Übergänge - Annäherungen an das eigene Sterben

von: Friedrich Heckmann, Christiane Burbach

Vandenhoeck & Ruprecht Unipress, 2011

ISBN: 9783647670157 , 252 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 34,00 EUR

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Übergänge - Annäherungen an das eigene Sterben


 

Die Mündung des Flusses in das Meer (S. 17-18)

Christiane Burbach
Es können nur Annäherungen an ein eigentlich grundsätzlich unbekanntes Land sein, wenn ein Mensch versucht, sich mit seinem Ende auseinanderzusetzen. Sollte man deshalb zu diesem Thema lieber schweigen? Sicher ist der Vorbehalt angebracht, sich darauf einzurichten, dass alles im Ernstfall doch noch einmal ganz anders sein kann oder wird. Dennoch erscheint es als ein wichtiger, weil konzentrierender Akt, sich dem eigenen Ende zu stellen.

Sollte man dies aber auch aufschreiben, aus der Hand geben, um andere an diesen Gedanken partizipieren zu lassen? Sind das nicht gedankliche Grenzgänge, die man besser unter Verschluss hält? Zweifellos stellt das Veröffentlichen solcher Vorstellungen ein gewisses Wagnis dar, das hier eingegangen wird, um mit anderen Menschen in ein Gespräch einzutreten.

Kindheitserinnerung: Die Erzählungen vom Tod im Krieg
Dass die Menschen sterblich sind, habe ich durch die Erzählungen der Erwachsenen schon beim Spielen erfahren. Als Nachkriegs- und Flüchtlingskind geboren, habe ich erlebt, wie die Eltern ihre Verwandten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder trafen und sich gegenseitig berichteten, wie es ihnen ergangen war auf der Flucht aus Ostpreußen, in der russischen oder britischen Gefangenschaft, auf welchen verschlungenen Pfaden sie hierher nach Norddeutschland kamen. Ich habe gehört, während ich mit meinen Cousins und Cousinen spielte, wer alles umgekommen ist auf der Flucht, dass meine Großeltern nicht auf das Schiff wollten, das Ostpreußen als letztes verließ und dass sie in Königsberg umgebracht wurden oder gestorben sind. Andere waren erfroren, verhungert etc. Manchmal musste ich die Ohren ziemlich spitzen, weil die Stimmen immer leiser wurden, denn die Kinder sollten ja nicht erschreckt werden.

Dennoch hat sich dem kleinen Mädchen eingeprägt, wie bedrückend es für die Eltern und Verwandten war, überlebt zu haben. Der Tod ist bedrückend, ungerecht und brutal, das war von Kindheit an klar. Er zerschneidet Lebensbande, macht Hoffnungen zunichte, lässt Menschen ohnmächtig ins Leere, wenn nicht gar in das Grauen starren. Dennoch lebten meine Eltern, die Verwandten, andere Flüchtlinge, mit denen meine Eltern befreundet waren. Dennoch wurden Kinder geboren und das Leben ging weiter. Sie waren froh, am Leben geblieben zu sein, eine neue Chance zu leben bekommen zu haben. Aber auch die Trauer um die, die zurück gelassen werden mussten, die es nicht geschafft haben und doch eigentlich dazu gehörten, blieb. Das Überleben war mit einem Aber versehen. So hat das Leben für mich als Flüchtlings-Kind immer die Konnotation von „dem Tod entkommen sein“ gehabt.

Das eigene Sterben in Phantasiereisen und Imaginationen
In meiner Seelsorgeausbildung, in Weiterbildungen, Seminaren und auch in meiner pastoralpsychologischen Arbeit habe ich öfter mein eigenes Sterben, meine Beerdigung und meinen Tod imaginiert.

Die Imagination des Flusses meines Lebens ist vital. Schon die Quelle ist springlebendig, der Fluss fließt kraftvoll durch die Landschaft. Am Rande spielen sich verschiedene Szenen ab, die mein Leben in verschiedenen Situationen zeigen. Schließlich soll imaginiert werden, wie der Fluss ins Meer fließt. Es ist ein ungeheures Gefühl von Glück, Freude und Freiheit. Zu Ende sind die Begrenzungen, das Formhalten sollen und müssen, abfallen können die Konditionierungen, das ist körperlich spürbar. Sterben ist freikommen, heimkommen, ankommen in der Unendlichkeit.

Die Phantasie über die eigene Beerdigung ist bestimmt von heiterer Atmosphäre. Es ist Sommer, Sonne durchflutet die Friedhofkapelle, die Frauen sind in bunten Sommerkleidern gekommen, die Männer ebenfalls in Sommerkleidung, es wird Paul Gerhardts „Geh aus mein Herz und suche Freud“ gesungen, das ich immer sehr geliebt habe. Der Traueransprache liegt 1Kor 13, besonders V.13 zugrunde:

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Von irgendwo her höre ich das Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis aus Mozarts Requiem (wahrscheinlich ergänzt und bearbeitet durch Franz Xaver Süßmayr), das ich als 23jährige Studentin zum ersten Mal in der Jakobikantorei in Göttingen gesungen habe.

Die Tränen, die dabei fließen, sind eine Mischung aus Trauer, dieses Leben nun verlassen zu müssen und der Gewissheit: ja, so ist es richtig, so ist es wahr. Das Leben wird weitergehen, jetzt ohne mich. Die Wahrheit dieser Texte hat schon vor meiner Existenz Gültigkeit gehabt, wird bleiben über meinen Tod hinaus. Diese Texte werden die Lebenden und die Toten umfassen. Während die anderen auf der Erde bleiben, werde ich sie verlassen, aber irgendwo werde ich sein. Werde ich sein? Was von mir wird wo sein? Es gibt aber die Gewissheit, ich werde irgendwo sein.