SPACE2019 - Das aktuelle Raumfahrtjahr mit Chronik 2019

von: Eugen Reichl, Stefan Schiessl

Verein zur Förderung der Raumfahrt, 2018

ISBN: 9783944819457 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 6,99 EUR

Mehr zum Inhalt

SPACE2019 - Das aktuelle Raumfahrtjahr mit Chronik 2019


 

Zurück zum Mond – Renaissance im Weltraum


Am 13. September 1959, um 21 Uhr, 2 Minuten und 24 Sekunden koordinierter Weltzeit (UTC), die man damals noch Greenwich Mean Time (GMT) nannte, erreichte das erste von Menschen geschaffene Objekt die Mondoberfläche. Seine Bezeichnung, E-1-6, klang ein wenig spröde. Viel besser bekannt wurde es daher unter dem Namen, den die sowjetische Nachrichtenagentur TASS dem Objekt gab: Luna 2. In Moskau, drei Zeitzonen weiter östlich, dort, wo man seinen Flug veranlasst hatte, war zu diesem Zeitpunkt bereits der 14. September angebrochen.

Der Einschlag erfolgte ungebremst 800 Kilometer vom Zentrum der sichtbaren Mondscheibe entfernt, zwischen den Kratern Autolycus und Archimedes mit einer Geschwindigkeit von etwa 12.000 Kilometern pro Stunde. 30 Minuten später erschütterte ein zweiter Einschlag die bis dahin unberührte Mondoberfläche, als auch die dritte Stufe der R-7 8K72-Trägerrakete den Mond erreichte. Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS meldete sich an diesem Morgen mit folgendem Wortlaut:

„Heute, am 14. September, um 12:02:24 Uhr Moskauer Zeit, erreichte ein zweites sowjetisches Raumfahrzeug die Oberfläche des Mondes. Zum ersten Mal in der Geschichte ist damit ein Raumflug von einem Himmelskörper zu einem anderen erfolgt. In Erinnerung an dieses bemerkenswerte Ereignis wurden Plaketten mit dem Emblem der UdSSR und der Inschrift „Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, September 1959“ auf der Oberfläche des Mondes platziert. Das Erreichen der Mondoberfläche durch dieses sowjetische Raumfahrzeug ist ein bemerkenswerter Erfolg der Wissenschaft und Technologie. Es ist der Anfang einer neuen Phase in der Weltraumforschung“.

Das mit dem „zweiten sowjetischen“ Raumfahrzeug in der TASS-Meldung bezog sich auf Luna 1, die im Januar desselben Jahres am Mond vorbeigeflogen war (lesen Sie dazu den nachfolgenden Artikel: Die ersten Lunas). Von da an, so schien es, gehörte der Mond zu unserem Heimatplaneten. Die Metapher vom siebten Kontinent der Erde machte die Runde. Nur wenige Wochen später verzeichnete die Sowjetunion einen weiteren Erfolg, als Luna 3 die ersten Bilder von der Rückseite des Mondes übermittelte. Die nächsten Schritte in der Eroberung des Mondes waren schwieriger. Erst im Januar 1966 gelang Luna 9 die erste weiche Landung auf dem Erdtrabanten und kurz darauf erreichte mit Luna 10 erstmals eine Raumsonde eine Umlaufbahn um den Mond. Dann begann die Zeit des Apollo-Mondprogramms. Es schien, als sei den Menschen im Weltraum von nun an alles möglich. Nur vier Jahre lagen zwischen der ersten Umkreisung des Erdbegleiters durch Apollo 8 im Dezember 1968, bis zur letzten Landung von Apollo 17 im Dezember 1972. Insgesamt 24 Menschen flogen zum Mond, drei von ihnen sogar zweimal. Zwölf US-Astronauten landeten auf dem Erdtrabanten und gelangten sicher wieder zur Erde zurück. Weit weniger erfolgreich als das Apollo-Programm verliefen die beiden bemannten Mondprogramme der UdSSR, das Projekt L1 mit zirkumlunaren Umfliegungen des Erdtrabanten und das Programm L3 mit der eigentlichen Landung. Beide Vorhaben scheiterten auf der ganzen Linie. Mit unbemannten Sonden war die Sowjetunion dagegen weit erfolgreicher. Die erste unbemannte Probenrückführung von Mondmaterial zur Erde gelang den Sowjets mit Luna 16 im September 1970. Luna 17 brachte im November 1970 den ersten Lunochod-Rover auf den Mond. Danach sandten die Sowjets noch einen weiteren Rover und mehrere Orbiter und Lander mit Probenrückführkapseln zum Erdbegleiter. Die letzte in dieser Serie war im August 1976 Luna 24.

