Das Innere Kind in Dir - Ein Reiseführer zu sich selbst

von: Eva-Maria Thal

epubli, 2017

ISBN: 9783745027310 , 370 Seiten

3. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 12,99 EUR

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Das Innere Kind in Dir - Ein Reiseführer zu sich selbst


 

Will ich oder will ich nicht?


Da saß ich nun, mit viel zu schnell klopfendem Herzen und feuchten Handflächen. Mein Gott! Seit wann irritiert Dich ein Siebzigjähriger? Gleichzeitig wusste ich aber, dass diese Situation neu war. So etwas hatte ich noch nie mitgemacht. Komm! Los! Sag` irgendetwas!

»Was hat eigentlich der Kassettenrekorder zu bedeuten?« Während Dr. Jung eine Kassette in den Rekorder legte und auf >Aufnahme< drückte, erklärte er: »Ich werde die Stunden, die Sie hier verbringen, aufzeichnen.« Ach, nee... »Die Kassetten bekommen Sie. Ich behalte hiervon nichts.« Hörte sich schon besser an.

»Das hat den Vorteil, dass Sie zu Hause jedes hier geführte Gespräch Wort für Wort noch einmal anhören können und damit die Stunden immer verfügbar haben. Im Laufe meiner Therapieerfahrung hat sich gezeigt, dass Patienten Worte überhören, die ich sage oder eigene Worte nicht mehr so genau wissen. Durch diese Bandaufnahme geht kein Wort, kein Lachen, kein Seufzen verloren.«

Ob das so gut ist, dachte ich. Egal, ich musste sie mir ja nicht noch mal anhören. Als hätte er meine Gedanken erraten, sagte Dr. Jung:

»Ich gebe Ihnen in jeder Stunde sogenannte Hausaufgaben auf. Eine hiervon ist immer, die Kassette der letzten Stunden noch einmal zu hören. Dabei sollten Sie immer darauf achten, ob ich Sie richtig verstanden habe oder ob Sie es genauso gesagt haben, wie Sie es gemeint haben. Häufig kommt es auch vor, dass die Patienten zu der letzten Stunde noch Fragen haben. Sollte es Ihnen auch so gehen, schreiben Sie sie auf und stellen sie bitte in der nächsten Stunde.«

Er riet mir, ein Tagebuch zu führen. So würde kein auch noch so flüchtiger Gedanke verloren gehen. »Ich schreibe schon seit 20 Jahren Tagebuch.«

»Fangen Sie ein neues an. Es geht nicht darum, wen Sie hier in der Kur kennengelernt haben oder was Sie erleben. In diesem Tagebuch geht es ausschließlich darum, was Sie mit sich selbst erleben. Das ist etwas Neues und sollte auch in einem neuen Buch stehen. Sie beginnen hier etwas, das ist ganz anders als alles, was Sie vorher gemacht haben. Natürlich können Sie Ihr altes Tagebuch weiterführen...«

Worauf Sie sich verlassen können! Genau das ist mir nämlich wichtig: Wen ich hier kennenlerne und was ich hier erlebe.

»Die anderen Hausaufgaben, die ich Ihnen aufgeben werde, ergeben sich aus den jeweiligen Stunden.«

Dies seien keine Aufgaben wie in der Schule. Es gäbe nicht die perfekte Lösung. Es gäbe auch keine Zensuren.

»Jeder Patient soll versuchen, die jeweilige von mir gestellte Aufgabe zu bewältigen. Das Ergebnis der DeKiD - Therapie ist: >Ich hab` es geschafft< oder >Ich hab` es nicht geschafft<. Ich will keine Lösung der Aufgaben auf Teufel komm ´raus. Wenn die Aufgabe von Ihnen nicht bewältigt werden konnte, dann werden wir gemeinsam versuchen, herauszufinden, wo die Gründe hierfür liegen. Es können zum Beispiel Widerstände auftreten, die häufig viel wichtiger sind als die Lösung.«

Na gut. Klang ja alles ein bisschen nach Arbeit... Aber, schau`n wir mal! Neben meiner geballten Skepsis spürte ich auch gleichzeitig so etwas wie Spannung in mir aufsteigen...

