Ein verfänglicher Augenblick (Die Sullivans 2)

von: Bella Andre

Oak Press, LLC, 2015

ISBN: 9781938127656 , 300 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 5,99 EUR

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Ein verfänglicher Augenblick (Die Sullivans 2)


 

Kapitel 1


Marcus Sullivan war ein Mann mit einer Mission.

Vor 20 Minuten hatte er die Verlobungsfeier seines Bruders verlassen und war direkt zum Herzen von San Franciscos Mission District unterwegs. Tanzmusik dröhnte auf die Straße heraus, so laut, dass die in der Schlange wartende Menschenmenge bereits mittanzte.

Leder und Piercings, Tattoos und fluoreszierendes Haar waren nicht gängig in Marcus‘ üblicher Clique. Aber die Männer und Frauen mit Ohrringen in ihren Nasen und Augenbrauen sahen zumindest glücklich aus.

Marcus hatte vor, in ein paar Stunden bedeutend glücklicher zu sein als jetzt.

Nicht, dass er eine Chance hätte, dachte er, so glücklich wie sein Bruder Chase zu werden, der jetzt mit der Frau seiner Träume verlobt war. Vor einem Monat war Chase Chloe in Napa Valley begegnet, als ihr Auto von der Straße abgekommen und in einem Graben gelandet war. Sobald Chase Chloe aus dem Unwetter herausgeholt hatte, sah er leider den Bluterguss an ihrer Wange und begriff, dass sie viel größere Probleme hatte als ein kaputtes Auto in einem Graben. Chase hatte mehrere Tage gebraucht, um ihr Vertrauen zu gewinnen, und als sie schließlich gestand, wie ihr Ex-Ehemann sie misshandelt hatte, gab er ihr die Unterstützung, die sie brauchte, um den Übeltäter bei der Polizei anzuzeigen.

Als Marcus Chloe kennenlernte, hatte er sofort gesehen, dass sein Bruder total verliebt war. Er fand auch, dass sein Bruder mit Chloe eine gute Wahl getroffen hatte. Sie war nicht nur schön, sondern auch wirklich reizend, intelligent, tapfer und liebevoll. Sie erwiderte die Liebe seines Bruders offensichtlich mit derselben Leidenschaft und Hingabe.

Die ganze Familie war auf der Verlobungsfeier seines Bruders, sogar Smith, der einer der größten und meistbeschäftigten Filmstars der Welt war. Chase war der erste Sullivan, der sich verlobte und für alle war es eine großartige Sache. Besonders ihre Mutter, die hocherfreut – und sehr erleichtert – war, dass sich eines ihrer acht Kinder endlich zum Sprung in eine Beziehung ‚auf immer‘ entschlossen hatte.

Marcus hatte es genossen, mit seinem Bruder, seinen Geschwistern und ihrer Mutter zu feiern. Aber während der ganzen Party hatte er das Gefühl gehabt, als würden ihn alle ansehen und sich fragen, warum er und seine Freundin Jill sich noch nicht verlobt hatten. Schließlich waren sie schon seit zwei Jahren zusammen. Und er hatte in diesen zwei Jahren an ihre Beziehung geglaubt. Ein Irrglaube.

Sie kannten den Grund nicht, warum Jill nicht zur Verlobungsfeier gekommen war … und er hatte Chases und Chloes Party nicht ruinieren wollen, indem er ihnen berichtete, was geschehen war. Außerdem konnte er es selbst noch kaum glauben.

Obwohl er mit eigenen Augen sehen konnte, was Jill getan hatte.

Die Musik dröhnte vom Club hinaus auf die Straße, als Marcus an der langen Schlange von Leuten vorbeiging, die darauf warteten, eingelassen zu werden. Er hatte den Eindruck, dass alle mindestens ein Jahrzehnt jünger waren als er. Und obwohl ihm der Altersunterschied das Gefühl hätte geben sollen, fehl am Platz zu sein, war er sich noch sicherer, dass er den richtigen Ort gewählt hatte.

Er brauchte heute Abend einen totalen Wechsel von seiner Wirklichkeit, und ein Lokal voll 20-und-etwas-Jähriger im Mission District war für den Anfang ebenso gut wie ein anderer Ort.

Trotz der Tatsache, dass Marcus Anzug und Krawatte trug, warf der Türsteher nur einen Blick auf ihn und löste den Haken des Absperrseils, um ihn einzulassen. Marcus war ein großer Mann mit breiten Schultern und großen Händen, die wehtun konnten, wenn er seine Brüder und Schwestern als Kinder verteidigen musste. Obwohl er seine Körpergröße nicht oft nutzte, um Menschen einzuschüchtern, hatte er nichts dagegen, alle ihm zur Verfügung stehenden Instrumente einzusetzen, wenn er sie brauchte.

Der dunkle, schwere Beat hämmerte durch ihn hindurch, als er durch den schwarzen Eingang in den überfüllten Club ging, aber weder die laute Musik noch das zuckende Licht konnten seine Gedanken auch nur im Entferntesten auslöschen.

Das war nicht der Grund, weshalb er hier war. Er war nicht hier, um zu vergessen, was er gesehen hatte.

Nein, dachte Marcus und sein Magen verkrampfte sich, als er ein Pärchen sah, das sich eng umarmte, während es trotz des rasanten Rhythmus des Songs langsam tanzte. Nein, er wollte nicht vergessen, er würde es sich nicht erlauben, denselben Fehler nochmals zu machen. Er würde nicht mehr so dumm, so blind sein wollen, nie mehr.

