Das Still-Buch für besondere Kinder - Kranke oder behinderte Neugeborene stillen und pflegen

von: Brigitte Benkert

Hogrefe AG, 2017

ISBN: 9783456956923 , 240 Seiten

2. Auflage

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX Apple iPad, Android Tablet PC's

Preis: 26,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Das Still-Buch für besondere Kinder - Kranke oder behinderte Neugeborene stillen und pflegen


 

1 Frühgeburten – Daten, Fakten, Herausforderungen (S. 23-24)

Der Zeitpunkt, ab wann von einer Schwangerschaftswoche oder von einer Gestationswoche gesprochen wird, ist nicht in allen Publikationen gleich (siehe S. 24 f.). In diesem Buch wird in Anlehnung an die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Gestationsalter ab dem ersten Tag der letzten Periode berechnet und in vollendeten Wochen und Tagen ausgedrückt (Nele, 2015). Ein Neugeborenes mit einem Gestationsalter von = 37 Wochen wird als Frühgeburt bezeichnet. Eine Frühgeburt zählt zu den führenden Ursachen für die perinatale und peripartale Morbidität und Mortalität. Das Leben mit einem frühgeborenen Kind beeinflusst die Lebensqualität der Familie und schränkt diese ein. In Abhängigkeit von den bleibenden gesundheitlichen Einschränkungen des Kindes kann die Lebensqualität der Familie zeitlebens davon betroffen sein. Langzeitstudien weisen darauf hin, dass die Folgen einer Frühgeburt weit über das Säuglingsalter hinausreichen und sich oft in späteren Lebensphasen in chronischen Erkrankungen manifestieren. Direkt nach der Geburt neigen Frühgeborene zu Komplikationen wie insuffiziente Atemfunktion, ungenügende eigenständige Ernährung, insuffiziente Eigenregulation der Körpertemperatur sowie an einem erhöhten Risiko an einer Infektion zu erkranken (WHO, 2015).

Mortalität und Frühmorbidität entscheiden sich in der Regel bis zur Entlassung. Singer (2006) betont, dass zu den Langzeitfolgen erst im Kinder-, Jugend- oder Erwachsenenalter Aussagen möglich sind. So gibt Singer an, dass zum Beispiel zum Ausmaß einer Cerebralparese oder sensorischen Beeinträchtigung erst im Alter von zwei Jahren eine gültige Aussage möglich ist. Aussagen zu kognitiven Defiziten sowie einem ausbleibenden Aufholwachstum sind erst im Vorschulalter möglich. Psychische Probleme und soziale Benachteiligungen lassen sich oft erst in der Adoleszenz erkennen. Frühgeborene, die einer intrauterinen Wachstumsretardierung ausgesetzt waren, sind im Erwachsenenalter disponiert, im Rahmen des metabolischen Syndroms zu erkranken: Adipositas, Hypercholesterinämie, arterielle Hypertonie sowie Diabetes mellitus (Singer, 2006). Als et al. (2011) betonen, dass Frühgeborene oft körperliche Dysfunktionen, Verhaltensauffälligkeiten und psychische Auffälligkeiten entwickeln – diese zeigen sich in der Intelligenz, der Verhaltensregulation, in Bewegungseinschränkungen und in der sozialen und emotionalen Adaption. Eine entwicklungsfördernde Versorgung kann nicht immer alles auffangen, es braucht nach der Entlassung Begleitung. Zur Unterstützung der Familien und zur Kompetenzförderung beim frühgeborenen Kind bedarf es geschultes Personal mit Fachwissen.

Das Fachpersonal sollte Einflüsse und Zusammenhänge auf die Entwicklung des Kindes neurologisch (neuromotorisch, affektiv, „neuro-behavioural“) erkennen. Es sollte die Auswirkungen der frühen extrauterinen Betreuung auf der neonatologischen Intensivstation (NICU) oder der Neonatologie auf die Entwicklung des Kindes sowie auf die Eltern wahrnehmen und die Betreuung darauf ausrichten. Der Blickwinkel in der Betreuung von Eltern mit ihrem frühgeborenen Kind muss auf die Beziehung, Feinfühligkeit, Ko-Regulation und Pflege durch die Eltern gerichtet werden. Das Eltern-Kind-Paar benötigt Unterstützung vom Fachpersonal, um als Einheit zu funktionieren.

Die Empfehlungen zur Verbesserung des „Outcomes“ von Frühgeburten (WHO, 2015) beinhalten sowohl Interventionen, die bei einer drohenden Frühgeburt schon in der Schwangerschaft angewendet werden können, als auch Interventionen, die nach der Geburt zum Einsatz kommen. Eine frühzeitige Einschätzung eines Frühgeburtenrisikos und eine engmaschige Begleitung der werdenden Mutter gibt die Möglichkeit, postpartalen Gesundheitsrisiken und Einschränkungen entgegenzuwirken.

In der Neonatologie hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, demzufolge Morbidität und Mortalität bei einer Frühgeburt nicht allein von der Unreife, sondern von den Ursachen für die Frühgeburtlichkeit (intrauterine Infektion, Mangelernährung, Stress) mitbestimmt werden. Die weitere Unterstützung, Förderung und Entwicklung eines zu früh geborenen Kindes wird maßgeblich von familiären Faktoren mitbestimmt. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für eine Auseinandersetzung mit einer qualifizierten Langzeitbetreuung von Frühgeborenen und ihren Familien im familiären Setting (Singer, 2006).

1.1 Die Behandlung von Frühgeburten ist länderabhängig

Jährlich werden in Europa 500 000 Babys zu früh geboren. Ab wann eine Frühgeburt lebensfähig ist und welche Behandlung eingeleitet wird, ist länderabhängig. Es ist eine...