Dr. Jung erläuterte, dass seine Form der Therapie kein Auseinandernehmen der Persönlichkeit des Patienten sei.

»Kein DeKiD - Patient nimmt am Ende Bruchstücke seines Selbst mit nach Hause. Das wäre ja auch schrecklich! Bei DeKiD gibt es Stufen: Stufen der Befreiung und Verselbstständigung. Bereits am Ende dieser vier Wochen werden Sie auf einer höheren Stufe der Befreiung stehen als heute. Die Erfahrung, mit sich umzugehen, kann Ihnen niemand mehr nehmen. Das haben Sie immer in sich, auch wenn Sie - nach Ohlstadt - wieder in Ihrem Alltag sind. Was Sie dann daraus machen, ist alleine Ihre Sache. Sie alleine arbeiten an Ihren Problemen.«

Es sei nicht gesagt, dass ich nach vier Wochen meine sämtlichen Probleme gelöst hätte. Es gäbe bei DeKiD kein Ende. Die absolute Befreiung zu erreichen sei eine Illusion.

»Die Stufen der Befreiung in DeKiD bedeuten, immer ein Stückchen freier und nicht mehr geplagt zu werden von irgendetwas. Wichtig ist dabei, dass Sie keine Angst haben. Es wird nichts mittendrin abgebrochen. Sie werden nicht frühzeitig nach Hause geschickt. Das wäre wirklich furchtbar und wird nicht geschehen! Sie bekommen mit DeKiD ein Instrument an die Hand. Ich helfe Ihnen, dieses Instrument zu erlernen und damit selbstständig umzugehen. Nach vier Wochen werden Sie nach Hause fahren und dieses Instrument für sich weiter nutzen können. Ich hoffe, Sie werden es auch weiterhin tun. Und, noch eins ist mir wichtig: Sie sollen wissen, dass sie jederzeit wiederkommen können.«

Er sprach dann die von mir gleichzeitig zu absolvierende Kur an. Es sei ihm wichtig, dass ich diese für Körper, Geist und Seele so wichtige Kur vollständig mitmache.

»Sie ist etwas Einmaliges. Deshalb werden die Termine für diese Therapiestunden immer außerhalb des Kurprogramms liegen. Was für Sie natürlich eine Doppelbelastung bedeutet. Es ist sehr zeitaufwendig: die Stunden hier bei mir, die Kassetten noch einmal hören, die Hausaufgaben machen, das Tagebuch schreiben... All` das bedeutet freiwilliger Verzicht auf autogenes Training und vieles mehr. Der Chefarzt weiß und versteht das. Sie werden merken, wie viel wichtiger die Arbeit mit sich selbst ist im Vergleich zu irgendeinem Vortrag über Ernährung oder Herzrhythmusstörungen.«

Okay! Der Punkt ging an ihn…

»Was Sie auch brauchen werden, ist Kraft. Ich selbst weiß, wie viel Spaß es macht, in der Gruppe zu wandern und abends bei diversen Schoppen Wein zu feiern. Sie werden schnell Menschen kennenlernen, mit denen Sie zusammen fröhlich sein können und wollen.«

Schon passiert...

»Ich hatte mal eine Patientin, die hat die Therapie abgebrochen, weil ihr die geselligen Zusammenkünfte wichtiger waren. Das sollte Ihnen nicht passieren. Sie sollten diese Treffen auf ein Minimum reduzieren, wobei Sie damit rechnen müssen, dass andere Ihren Rückzug nicht immer verstehen werden. Aber ich rate Ihnen, auch hier ganz ehrlich zu sein und den anderen den wahren Grund hierfür zu nennen.«

Tausend Gedanken liefen durch meinen Kopf... Wollte ich das? Michael ist so süß! Ich will viel mit ihm zusammen sein und das geht eben nur abends, weil er nicht in meiner Wandergruppe ist. Wie viel Schlaf brauchte ich eigentlich? Sollte ich nicht doch lieber gehen, bevor ich richtig angefangen hatte? Noch ist es nicht zu spät... Alles halbherzig zu machen, das bringt`s ja wohl auch nicht! Also? Was tun?? Gehen? Oder bleiben und versuchen, alles unter einen Hut zu bringen? Ach Shit, wäre doch gelacht, wenn ich das nicht irgendwie hinkriege! Zumindest könnte ich ja auf jeden Fall erstmal diese Stunde zu Ende mitmachen. Wenn ich schon mal hier bin....