Am 24. August 1976 berichtete die sowjetische Nachrichtenagentur TASS, dass mit der Landestufe von Luna 24 auf dem Mond noch Kontakt bestehe. Diese Meldung war die letzte offizielle Verlautbarung, die jemals im Rahmen des sowjetischen Luna-Programms gemacht wurde. Es dauerte 37 Jahre und vier Monate, bis nach Luna 24 die nächste weiche Landung auf dem Erdtrabanten erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein neuer starker Mitspieler in der Raumfahrtszene vertreten und der interessierte sich, im Gegensatz zu praktisch allen anderen Nationen, brennend für den Mond. Somit war es kein Wunder, dass die erste Landung nach fast vier Jahrzehnten Pause von der chinesischen Raumsonde Chang’e 3 am 14. Dezember 2013 durchgeführt wurde.

Der Mond ist ein Geschenk des Himmels

Der Erdmond ist wahrhaftig ein Geschenk des Himmels. Mit einem Durchmesser von knapp 3.500 Kilometern ist er der fünftgrößte Planetenbegleiter des Sonnensystems. Damit ist er der größte Mond innerhalb des Asteroidengürtels. Befände er sich in einer Umlaufbahn um den Jupiter, er wäre dort der drittgrößte Mond, nach Io und vor Europa. Am Saturn wäre er die Nummer zwei nach Titan. In den Mondsystemen der Planeten Neptun und Uranus wäre er der unbestrittene Herrscher. Im Vergleich zur Größe seines Planeten, den er umkreist, ist er ungeheuer groß. So groß, dass viele Astronomen Erde und Mond mit ihrem Größenverhältnis von 1 : 3,7 als Doppelplanetensystem bezeichnen. Seine Oberfläche ist viermal so groß wie die Europas. Eine Laune der Natur hat uns diesen gewaltigen Mond geschenkt, der sich – in astronomischen Maßstäben – unmittelbar vor unserer Haustür befindet. Der Mond ist eine Raumstation ungeheuren Ausmaßes, deren Erforschung nach wie vor auf uns wartet. Bei unseren wenigen Besuchen haben wir seine Geheimnisse gerade einmal angekratzt. Wir sind weit davon entfernt, ihn vollständig zu verstehen. Dort, gleich an der nächsten kosmischen Ecke, warten wissenschaftliche Erkenntnisse, wertvolle Ressourcen und eine Umwelt, die ideale Voraussetzungen für weitere Erkundungen des Universums bietet. Der Mond ist für uns heute gut erreichbar, wenngleich es nicht leicht ist. Aber wir haben schon vor sechs Jahrzehnten bewiesen, dass wir es schaffen können. Er stellt so etwas wie den Lackmus-Test unserer technischen und organisatorischen Fähigkeiten dar. Eine Nation, die es schafft zum Mond zu fliegen oder gar auf ihm zu landen, nötigt uns höchsten Respekt und Anerkennung ab. Der Mond verkörpert alles, was uns als Menschen fordert. Er ist ein Objekt der Romantik, der Herausforderung, des Wagemutes und er ist ein Sprungbrett ins Sonnensystem und zu den Sternen. Trotzdem haben wir rätselhafterweise nach einer ersten Phase oberflächlicher Erkundung beschlossen, unseren nächsten kosmischen Nachbarn nicht mehr zu besuchen. Wie konnte so etwas geschehen? Versuchen wir eine Analyse.

