Hedwig Courths-Mahler - Folge 153 - Ich lasse dich nicht

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783732521845 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 153 - Ich lasse dich nicht


 

Ein letztes Mal habe ich deine Spielschulden bezahlt, Sascha – ein letztes Mal! Deinem Leichtsinn muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden! So geht es nicht weiter! Deine Vorfahren haben auch gelebt und genossen, ich bin ebenfalls kein Knauser gewesen, aber gespielt hat noch kein Kalnoky. Sonst wäre es dir wohl nicht beschieden, in so glänzenden Verhältnissen zu leben. Du sollst deine Jugend genießen, das steht dir offen; aber dem Spieltisch werde ich dich in Zukunft fernhalten mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln.“

So sprach Fürst Iwan Kalnoky mit strenger Miene zu seinem Sohn Alexander, der dem Vater in sichtlich bedrückter Stimmung zugehört hatte.

Nun hob er den Kopf.

„Du hast ja Recht, mir zu zürnen, Papa. Ich weiß, dass ich unverantwortlich leichtsinnig war und verstehe selbst nicht, wie es gekommen ist, dass ich mich wieder zum Spiel verleiten ließ.“

„Obwohl du mir versprochen hattest, es nie wieder zu tun“, sagte Fürst Iwan vorwurfsvoll.

Alexander errötete.

„Ja, es ist Unrecht von mir gewesen. Aber man ist manchmal nicht Herr seiner selbst.“

„Schlimm für einen Mann, wenn er die Herrschaft über sich verliert, doppelt schlimm für einen, von dem das Wohl und Wehe vieler Menschen einst abhängen wird. Wer aber anderen ein Herr sein will, muss sich erst selbst beherrschen können.“

Alexander strich sich über die heiße Stirn. Dann richtete er sich straff auf, und seine sonst so übermütig funkelnden Augen blickten sehr ernst.

„Du sollst keine Ursache mehr haben, mit mir unzufrieden zu sein, Papa. Ich verspreche dir hiermit feierlich, nie mehr zu spielen.“

„Gut, ich will dir glauben.“ Fürst Iwan blickte noch einmal auf die vor ihm liegenden Quittungen. Dann schloss er sie schnell in seinen Schreibtisch. „Nun lass uns zu deiner Mutter und deiner Schwester gehen, die beiden haben auch sorgenvolle Stunden deinetwegen durchgemacht!“

Fürst Alexander atmete erleichtert auf, als er hinter dem Vater das Zimmer verließ. Die letzte Stunde war nicht leicht gewesen. Und Alexander Kalnoky hatte bisher sehr wenige schwere Stunden kennen gelernt.

Unwillkürlich reckte er seine schlanke Gestalt in der Uniform der Leibgarde des Zaren. Er war ein glänzender Kavalier, mit allen Vorzügen des Leibes und der Seele ausgestattet. Er hätte der Stolz seiner Familie sein können, wenn nicht sein Leichtsinn die vorzüglichen Charaktereigenschaften verdunkelt hätte.

Vater und Sohn hatten einige Zimmer des Palais Kalnoky durchschritten und betraten nun ein saalartiges Gemach, das bei der Familie des Fürsten als gemeinsamer Aufenthaltsort sehr beliebt war. Es gab da lauschige Kaminplätze, bequeme Sessel aller Art, Diwane, mit kostbaren Fellen belegt. An einem der Eckfenster standen auf kleinen Tischen Körbchen mit feinen Handarbeiten, wie sie vornehme Damen in langweiligen Stunden anfertigen. Auch hier standen bequeme Sessel. Und in diese Sessel geschmiegt, saßen sich zwei Damen gegenüber. Die jüngere, Alexanders Schwester Tatjana, hielt lässig eine Stickerei in den schlanken Händen, während die ältere, Fürstin Maria Petrowna, ihre Mutter, unruhig und in nervöser Erwartung zur Tür sah.

Ein besorgter Blick flog aus ihren großen, dunklen Augen den beiden Herren entgegen.

Fürst Alexander eilte auf seine Mutter zu.

„Vergib, dass ich dir Kummer machte, liebe Mama“, bat er leise.

Sie seufzte leicht.

„Soll ich härter sein als dein Vater, Sascha? Ich sehe, Papa zürnt dir nicht mehr.“

Während Alexander zu seiner Schwester trat, um sie zu begrüßen, reichte die Fürstin ihrem Gemahl die Hand.

„Ich danke dir, Iwan.“

Er küsste ihre Stirn.

„Bedarf es des Dankes, dass ich tat, wozu mein Herz mich drängte, Maria? Aber er weiß jetzt, dass er in Zukunft keine Hilfe mehr zu erwarten hat.“

Die Fürstin blickte zu ihren Kindern hinüber.

Tatjana war in ihrer raschen, lebhaften Art aufgesprungen, als die Herren eintraten. Achtlos ließ sie die Stickerei zu Boden fallen. Nun umarmte sie den Bruder herzlich. Sie hatte noch viel kindlich Unbeherrschtes an sich, trotz der strengen Erziehung in einem der klösterlichen Institute, in denen die vornehmen jungen Russinnen erzogen wurden. Ihre starke Eigenart und das lebhafte, übermütige Naturell hatten sich siegreich gegen allen geistigen und körperlichen Drill gewehrt.

Tatjana besaß ein fein geschnittenes Gesicht, volle, tiefrote Lippen und schöne dunkle Augen.

Diese Augen und die fein gezeichneten Brauen darüber sowie die langen Wimpern fanden sich, kühner und männlicher, in Alexanders Gesicht wieder. Und beiden Geschwistern war ein bestrickendes Lächeln eigen, ein Lächeln, das sie unwiderstehlich machte.

