Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt - Ein Handbuch

von: Eva Bamberg, Antje Ducki, Anna-Marie Metz

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2011

ISBN: 9783840923715 , 847 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 52,99 EUR

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Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt - Ein Handbuch


 

Viele populäre Maßnahmen, z.B. Qualitätszirkel, sind weniger in Aufarbeitung von Theorien entstanden, sondern auf der Grundlage des Handlungswissens der Beteiligten. Verbreitete Interventionsmaßnahmen dürften entwickelt worden sein, indem von Akteuren aufgrund bestimmter Probleme oder Defizite ein Handlungsbedarf wahrgenommen wurde. Auf dem Hintergrund von betrieblichen Möglichkeiten, von Zielvorstellungen, Werten und Erfahrungen werden Maßnahmen eingeleitet. Wenn die Maßnahmen auch von Akteuren in anderen Organisationen als sinnvoll und brauchbar beurteilt werden, werden sie verbreitet und popularisiert – unter der Hand, in Zeitschriften, bei Tagungen. Und nun betritt der Wissenschaftler die Bühne: Er expliziert, systematisiert und forscht. Er betreibt Umfragen zur Verbreitung der Maßnahme, über Vorund Nachteile, über Erfolg und (vielleicht) Misserfolg. Er identifiziert wesentliche und unwesentliche Einflussfaktoren, erklärt diese mit Hilfe von (diversen) Theorien, entwickelt ergänzende theoretische Konzepte und startet eine Interventionsstudie – wissenschaftliche Grundlagen von Interventionen werden erarbeitet.

2 Psychologisches Wissen

Ein wissenschaftlich fundierter Prozess betrieblicher Gesundheitsförderung lässt sich dadurch charakterisieren, dass in Aufarbeitung von theoretischen Konzepten sowie von Bedarfsanalysen Ziele und Schwerpunkte festgelegt werden,dassaufderGrundlagetheoretischerÜberlegungenMethodender Interventionen konzipiert und umgesetzt werden und dass eine Evaluation der Interventionen erfolgt. Wissenschaftliche Praxis zeichnet sich somit dadurch aus, dass sie zu einem wesentlichen Teil auf Wissen basiert, das von der (in unserem Falle psychologischen) Grundlagenforschung und der psychologischen Technologie bereitgestellt wird (vgl. z. B. Herrmann, 1993). Dies ist aber keineswegs selbstverständlich. Auf der Grundlage des Prozesses betrieblicher Gesundheitsförderung (vgl. Ducki, Bamberg & Metz, in diesem Band) lässt sich verdeutlichen, welche Wissensbereiche hier von Bedeutung sind. So ist zu Beginn des Prozesses der Gesundheitsförderung eine Beschreibung des Zielzustandes erforderlich. Auf dieser Basis ist eine Eingrenzung des Gegenstandsbereichs der Gesundheitsförderung möglich. Hierfür kann psychologisches Wissen über Ausprägungen von Gesundheit und Krankheit, über Belastungen und Ressourcen und über betriebliche Rahmenbedingungen erforderlich sein. Kenntnisse über Beziehungen zwischen Merkmalen sind von Bedeutung. Dazu gehört etwa die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Belastungen, Ressourcen und Gesundheit. Zu berücksichtigen sind ferner Kenntnisse über den Prozess der Entwicklung der Gesundheit. Auf diesem Hintergrund ist es möglich, Einflussfaktoren der Gesundheitsentwicklung am Arbeitsplatz zu identifizieren und damit mögliche Ansatzpunkte der Gesundheitsförderung festzulegen.

Für die Konzipierung und Durchführung gesundheitsförderlicher Maßnahmen im Rahmen von z. B. Arbeitsgestaltung, Training, Beratung oder Supervision ist Wissen über die Wirksamkeit von Interventionen erforderlich. Dies kann sich auf allgemeine Prinzipien oder auf konkrete Verfahren oder Techniken beziehen. Grundsätzliche Prinzipien sind, zumindest zum Teil, relativ unabhängig von der konkreten Maßnahme. Dazu gehören die Fragen der Direktivität/Nichtdirektivität (vgl. Greif, 1976b; Rieger & Schmidt-Hieber, 1979), der Mitbestimmung der Beteiligten, des Expertenstatus des Intervenierenden. Von diesen allgemeinen Prinzipien zu unterscheiden sind konkrete Interventionsverfahren oder -techniken, d. h. Aussagen über die Wirksamkeit von Interventionsmaßnahmen in Abhängigkeit von der konkreten Gestaltung der Intervention. Des Weiteren ist Wissen über Erhebungs-, Auswertungsund Evaluationsmethoden nötig. In Anwendung dieses Wissens ist es möglich, deskriptive Studien und ggf. auch Ursache-Wirkungs-Analysen durchzuführen. Im Rahmen betrieblicher Gesundheitsförderung gehören dazu Methoden zur Analyse von Arbeitsbedingungen, zur Erfassung der Gesundheit der BeschäftigtenundMethodenzurÜberprüfungderEffektivitätbetrieblicher Gesundheitsförderung.