Vier Jahrzehnte Funkstille

Die Sowjetunion, die bis 1976 ein sehr erfolgreiches unbemanntes Forschungsprogramm betrieb, geriet in dieser Zeit in immer größere wirtschaftliche Probleme. Froh, das Rennen um den Mond gegen die Amerikaner endlich aufgeben zu können, beschäftige man sich in der bemannten Raumfahrt von nun an mit einem moderaten Raumstationsprogramm, das seinen Höhepunkt in der Raumstation Mir fand. Weitere Mittel standen nicht zur Verfügung, vor allem auch, weil man auf die unglückliche Idee kam, den US-Space Shuttle „nachzuentwickeln“. Das System Energia/Buran verschlang Unsummen, band enorme Ressourcen und führte am Ende zu keinem brauchbaren Resultat. Der Zusammenbruch der Sowjetunion tat sein Übriges. Die Folgen wirken sich bis in die Gegenwart aus. Bis heute lebt Russland von der Substanz der Sowjetära. Es kommt kaum zu Neuentwicklungen. An den wenigen Stellen, wo es sie gibt, verlaufen sie mit gletscherhafter Langsamkeit. Gut zu beobachten ist das an der Indienststellung der Trägerrakete Angara, die sich seit vielen Jahren zäh dahinschleppt, oder an der Errichtung des neuen Raumflughafens in Wostotschny. Die Raumfahrt-Ressourcen im finanziell klammen Russland reichen nur noch für wenige Dinge. Mondflüge und Planetenmissionen, wissenschaftliche Missionen generell, gehörten jahrzehntelang nicht dazu. In den USA sah es wirtschaftlich Mitte der siebziger Jahre zwar weit besser aus, aber die Zielsetzung für die Raumfahrt war dennoch verfahren. Was die bemannten Missionen betraf, so gab es einen vagen Plan. Zuerst den Shuttle, der die Flüge in den Orbit um mehrere Größenklassen billiger machen sollte, danach eine modulare Mondinfrastruktur. Nach dem Abschluss des Apollo-Programms rechnete man mit dem Beginn der Shuttle-Flüge etwa für das Jahr 1978. In den frühen Achtzigern, so die etwas nebulöse Idee, sollte dann eine Shuttle-basierte Mondarchitektur entstehen, bei der etwa ab Mitte der achtziger Jahre mit je etwa vier bis fünf Shuttle-Missionen eine bemannte Mission zum Mond hätte gestartet werden sollen. Realisten wollten das seinerzeit nicht so recht glauben, und waren der Meinung, dass es wohl eher bis in die neunziger Jahre dauern könnte, bis man wieder bemannt zum Mond fliegen würde. Wie lange es am Ende aber tatsächlich dauern sollte, hätten selbst die überzeugtesten Pessimisten nicht für möglich gehalten. Der Einsatz der Raumfähren verzögerte sich schließlich Jahr um Jahr, und als sie schließlich in Betrieb gingen, waren ihre Betriebskosten astronomisch hoch. Mondpläne mit Hilfe des Shuttles zerschlugen sich schon deshalb bald. Dennoch hätte es bereits Ende der achtziger Jahre wieder so weit sein können. Präsident Bush hatte die Space Exploration Initiative ins Leben gerufen, deren finales Ziel es war, zum Mars zu fliegen. Aber auch der Mond wäre, gleichsam als Zwischenziel, mit auf dem Plan gestanden. Ein weiterer Teil des Gesamtprogramms war die US-Raumstation „Freedom“. Der damalige Vizepräsident Dan Quayle wies die Raumfahrtbehörde an,...