Alkoholabhängigkeit

von: Johannes Lindenmeyer

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783840927911 , 142 Seiten

3. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 16,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Alkoholabhängigkeit


 

3 Diagnostik und Indikation (S. 40-41)

Bei der Durchführung der diagnostischen Untersuchungen ist zu berücksichtigen, dass Alkoholabhängige in der Regel nicht aus eigener Motivation Hilfe suchen. Meist treiben sie körperliche Probleme oder erheblicher Außendruck durch Arbeitgeber oder Bezugspersonen an. Entsprechend befürchten viele Patienten, dass der Therapeut mit den Personen bzw. Institutionen, die die Behandlung ausgelöst haben (z. B. Leistungsträger, Arbeitsverwaltung, Arbeitgeber, Führerscheinstelle oder Bezugspersonen) in Verbindung steht und deren Sichtweise einseitig Glauben schenkt. Der Therapeut kann insofern nicht damit rechnen, dass ihm der Patient bereitwillig Auskunft gibt und seinen Ratschlägen folgt. Stattdessen stellt bereits der Diagnostikprozess einen entscheidenden Motivierungsversuch dar, von dessen Erfolg es abhängt, ob überhaupt eine Behandlung erfolgen wird. Es geht neben der Informationsgewinnung somit in erster Linie darum, den Betroffenen im Verlauf der Untersuchungen die Erfahrung machen zu lassen, dass es sich für ihn lohnt, offen mit dem Therapeuten über seine Alkoholprobleme zu sprechen.

3.1 Erstkontakt

3.1.1 Umgang mit Angehörigen im Erstkontakt

Es ist zwar sicherlich wünschenswert, dass Angehörige den Patienten beim Erstgespräch begleiten. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sich der Patient dadurch befangen, unter Zwang oder sogar gedemütigt fühlen kann. Der Therapeut sollte daher mit dem Patienten abklären, welche Teile des Gespräches er in Anwesenheit der Begleitpersonen führen möchte. Falls Angehörige beim Gespräch anwesend sind, sollte immer klar sein, wen man gerade anspricht. Nacheinander sollten alle Beteiligten zu Wort kommen: „Zunächst würde mich interessieren, wie Sie als Betroffener das erlebt haben ... Jetzt würde mich interessieren, wie Sie als Partner das sehen ...“ Uneinigkeit der Beteiligten oder Widersprüche in den Aussagen sollten durch den Therapeuten mit dem Hinweis entschärft werden, dass unterschiedliche Sichtweisen und Erlebnisweisen normal sind und keinerlei Einigungsnotwendigkeit besteht:

„Das ist ja ganz natürlich, dass Sie die Dinge etwas unterschiedlich erlebt haben. Machen Sie sich darüber bitte keine Sorgen.“

3.1.2 Gesprächsstrategien

Das Erstgespräch (vgl. auch die Karte „Hinweise für Erstkontakt“ am Ende des Buches) dient vor allem dem Aufbau einer positiven Beziehung und der Abklärung primärer medizinischer oder sozialer Versorgungsnotwendigkeiten (z. B. offene Strafverfahren, finanzielle Probleme, drohende Wohnungskündigung oder berufliche Entlassung). Suchtspezifische Informationen sollen zwar gesammelt werden, aber niemals auf Kosten der Beziehung.

Ausführliche Hinweise zur erforderlichen Haltung des Therapeuten bis hin zu konkreten Formulierungsvorschlägen finden sich im Ansatz des sog. Motivational Interviewing (Miller & Rollnick, 2015). Der Schwerpunkt der therapeutischen Interaktion liegt auf vier Aspekten:

• Verständnis zeigen. Suchtpatienten schämen sich häufig wegen ihres „selbstverschuldeten“, gesellschaftlich stigmatisierten Problems und werden von Behandlern oft sehr schnell in Richtung von spezifischen Suchtideologien indoktriniert. Hieraus entsteht schnell Widerstand und ein sinnloses Tauziehen zwischen Patient und Therapeut über das tatsächliche Ausmaß der Alkoholprobleme. Es geht im Erstgespräch stattdessen darum, sich in die Erlebniswelt des Patienten hineinzuversetzen und sich auf seine Sprache und Denkweise einzustellen. Auch unglaubhafte Äußerungen sollten an dieser Stelle nicht hinterfragt, sondern vom Therapeuten lediglich registriert werden, um hierzu zu einem späteren Zeitpunkt in der Behandlung Stellung nehmen zu können.

„Das würde mir auch so gehen …“
„Das muss ja eine schreckliche Enttäuschung für Sie gewesen sein ...“
„Es ist sicher nicht einfach, sich so im Detail zu erinnern ...“

• Kompetenz vermitteln. Nur wenn ein Patient den Eindruck gewinnt, dass sein Therapeut sich bei Alkoholproblemen auskennt, kann er Hoffnung und Vertrauen in die Behandlung entwickeln. Dies ist bei Suchtpatienten gerade aufgrund der oftmals bereits gescheiterten Therapieerfahrungen wichtig. Es empfiehlt sich daher, sich mit den typischen Symptomen und körperlichen Folgeerkrankungen einer Alkoholabhängigkeit sowie dem regional unterschiedlichem Jargon von Alkoholabhängigen vertraut zu machen.

„Viele Patienten berichten auch, dass ...“
„Kommt es auch vor, dass ...?“