Was hatte er gesagt? Vielleicht sollte ich lieber zuhören! Zum Glück hatte ich ja die Kassette...

»...eine Patientin erzählte, dass sie früher in so einer Kur immer ein paar Männer angemacht hätte. >Aber, seitdem ich meine Kleine bei mir habe, brauch` ich das gar nicht mehr. Da würden uns Männer nur stören<.«

Tja, gut, dass die Menschen verschieden sind....

»Wenn Sie sich hier in einen Mann verlieben, sollten Sie mit der Therapie aufhören. Dann können Sie gar nicht offen sein für Ihr Kind und für die erforderliche Arbeit mit ihm.«

Mit einem abwartenden Blick sah dieser Mann mich an. Konnte er hellsehen? Und, wenn ja, was sah er noch? Das alles machte mir eine leichte Gänsehaut.

Okay, jetzt war ich wohl dran. Womit sollte ich nur anfangen?

»Ja, ähm... also… tja…«, stotterte ich, »mir ist schon klar, was Sie meinen... Ich bin mit ganz, ganz viel Angst vor dem, was auf mich zukommt, nach Ohlstadt gefahren. Mein normalerweise zu niedriger Blutdruck wird hier täglich gemessen, weil er viel zu hoch ist. Ich weiß, dass es daran liegt, dass ich Angst habe. Ich glaube, einen höheren Blutdruck als heute Abend auf dem Weg zu Ihnen hatte ich noch nie!«

»Das ist sehr interessant. Der Blutunterdruckler läuft auf Sparflamme, als wäre er gedrosselt. Viele Depressive haben einen viel zu niedrigen Blutdruck. Sie dagegen sind engagiert. Angst zu haben bedeutet Engagement. Beides, Bluthoch- und Blutunterdruck ist nicht gut, aber Beides hat seine Gründe. Sie werden vermutlich nach einigen Stunden hier einen noch höheren Blutdruck bekommen. Machen Sie sich aber deswegen keine Sorgen. Die Wander-Kur steuert dagegen: Sie gleicht durch das Bergwandern Blutdrucke aus. Wissen Sie was? Eigentlich freue ich mich sogar ein bisschen, dass es bei Ihnen so ist.«

Wenn der wüsste, welche Gründe ich hierfür noch anführen könnte... Aber egal! Weiter geht`s! Da musste ich jetzt irgendwie durch.

»Meine Angst basiert wohl zum einen darauf, dass ich überhaupt nicht einschätzen kann, wie es mir während und nach der Therapie gehen wird. Dann die Kur... Als ich die Bilder in dem Kurprospekt sah, bin ich davon ausgegangen, dass ich hier nur mit Menschen ab 55 Jahren zusammen bin, alle ein bisschen verknöchert, alle ein bisschen wehleidig. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich da ´reinpassen sollte. Ich dachte aber auch, wenn`s wirklich so ist, habe ich wenigstens Zeit für mich und die Therapie. Vielleicht ja auch nicht schlecht. Aber, jetzt komme ich hier an und stelle fest, dass hier Leute in meinem Alter oder noch jünger sind, alle locker und gut drauf. Mit ihnen möchte ich auf jeden Fall weiterhin etwas unternehmen... Auch abends.«

So! Das war geschafft! Besser isses, wenn er von vornherein nicht zu hohe Erwartungen hat!

»Ja, ja«, lachte Dr. Jung. »Ich glaube, Sie wissen...