Marcus war heute Abend hier, um zwei vertane Jahre wettzumachen. Vor 24 Monaten hatte er Jill in San Francisco an einem heißen Augustabend kennengelernt. Er war bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung eingeladen, die ihre Firma ausrichtete. Die Sullivan Winery hatte eine erkleckliche Summe für den Children’s Fund gespendet. Sobald er einen Blick auf ihre kühle, blonde Schönheit geworfen hatte, glaubte er, das in seinem Leben fehlende Puzzle-Teil gefunden zu haben. Er war 34 und hatte begonnen, an eine eigene Familie zu denken, an eine Frau und Kinder.

In Jill hatte er seine Zukunft gesehen: Heirat, Kinder, Dinner Partys auf seinem Weingut mit der perfekten Frau an seiner Seite.

Nur war das alles, wie er heute Nachmittag erkannt hatte, keineswegs perfekt …

Marcus konnte das Stöhnen sogar schon hören, als er seinen Schlüssel zu Jills Wohnung im Schloss umdrehte. Es hätte ein für die sexy Stelle zu laut eingeschalteter Film sein können, aber Marcus wusste es besser – hatte es seit Monaten besser gewusst, wenn er zu sich selbst ehrlich war. Jill war schon seit einer Weile zerstreut und launisch. Er hatte versucht sich einzureden, dass es einfach der Druck in ihrem Job war, der sie ihm gegenüber kurz angebunden machte, ganz zu schweigen, dass sie immer weniger Lust zu Sex hatte. Aber als sie an den Wochenenden nicht mehr nach Napa kam, um sich auf dem Weingut zu entspannen, musste er sich eingestehen, dass ihre Probleme tiefer gingen als zu viel Arbeit. So tief, dass er versucht hatte, mehr als einmal mit ihr darüber zu sprechen, obwohl sie sich immer befleißigte, seine Fragen beiseitezuschieben.

Seine Hände hielten während des Bruchteils einer Sekunde am Türknauf inne, bevor er die Tür aufschob und durch die Wohnung seiner Freundin ging. Das Stöhnen wurde bei jedem seiner Schritte lauter.

„Oooh, so ist es gut! Genau da! Recht so!“

Jill hatte immer im Bett geschrien, aber er hatte nie bemerkt, wie falsch es klang – bis jetzt, wo er sich als Zuschauer auf recht billige Weise ein Bild von ihrer Show machen konnte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, als er durch ihre Küche und den Gang hinunter zu ihrem Schlafzimmer ging. Er wollte das nicht wirklich sehen, aber er wusste, dass er es sehen musste. Er hatte so hartnäckig mit ihr zusammenbleiben wollen … und als er hörte, wie sie sich weiter in gespielter Ekstase mit irgendeinem Kerl die Lunge herausschrie, musste sich Marcus plötzlich fragen, warum?

Er hatte sie vor langem gebeten, hinauf nach Napa zu ziehen, um mit ihm auf seinem Weingut zu leben, sie hatte aber immer einen Grund gehabt, es zu verschieben. Der letzte war, dass ihre Wohnung eine seltene Gelegenheit war, kaum einen Häuserblock von ihrem Finanzplanungsunternehmen entfernt, mit den häufigen Weckrufen um 4.40 Uhr morgens. Sie sagte ihm, er könnte, wann immer er wollte, in ihrer Wohnung übernachten.

Nur hatte sich Marcus in ihrer Wohnung nie zu Hause gefühlt. Alles war in einem kalten Weißton gehalten mit Spiegel- und Glasflächen, die bei der kleinsten Berührung verschmiert wurden. Es war kein Zuhause, in dem Kinder je willkommen sein würden. Da er mit acht Geschwistern aufgewachsen war, wusste er genau, was erdige Füße und schmutzige Hände an Möbeln wie diesen anrichten konnten. Es war nicht schön, aber es war das wirkliche Leben. Wirkliches Leben.

Sein Haus in Napa Valley war im Gegensatz dazu voll mit großen, bequemen Sofas, farbigen Teppichen aus Italien importiert und Kunstwerken, die er liebte, ob von einem berühmten Künstler gemalt oder von einem aufstrebenden lokalen Maler.

Aber er hatte sich eine gemeinsame Zukunft mit ihr gewünscht und hatte angenommen, dass er für die Verwirklichung dieser Zukunft flexibel sein, Kompromisse eingehen musste.

Wie viele Wochenenden war er in die Stadt gekommen, um Jill zu sehen, wenn es ihr passte? Wie oft hatte er von jetzt auf gleich sein ganzes Programm umgekrempelt, wenn sie ihn brauchte?

Er wusste natürlich, dass sich seine Brüder und Schwestern eine Meinung zu Jill gebildet hatten, aber überraschenderweise waren sie ziemlich zögerlich, ihre Nasen in seine Beziehung zu stecken. Vielleicht, weil sie dachten, dass er früher oder später die Augen öffnen würde. Nur Chase hatte kürzlich versucht, mit ihm über Jill zu sprechen. Aber da war das Desaster schon so erheblich, dass Marcus die Fragen und Bedenken seines Bruders nicht gerade ermutigt hatte.

Nun ja, Marcus wusste, dass er öfter, als er zählen konnte, seine Wünsche zurückgestellt hatte, nur weil er versuchte, Jill glücklich zu machen.

Aber nie, nicht ein einziges Mal war er in eine Live Pornoshow, in der seine Freundin die Hauptrolle hatte, hineingeplatzt.

Sie ritt auf dem Kerl, als wäre er ein halbwildes bockendes Pferd und sie der Star-Rodeo-Reiter. Es fehlten ihr nur der Cowboyhut, Stiefel und geflochtene Zügel.

Er sah die nackte Haut und Glieder – natürlich konnte er sie von der Schlafzimmertür aus nicht übersehen – es war aber, als würde er sie aus einer...