Für den Prozess betrieblicher Gesundheitsförderung sind somit unterschiedliche Arten von Wissen erforderlich: Faktenwissen oder Tatsachenwissen bezieht sich auf den Ist-Zustand von Merkmalen, es enthält aber keine Wenn-dann-Verknüpfungen von Merkmalen und erlaubt keine Generalisierung über Situationen. Dazu gehört z. B. das oben aufgeführte Wissen über die Ausprägung von Belastungen und Ressourcen an Arbeitsplätzen. Nomologisches (Grundlagen-)Wissen umfasst Zusammenhänge zwischen Merkmalen, so den oben genannten Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit. Nomopragmatisches (technologisches) Wissen bezieht sich auf die Beeinflussbarkeit von Phänomenen, z.B. auf Möglichkeiten der Förderung von Gesundheit (vgl. z.B. Herrmann, 1994; Perrez, 1991). Während es bei Grundlagenwissen darum geht, den jeweiligen Realitätsbereich besser zu durchschauen, steht bei technologischem Wissen im Vordergrund, die Effizienz der Praxis zu erhöhen, d.h. operatives Handlungswissen und standardisierte Techniken bereitzustellen (Herrmann, 1994). Bei grundlagenund anwendungsorientierten Theorien spielen unterschiedliche Bewertungskriterien eine Rolle. Anwendungsorientierte Theorien sind nicht nur nach klassischen wissenschaftlichen Gütekriterien zu beurteilen wie Präzision, intersubjektive Eindeutigkeit der Begriffe, Widerspruchsfreiheit, empirische Bestätigung der theoretischen Aussagen und Bedeutung für die Theorieentwicklung. Anwendungsorientierte Theorien sind auch in Hinblick auf ihre Anwendbarkeit und Nützlichkeit zu beurteilen (Greif, Holling & Nicholson, 1989). Sie müssen ”in der Praxis funktionieren“, vor allem effizient, nebenwirkungsfrei, verlässlich, routinisierbar, wirtschaftlich und akzeptierbar sein (Herrmann, 1993, 1994).

3 Interund transdiziplinäres Wissen

Für die Konzipierung und Durchführung konkreter Maßnahmen der Ge sundheitsförderung ist neben Erfahrungswissen und psychologischem WisIntersen interdisziplinäre Kooperation erforderlich. Dies umfasst auch politische disziplinäre Entscheidungen in Organisationen und betrifft den gesamten Prozess der Kooperation Gesundheitsförderung. Es wäre naiv anzunehmen, dass Kriterien und Ziele betrieblicher GesundheitsförderungalleinaustheoretischemÜberlegen abzuleiten sind. Sie sind vielmehr ganz wesentlich mit politischen Entscheidungen verknüpft. So dürfte etwa die Frage, ob in einer Organisation kurz-, mitteloder langfristige Strategien der Gesundheitsförderung verfolgt werden, auf betriebspolitischen und wirtschaftlichen Entscheidungen basieren. Bei der Auswahl geeigneter Analyseund Evaluationsmethoden, z. B. bei der Messung von Umgebungsbelastungen oder bei der Erhebung von Daten zur Einschätzung des Gesundheitszustandes ist auf andere Wissenschaftsdisziplinen zurückzugreifen. Auch Schwerpunkte und Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung können kaum festgelegt werden, ohne zu berücksichtigen, welche Interventionen in Organisationen akzeptiert werden und machbar sind. Hier sind also auch politische Entscheidungen gefragt.

WiedieserÜberblickzeigt,sindfürGesundheitsmanagementundGesundheitsförderung Kenntnisse aus verschiedenen Disziplinen, wie der Arbeitsmedizin, der Arbeitssicherheit, den Naturwissenschaften, der Ergonomie, der Soziologie sowie den Wirtschaftswissenschaften erforderlich.

Die Notwendigkeit der Interdisziplinarität lässt sich mit Hilfe eines kurzen historischen Abrisses der wissenschaftlichen Konzepte zum Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit verdeutlichen. Der Einfluss der Erwerbsarbeit auf die (physische) Gesundheit der Beschäftigten war ursprünglich vor allem als Beziehung zwischen Arbeit und Krankheit thematisiert und bearbeitet worden; die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (BK) steht auch heute noch im Mittelpunkt des technischen und medizinischen Arbeitsschutzes. Folgerichtig beschäftigte sich die Forschung mit der Suche nach pathogenen Potenzen, die vor allem durch Belastungen aus der Arbeitsumgebung und durch körperliche Belastungen bestimmt sind.