Es war kein Wunder, dass die Augen der Eltern in zärtlichem Stolz an diesen Kindern hingen.

„Gott sei Dank, Sascha, dass nun alles wieder gut ist! Wie hab’ ich mich um dich gebangt! Aber nun fährst du auch mit mir aus, du hast es versprochen. Ich brenne darauf, die neuen Pferde zu probieren. Mama mag sie nicht, sie sind ihr zu feurig. Du, ich bin schon fast umgekommen vor Ungeduld. Ich will hinaus und Menschen sehen! Lange genug hab’ ich im Institut gesteckt!“, sprudelte Tatjana hervor.

Alexander, der seine neun Jahre jüngere Schwester so zärtlich liebte wie seine Eltern, hielt ihr neckend die Hand vor den Mund. „Halt, halt, du Unband, nicht so stürmisch! Also Menschen willst du sehen? Nun bitte, ich lasse mich gern von dir anschauen!“

Sie schlug leicht nach seiner Hand.

„Ach geh! Dich mag ich gar nicht ansehen, wenn du mich ärgerst“, schmollte sie. Aber sofort wieder lebhaft werdend, rief sie, hinauszeigend: „Sieh doch, wie die Sonne auf dem Schnee glitzert! Das gibt eine famose Schlittenfahrt! Mama hat heute wieder tausendundeine Komiteesitzung!“

„Streich nur so viel davon, dass zwei übrig bleiben, Tatjana, und zu denen könntest du mich gern begleiten“, warf die Fürstin ein.

Tatjana hob in komischem Entsetzen die Hände.

„Um Himmels willen, Mama! Sei nicht böse, aber ich finde sie grässlich langweilig, diese endlosen Beratungen, wie den Armen zu helfen ist. Es wird da so schrecklich viel geredet und viel zu wenig getan.“

„Also gut, ich dispensiere dich, du brauchst mich nicht zu begleiten, Tatjana. Wenn Sascha Zeit für dich hat, erlaube ich dir, mit ihm auszufahren. Ihr nehmt aber wohl Mademoiselle mit?“

Alexander machte ein drollig entsetztes Gesicht.

„Muss das sein, Mama?“ Tatjana schüttelte, ehe die Mutter antworten konnte, heftig den Kopf. „Ach nein, Mama, Mademoiselle hat ja schon wieder Zahnweh. Und sie friert immer entsetzlich, wenn sie hinaus muss.“

„Außerdem ist sie mindestens tausend Jahre alt und auch ohne geschwollene Wange kein herzerhebender Anblick. Tatjana steht unter meinem Schutz, Mama, da brauchen wir diesen frostklappernden Anstandswauwau nicht.“

Maria Petrowna musste lachen. „Ein Glück, dass Mademoiselle in ihre Heimat zurückkehrt, für sie und für dich.“

Tatjana atmete auf.

„Ja, wahrhaftig, Mama. Und ich bin sehr froh, dass meine neue deutsche Gesellschafterin jung ist. Mit zweiundzwanzig Jahren wird sie nicht so empfindlich gegen Kälte sein wie Mademoiselle.“

„Die Hauptsache ist, dass sie dich in der deutschen Sprache fördert“, sagte die Fürstin.

Tatjana wurde rot und hob verlegen ihre Handarbeit auf.

Seit einiger Zeit erwies der junge Fürst Wladimir Sogareff der jungen Dame sehr viel Aufmerksamkeit. Und Fürst Wladimirs Vater sollte demnächst den Botschafterposten in Berlin erhalten. Sein Sohn würde den Vater begleiten, und man nahm an, dass auch Fürst Wladimir, der gleichfalls Diplomat war, in Berlin eine Anstellung fand.

Fürst Wladimir berechtigte zu großen Hoffnungen. Man nannte ihn einen klugen Kopf, einen Mann, dem eine große Zukunft bevorstand.

Maria Petrowna war eine weitsichtige Frau. Sie sah zwischen Tatjana und Wladimir eine Neigung emporkeimen. Eine Verbindung zwischen den beiden würde ganz ihren Wünschen entsprechen. Und da nun Tatjanas französische Gesellschafterin nach Frankreich zurückkehren wollte, benutzte sie die Gelegenheit, an deren Stelle eine junge Deutsche zu engagieren, die Tatjanas mangelhaftes Deutsch verbessern sollte. Tatjana wusste sehr wohl, welche Hintergedanken die Mutter dabei hegte, und ihr Erröten bewies, dass auch sie sich bereits mit dem Gedanken beschäftigt hatte.

Während sie die Arbeit in eines der Körbchen legte, fragte sie leichthin:

„Hast du noch. Näheres über dieses Fräulein Helbig in Erfahrung gebracht, Mama?“

„Sie ist mir empfohlen worden als jung, hübsch, taktvoll, gebildet, lebensfroh und energisch“, antwortete die Fürstin.

„Das ist sehr viel – oder sehr wenig.“

„Also musst du abwarten, wie sie dir gefällt. Ich hoffe gut“, sagte die Fürstin lächelnd. „Aber wenn ihr noch vor dem Diner ausfahren wollt, dann eilt euch. Nachmittags musst du einige Stunden ruhen, Tatjana, damit du am Abend zum Ball in der Deutschen Botschaft frisch bist.“

„Unbesorgt, Mama, ich bin gar nicht ruhebedürftig.“

„Trotzdem wirst du dich ausruhen, Kind. In deinem Alter merkt man freilich noch nichts von Abspannung. Aber es rächt sich im Alter, wenn man in der Jugend nicht mit den Kräften spart.“

Wenige Minuten später begleitete Fürst Alexander seine in einen kostbaren Pelzmantel gehüllte Schwester die breite Treppe im Palais Kalnoky...