Sie wollten den Krieg - Wie eine kleine britische Elite den Ersten Weltkrieg vorbereitete

von: Wolfgang Effenberger, Jim Macgregor

Kopp Verlag, 2016

ISBN: 9783864453557 , 336 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Sie wollten den Krieg - Wie eine kleine britische Elite den Ersten Weltkrieg vorbereitete


 

Schlafwandler? Von wegen!

Wie Großbritannien seinen Krieg gegen Deutschland plante

Dr. Patrick Walsh

Rund um den 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs hat kein Buch so viel Lob eingeheimst wie Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog von Christopher Clark. 7 Wie der Titel schon andeutet, erläutert Clark in dem Werk seine These, dass die Nationen Europas wie Schlafwandler in den Krieg hineinstolperten. Für England gilt das allerdings nicht. Dort war der Krieg über ein Jahrzehnt hinweg geplant und gründlich vorbereitet worden. Und um das herauszufinden, muss man auch nicht extra in irgendwelche Geheimarchive steigen. Allein in den veröffentlichten Schriften und Unterlagen von Lord Hankey, Lord Esher und Henry Wilson – Männern, die im Mittelpunkt der Vorbereitungen und Planungen standen – sowie in den Werken von Archibald Colquhoun Bell, dem offiziellen Historiker der Royal Navy, finden sich hinlänglich Beweise. Hätte jemand gegenüber diesen Männern erklärt, dass Großbritannien völlig unvorbereitet in den Ersten Weltkrieg geschlafwandelt sei, wären sie vermutlich zutiefst beleidigt gewesen und hätten es als unberechtigten Vorwurf empfunden, sie hätten ihre Pflichten vernachlässigt.

Seiner Frau schrieb Lord Esher (Reginald Baliol Brett) am 26. Februar 1923: »Ich sehe all meine Papiere bezüglich der Vorbereitungen für den Großen Krieg durch. Begonnen hat das 1905/1906. 1908 konnten wir bereits große Fortschritte vorweisen. Das kann ich anhand von Dokumenten belegen.« 8 Nachfolgend ein Auszug aus Lord Eshers Tagebuch vom 4. Oktober 1911. Als Ständiges Mitglied im Committee of Imperial Defence erklärte er Premierminister Herbert Asquith, wie der Staat in den Großen Krieg zu ziehen gedenkt:

»Heute Morgen kam der Premierminister in mein Zimmer, um über die Admiralität zu sprechen. […] Dann sprachen wir über die Pläne des Generalstabs, eine Armee in Frankreich anzulanden. Der Premier ist gegen diesen Plan. Er will nichts davon hören, mehr als vier Divisionen zu entsenden. Das hat er [Kriegsminister Richard] Haldane auch so gesagt. Ich erinnerte ihn daran, dass allein schon die Tatsache, dass der Plan des Kriegsministeriums im Detail mit dem französischen Generalstab ausgearbeitet wurde (was ja auch stimmt), uns doch gewiss zum Kampf verpflichtet, egal, ob es dem Kabinett gefällt, und dass sich der kombinierte Plan der beiden Generalstäbe behauptet. Es ist schon eine ungewöhnliche Sache, dass unseren Offizieren erlaubt wurde, alle Details zu arrangieren, die Züge, die Landungen, die Aufmarschgebiete usw., wiewohl das Kabinett niemals hinzugezogen wurde. Ich fragte den Premierminister, ob es seiner Meinung nach möglich wäre, innerhalb von sieben Tagen nach Kriegsausbruch eine britische Streitmacht in Frankreich stehen zu haben angesichts der Tatsache, dass das Kabinett (die Mehrheit seiner Mitglieder) noch niemals von dem Vorhaben gehört hat. Er hält es für unmöglich! […] Alles in allem zeigte der Premierminister, dass er sehr viel über diese Probleme nachgedacht hatte.« 9

An diesem Punkt wurden zwei unterschiedliche Kriegspläne der Admiralität und des Kriegsministeriums verknüpft und miteinander verschmolzen. Außerdem mussten sie zum rechten Zeitpunkt dem Kabinett und dem Parlament enthüllt werden. Der Premierminister mag seine Zweifel gehabt haben, dass im entscheidenden Augenblick ein derartig geheim vorbereitetes Projekt durch die Maschinerie des parlamentarischen Systems geschleust werden könnte. Aber Esher hatte recht: Alles lief nach Plan, und die Strukturen der britischen Demokratie stellten sich hinter die Vorkehrungen, die diejenigen Teile des Staats, die niemandem Rechenschaft schuldig waren, im Verlauf des vorangegangenen Jahrzehnts getroffen hatten.

Auf der ersten Seite von Band III der Tagebücher und Briefe von Lord Esher prangt ein Zitat von Lord Beaconsfield (Benjamin Disraeli): »Die mächtigsten Männer sind nicht diejenigen, die in der Öffentlichkeit stehen. Die öffentlichen Männer sind verantwortungsbewusst, und ein verantwortungsbewusster Mann ist ein Sklave. Es ist das Privatleben, das die Geschicke der Welt bestimmt.« 10 Im August 1914, als Großbritannien ankündigte, für die Demokratie in den Krieg zu ziehen, hat sich das definitiv als zutreffend erwiesen.

