perseus zu unterstützen. Du hast einen Großteil deiner Magie geopfert, um eine Gorgone zu retten.«

»Du hast dabei geholfen, eine jahrtausendealte Fehde zu be­enden?«, schob ich hinterher. Die Mágissa ballte die rechte Hand zur Faust und knallte sie auf die Lehne. Eine durch Magie ausgelöste Erschütterung ließ den Tempel erzittern und riss mich fast von den Füßen. Bei Hekate, wieso konnte ich nicht einmal den Mund halten? Aber warum erkannte die Ischyró Mágo nicht, dass es für alle von Vorteil war, wenn sich die Gorgonen und der Orden nicht mehr an die Gurgel gingen?

Als das Gebäude sich beruhigte, zupfte ich meinen dunkelgrauen Pullover zurecht, bevor mir weitere Dummheiten über die Lippen kamen.

»Ilena«, sagte die Mágissa mahnend. Ich verschränkte die Hände hinter dem Rücken und zwang mich, zu ihr aufzusehen. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. »Ich glaube, dir ist der Ernst der Lage nicht bewusst. Du hast nicht nur gegen unsere Regeln verstoßen, mit deinen Handlungen hast du zudem vielen Frauen der Mageía Mésa die Lebensgrundlage entzogen. Ohne den Krieg gibt es niemanden mehr, der ihnen Aufträge erteilt.«

Ich verkniff mir die Erwiderung, dass es in der Welt da draußen genug normale Jobs gab, die man würde annehmen können, um das Geld für jene Sachen zu verdienen, die sich nicht zaubern ließen. Doch die Arbeit von Normalsterblichen war angeblich unter unserer Würde und nicht Sinn und Zweck unseres Daseins. Wir sollten Hekates Magie in die Welt hinaustragen und am Leben erhalten. Ich verstand diesen Gedanken, befürwortete ihn sogar, doch wenn die Menschen weder für unsere Magie noch das dazugehörige Wissen sowie dessen Bürde bereit waren, gab es kaum Alternativen.

Ich drückte die Schultern durch und sah mit allem mir möglichen Selbstbewusstsein zur Mágissa auf.

»Es tut mir leid für sie. Aber es war mir wichtiger, diesen Krieg zu beenden und meinen Freunden zu helfen. Ich bereue es nicht, ich würde es jederzeit wieder tun.«

Nephele zog eine Augenbraue nach oben.

»Wirklich? Dann ist es für dich sicherlich kein Problem, das Mondbecken mit Wasser zu füllen, oder?« Sie hob eine Hand und deutete über meine Schulter in den Saal hinein. Auch ohne mich umzudrehen wusste ich, wovon sie sprach. In der Mitte des Tempels, zwischen zwei Reihen griechischer Säulen, war in den Marmorboden ein circa zehn Quadratmeter großes, knietiefes Becken eingelassen. Dunkelblaue Fliesen aus Lapislazuli mit eingelegten Halbmonden aus Citrin kleideten es aus und schimmerten im trüben Schein der mystischen Lichter. Allein bei der Vorstellung zog sich eine Gänsehaut über meine Arme.

Das Becken des Mondes war jeder Mágissa bekannt, es war so alt wie die Mageía Mésa selbst und das einzige Artefakt aus Lagina, das die Zeit überlebt hatte. Es war jener Ort, an dem die Novizinnen ihre Magie erhielten und sie sich in Form der goldenen Symbole auf unserem Körper manifestierte. Dort, auf diesem kleinen Fleck Erde, entschied sich, ob Hekate jemandem ihre Gunst schenkte, damals wie heute. Jedes Mal, wenn ich herkam, lockte es mich zu sich. Seine intensive Aura fuhr über meinen Rücken, meine Schultern, als wollte sie mich packen und umdrehen. Mein Körper reagierte darauf, das letzte magische Zeichen auf meiner Stirn, bestehend aus einem Kreis, einem Pfeil und einigen filigranen geometrischen Strukturen, erwärmte sich.

Aber meine Macht reichte nicht, um der Aufforderung von Nephele nachzukommen. Nicht mehr.

Wie jetzt reagierte meine Magie hin und wieder auf äußere Impulse und erwachte aus ihrem Dämmerschlaf, doch wirken ließ sie sich nicht. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Trotzdem hoffte ich weiter und wurde jedes Mal enttäuscht.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust, als mein Herzschlag sich beschleunigte. Aus Verzweiflung, aus Wut und ein bisschen aus Angst. Trotz meiner Bemühungen um eine ruhige Atmung merkte die Ischyró Mágo, was in mir vorging. Mit einem milden Lächeln erhob sie sich von ihrem Thron und stieg die drei Stufen herab. Im Vorbeigehen legte sie mir eine Hand auf den Arm und drehte mich zum Mondbecken um. Ihre Berührung sandte beruhigende Wellen meine Haut hinauf.

Nephele fuhr fort, ohne mich anzusehen. Mitgefühl schwang in ihrer Stimme mit. »Man hat mir zugetragen, dass du nach wie vor Probleme damit hast, deine Magie zu nutzen. Es schmerzt mich, dich so schwach zu sehen, wo du doch eine der Mächtigsten von uns warst.«

Meine Brust schnürte sich zusammen. Nephele war nicht die Erste, die sich mir gegenüber so äußerte, trotzdem traf es mich. Das Mal auf meiner Stirn prickelte unangenehm. Ob aus Protest oder Zustimmung, ließ sich nicht deuten.

Wie von selbst glitt meine Hand zu der Stelle auf meinem Dekolleté, an der ich den Rosenquarz-Anhänger von Medea getragen hatte. Doch meine Finger griffen ins Leere, die Kette war ebenfalls fort, zusammen mit der Magie hatte ich sie Rya überlassen. Ich hatte ihr beides frei­willig gegeben, das würde ich jederzeit wieder. Aber es wäre gelogen, zu behaupten, dass ich meine Magie nicht vermisste.

Dass ich mich nicht mehr wie ich selbst fühlte.

Eine warme Brise wehte zwischen den Säulen hindurch und legte sich wie eine Decke um uns.

Nephele musterte mich und richtete den Blick dann auf das Mondbecken.

»Es wird eine Anhörung vor dem Kýklos ton Dekatrión geben«, sagte sie. Der Zirkel der Dreizehn, bestehend aus der Ischyró Mágo und zwölf ihrer engsten Vertrauten, würde mich mit allerhand Fragen zu meinen Vergehen löchern und im Anschluss ein Urteil fällen, das meinen weiteren Lebensweg bestimmen würde.

»Ich habe es...