Die normativen Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafverfahren - Ideen zu einer Kritik der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege

von: Markus Löffelmann

Walter de Gruyter GmbH & Co.KG, 2008

ISBN: 9783899495843 , 394 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 159,95 EUR

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Die normativen Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafverfahren - Ideen zu einer Kritik der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege


 

D. Entwurf einer Dogmatik der normativen Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafverfahren (S. 155-156)

I. Begriffsbestimmungen

Die Forderung nach begrifflicher Klarheit ist selbstverständlicher Bestandteil von Theorien, die Wissenschaftlichkeit und Nachvollziehbarkeit für sich in Anspruch nehmen. Dennoch weist gerade im Bereich der Beweisverbote die in Rechtsprechung und Schrifttum verwendete Begrifflichkeit zahlreiche Ungereimtheiten auf. Dies betrifft bereits die Frage, welcher Gehalt den Begriffen „Beweiserhebung“ und „Beweisverwertung“ zukomme.

In dem herrschenden Begriffssynkretismus liegt einer der wesentlichen Gründe dafür, dass es Rechtsprechung und Schrifttum bislang noch nicht gelungen ist, eine konsistente Theorie der Beweisverbote zu entwerfen. Ausgangspunkt für eine klare begriffliche Abgrenzung der verschiedenen Beweisverbote untereinander kann die jeweilige grundrechtsrelevante hoheitliche Handlung im Umgang mit Beweisgegenständen und Erkenntnissen sein. Solche Handlungen der Strafverfolgungsbehörden lassen sich untergliedern nach den Verfahrensabschnitten, in denen sie sich ereignen.

So lassen sich beweisverbotsrelevante Handlungen im Ermittlungsverfahren abheben von solchen im Hauptverfahren, in der Hauptverhandlung, bei der Entscheidungsfindung, im Rechtsmittelverfahren, bei der Strafvollstreckung, im Nachgang des Strafverfahrens und außerhalb des Strafverfahrens. Entsprechend diesen Abschnitten sind Handelnde in der Regel verschiedene Institutionen oder Personen: im Ermittlungsverfahren Polizei, Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter, im Hauptverfahren, in der Hauptverhandlung und bei der Entscheidungsfindung das erkennende Gericht, im Rechtsmittelverfahren das Rechtsmittelgericht, im Vollstreckungsverfahren die Vollstreckungsbehörden, im Nachgang des Strafverfahrens datenverarbeitende Stellen, insbesondere die Bundeszentralregisterbehörde und außerhalb des Strafverfahrens zum Beispiel die Gefahrenabwehrbehörden.

Jede dieser handelnden Institutionen und Personen benötigen nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes für den grundrechtsrelevanten Umgang mit Beweisgegenständen und Erkenntnissen eine gesetzliche Ermächtigung. Jede dieser Institutionen und Personen hat im Rahmen dieser Ermächtigung und nach dem ihr jeweils eingeräumten Ermessen den widerstreitenden hoheitlichen und individuellen Interessen Betroffener in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Das gilt für die Beschlagnahme eines Beweisgegenstands ebenso wie für seine Begutachtung in der Hauptverhandlung und seine Vernichtung im Rahmen der Asservatenbereinigung. Vor diesem Hintergrund können die – in der Dogmatik der Beweisverbote gebräuchlichen – Begriffe der Beweiserhebung, Beweisverwendung und Beweisverwertung folgendermaßen definiert werden:

1. Beweiserhebung Beweiserhebung ist jede in Grundrechte eingreifende hoheitliche Maßnahme der Strafverfolgungsbehörden oder Strafgerichte, die darauf abzielt, Erkenntnisse zu erlangen, die den Strafverfolgungsbehörden oder Strafgerichten noch nicht bekannt sind und nach ihrer Einschätzung für die Aufklärung der Straftat und die Durchführung des Strafverfahrens von Bedeutung sind. Konstitutiv für Beweiserhebungen sind danach vier Gesichtspunkte:

Es muss sich erstens um eine Maßnahme der Strafverfolgungsbehörden handeln. Handlungen privater Personen sind keine Beweiserhebungen, es sei denn, diese Personen werden von den Strafverfolgungsbehörden gezielt eingesetzt, um beweisrelevante Erkenntnisse zu erlangen, die Maßnahme der Strafverfolgungsbehörde ist dann der Einsatz dieser Personen. Zweitens muss es sich um eine zielgerichtete Tätigkeit handeln. Diese teleologische Ausrichtung ist notwendiger Bestandteil einer Handlungstheorie, die von der Zurechenbarkeit einer Handlung zu einem Handelnden und dessen Verantwortlichkeit ausgeht. Zwar können auch ungezielte Handlungen eine Verletzung von Grundrechten bewirken. Strafverfolgungsmaßnahmen müssen aber zielgerichtet sein, um verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden zu können. Sie müssen einen legitimen Zweck erfüllen und gemessen an diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen sein. Ermittlungen „ins Blaue hinein“ sind unzulässig.