 

 

Das Committee of Imperial Defence


Der Verteidigungsrat Committee of Imperial Defence (CID) war das Organ, in dem die Planungen für Großbritanniens Feldzug gegen Deutschland erfolgten. Gegründet worden war der Ausschuss von Premierminister Arthur Balfour auf einen Vorschlag von Lord Esher hin. Im September 1903 bot der Premier Esher die Position des Kriegsministers an, die dieser (wie es seine Art war) ablehnte. Die beiden Männer führten dann einen Schriftwechsel, in dem Esher dem Premierminister Empfehlungen gab, wie er nach dem Schock über den Verlauf des Burenkriegs den Kriegsapparat reformieren könnte. Daraus entwickelte sich die Idee, das Committee of Imperial Defence ins Leben zu rufen. So übte Esher eine allgemeine Kontrolle auf das Kriegsministerium aus, da ihn sowohl der Premierminister mit vertraulichen Informationen versorgte als auch Sir George Clarke, der erste Sekretär des CID. Der erste Bericht des Komitees wurde im Januar 1904 abgefasst, damals noch unter dem Eindruck der Erfahrungen, die man im Krieg gegen die Buren gemacht hatte. Gefordert wurde, dass künftig »eine definitive und auf soliden Daten beruhende Kriegspolitik formuliert werden kann« 11 . Offiziell schloss sich Lord Esher dem CID, der in Whitehall Gardens zusammenkam, im Oktober 1905 an.

Das CID wurde vom National Efficiency Movement gefördert. Diese liberal-imperialistische Gruppe setzte sich dafür ein, dass »Spezialisten« die politischen Entscheidungen fällen, denn den gewählten Politikern unterstellte man, aufgrund der Kapriolen der Demokratie nur wenig Fachkenntnisse der Themen zu besitzen, die in ihre Zuständigkeit fallen. Präsident des CID sollte der Premierminister sein, der »absolut freie Hand bei der Auswahl und Zusammensetzung der Mitglieder« haben sollte. Die wichtigsten Kabinettsmitglieder waren beteiligt, darunter der Schatzkanzler, der Außenminister, der Kriegsminister, der Erste Seelord, der Leiter des Marineaufklärungsdienstes und der Chef des Generalstabs. Aufgrund der Demokratisierungsprozesse in England mussten auch Politiker beteiligt werden. 12 Nachdem das Komitee anderthalb Jahre lang nur im Embryonalstadium existiert hatte, wurde das CID am 4. Mai 1904 offiziell zum Leben erweckt. Balfour machte das CID zu einer regulären Behörde des Staates mit einem permanenten Sekretariat, in dem Vertreter von Armee und Marine saßen. Sie konnten dafür sorgen, dass eine einheitliche Politik verfolgt wurde. 13

Ursprünglich sollte dieser Ansatz dazu dienen, das CID vor Liberalen zu schützen, die eine Kursänderung herbeiführen oder das Gremium einschränken wollten. Aber Balfour hätte sich in dieser Hinsicht keinerlei Sorgen machen müssen, denn als 1905/1906 die Regierungsgewalt wechselte, erhielten im neuen Kabinett von Henry Campbell-Bannerman die Liberalimperialisten Richard Haldane und Edward Grey die Schlüsselposten des Kriegsministers und Außenministers. Wahlprozess und Regierungsbildung zogen sich in die Länge, sodass der Staat ohne politische Einmischung beginnen konnte, sich für dieses Projekt in Stellung zu bringen. Dabei scheint insbesondere Esher die treibende Kraft gewesen zu sein, und im Zuge der weiteren Treffen war er auch an den politischen Winkelzügen beteiligt, die die »richtigen« Leute (das heißt: diejenigen, die das Projekt guthießen) in die »richtigen« Ämter hievten, von wo aus sie die Dinge vorantreiben konnten.

Balfour mag das CID begründet haben, aber es waren die liberalen Imperialisten, die dem gesamten Vorhaben Sinn und Richtung gaben. Zum Zeitpunkt der Gründung galt Frankreich als der größte Rivale, den Großbritannien in Europa hatte. Das Komitee musste erst neu auf Deutschland als Widersacher eingestimmt werden. Für diese Sichtweise waren die Liberalimperialisten bereits in der Opposition eingetreten. Wie die Zukunft aussehen würde, stand Esher klar vor Augen. Am 7. September 1906 schrieb er der Duchess of Sutherland: »… machen es die Gesetze der historischen und ethnografischen Evolution erforderlich, […] dass wir gegen eines der mächtigsten militärischen Imperien kämpfen, das je existierte. Das ist gewiss, und uns bleibt für die Vorbereitung nur sehr wenig Zeit.« 14 Über die Rolle des CID schrieb Esher, es handele sich um ein »Organ, das zu Friedenszeiten die herrschende Obrigkeit über die für eine voraussichtliche Kriegsführung bestmögliche Vorbereitung berät. Es erfüllt die Aufgaben, die nach allgemeiner Auffassung Carnot für Napoleon leistete.« 15 [Graf Lazare Carnot war Frankreichs Kriegsminister unter Napoleon Bonaparte, Anm. d. Übers.] Die Entente cordiale von 1904 war kaum ein Jahr alt, da hatte sich das Committee of Imperial Defence bereits für die Vorstellung erwärmt, das britische Heer an der Seite des ehemaligen Feindes kämpfen zu lassen. Die Franzosen begriffen die Vereinbarung natürlich als Türöffner für eine militärische Übereinkunft, in deren Mittelpunkt Krieg gegen Deutschland stand. Frankreich wollte auf diesem Weg die Provinzen zurückerlangen, die man nach dem Angriffskrieg von 1870 verloren hatte. Nachdem Lord French gemeinsame Militärmanöver in Frankreich hatte abhalten lassen, schrieb Lord Esher am 4. September 1906 an seinen Sohn Maurice:

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