Embodied Communication - Kommunikation beiginnt im Körper, nicht im Kopf

von: Maja Storch, Wolfgang Tschacher

Hogrefe AG, 2015

ISBN: 9783456756141 , 192 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Embodied Communication - Kommunikation beiginnt im Körper, nicht im Kopf


 

1. Kapitel: Der theoretische Rucksack

Wieso denn Rucksack? Wollen wir damit etwa sagen, dass alle Theorie mühselig und beladen macht? Nein. Der Gehalt dieser Metapher ist umfassender zu verstehen. Wir meinen einen leichten theoretischen Rucksack, der den Leser und die Leserin nicht belasten soll, sondern den Weg durch das Gelände der Kommunikation erleichtern wird. Die im Rucksack verstaute Theorie soll unsere Reichweite während der Wanderung sogar erweitern. Wir wollen nämlich einige Trampelpfade vermeiden, die in der Kommunikationspraxis in die Irre führen, wie wir in der Einleitung des Buchs schon angedeutet haben. Für einen solchen Irrweg halten wir beispielsweise die Überzeugung, dass in der Kommunikation ein Sender eine Botschaft an einen Empfänger schickt. Es ist wesentlich ertragreicher, davon auszugehen, dass miteinander kommunizierende Personen gemeinsam eine Kommunikation erzeugen. Wir beschreiben das so: Die beteiligten Personen «bilden ein neues System». Ein weiterer fehlleitender Trampelpfad, den wir meiden werden, besteht in der Auffassung, dass Kommunikation lediglich die Übermittlung von Information sei. Wir vertreten die Auffassung, dass Kommunikation «verkörpert» ist, und nennen diesen Vorgang deswegen auch «Embodied Communication», kurz EC. Kommunikation bezieht den ganzen Körper ein und ist ein umfassender Prozess, der sich verbal-sprachlich wie auch nonverbal vollzieht und der bewusste und unbewusste Ebenen anspricht. Die auf allen Kommunikationsebenen beobachtbare Synchronisation unter kommunizierenden Menschen ist charakteristisch für Kommunikation, die Übertragung von Informationsbits und -bytes ist es hingegen nicht.

Das Denken ist embodied

Das «Projekt Embodiment» und sein wissenschaftliches Umfeld

Der Gedanke, dass sogar die Welt des Geistes eine körperliche Basis hat, ist seit einiger Zeit in aller Munde. Wie kann aber der Geist eine körperliche Basis haben, und wie kann gar ein Gedanke «im Munde sein»? Das Projekt vom Geist-im-Körper ist auch ein Projekt vom Körper-im-Geist, denn der Körper beeinflusst den Geist und umgekehrt auch der Geist den Körper. International wird heute der Begriff «Embodiment» verwendet, wenn diese beiden Aspekte der Verkörperung des Geistes herausgestellt werden sollen.

Ein naheliegender Aspekt von Embodiment ist, dass der Geist und damit alle unsere Gedanken nicht ohne das Gehirn auskommen. Das ist in der Tat ebenso richtig wie banal. Dass der Geist immer zusammen mit einem einigermaßen funktionierenden Gehirn auftritt, wird gegenwärtig ohnehin nur von wenigen, esoterisch oder religiös fühlenden Menschen bezweifelt. In ihrer Extremform wurde diese banale Einsicht in die Körperlichkeit des Geistes jedoch zu einem neuen Credo: Alle geistigen und psychischen Vorgänge seien demnach nichts weiter als und nichts anderes als neuronale Prozesse, also Prozesse, die im Gehirn und den anderen Nerven ablaufen (siehe auch die exemplarische Hirnforscherin weiter unten). Die Neuro-Extremisten sagen: Psychologie wird eines Tages vollständig durch Neurowissenschaft ersetzt werden. Auch unsere alltagspsychologische Sprache, mit der wir unser Handeln begleiten, würde dann langsam verschwinden. Unserer Meinung nach ist das auf banale Weise falsch. Es missachtet das Bewusstsein, das jeder Mensch von seiner geistigen inneren und materiellen äußeren Welt hat. Mit dem Wort «Embodiment» wollen wir daher keineswegs den Geist auf das Gehirn reduzieren. Wir befürworten keinerlei Form des «Reduktionismus»:

Reduktionismus bezeichnet eine Lehrmeinung, die die Vielfalt der Dinge auf wenige grundlegende Dinge zurückführen möchte. Damit soll die Welt verständlicher werden. Reduktionisten gibt es auf allen Gebieten, man erkennt sie daran, dass sie häufig sagen, irgendetwas sei NICHTS ALS irgendwas anderes. Einsteins berühmte Formel E=mc2 besagt beispielsweise, Energie ist nichts anderes als verdichtete Materie (Einstein sagte aber auch: «Mache die Dinge so einfach wie möglich – aber nicht einfacher.»). Auf Reduktionisten trifft man häufig im Dunstkreis der Psychologie: Für wirklich radikale Hirnforscher ist die Welt, das Ich und unser Bewusstsein nichts weiter als eine Vorspiegelung des Gehirns. Eine andere Richtung des Reduktionismus geht ironischerweise davon aus, dass die Welt und das Gehirn nichts anders sind als eine Vorspiegelung des Bewusstseins.

Der wichtigste Aspekt von Embodiment erkennt neben der Bedeutung einer neuronalen Grundlegung des Geistes insbesondere Folgendes an: Geist ist viel mehr als das, was das Gehirn tut. Der Geist – und damit meinen wir das bewusste Denken und Planen, aber auch die oft unbewussten Vorgänge vor Entscheidungen – ist immer in einen Körper eingebettet. Der Körper ist jedoch nicht nur durch neuronale Prozesse beteiligt, sondern zusätzlich auch durch Muskelspannungen, Körperhaltungen, Herzklopfen, Bauchgefühle und hunderte andere körperliche Abläufe und Zustände. Es besteht also eine große Vielfalt körperlicher Tatsachen, in die der Geist eingebettet ist.

Immer noch banal, finden Sie? Für lebendige Menschen vielleicht schon, nicht aber für die Wissenschaften, die sich mit dem Geist befassen. Dort nämlich herrscht nach wie vor das Schubladendenken des 20. Jahrhunderts, das sich ein echtes Leben außerhalb der jeweils eigenen Schublade nicht recht vorstellen kann. Ein wissenschaftliches und auf Kommunikation angewandtes Projekt Embodiment begibt sich nicht nur in die klippenbewehrten Gewässer der Interdisziplinarität, sondern auch in das philosophische Meer der Leib-Seele-Problematik. Diese wird seit Anbeginn der Philosophie diskutiert. Die Diskussion erstreckt sich mit ungeminderter (eher noch vergrößerter) Intensität bis in die Gegenwart hinein. Wir merken an dieser Stelle lediglich an, dass das Embodiment-Konzept in der Leib-Seele-Diskussion seinen Ort hat, und stellen die Schubladen-Debatte hier nur holzschnittartig dar. Wir beginnen mit einer zugegebenermaßen etwas überzeichneten «Hirnforscherin»:

Die Hirnforscherin, im weißen Kittel, spricht aus Schublade A, direkt neben dem Magnetresonanztomografie (MRT)-Scanner: «Der sogenannte Geist besteht aus nichts anderem als aus Gehirnprozessen, die man chemisch oder elektrisch, also physikalisch, beschreiben kann. Gehirnprozesse können deshalb auch nur durch andere physikalische Einflüsse verändert werden. Da das alles physikalisch und materiell vonstatten geht, sollte man auf die nicht-physikalischen Begriffe (zum Beispiel denken, entscheiden, Wunsch, Intention) aus wissenschaftlichen Sparsamkeitsgründen eigentlich verzichten. Irgendwann wird die psychologische Alltagssprache durch eine wahrhaft wissenschaftliche Sprache auf Grundlage des Gehirns ersetzt sein. Endlich! Wir werden dann auch im Alltag nicht mehr denken, dass wir etwas wollen oder fürchten, sondern wir werden dann beispielsweise feststellen, dass unser limbisches System gerade links-hinten aktiviert wurde, aber der Frontalkortex noch hemmend einwirkt.»

Wir sagen: «Die Neuro-Reduktionisten argumentieren gern mit der kausalen Abgeschlossenheit der Physik: Alle physikalischen Vorgänge sind danach allein durch physikalische Ursachen bestimmt und ‹determiniert›. Also bleibt in der realen Welt kein Platz für andere, nicht-physikalische Ursachen – diese müssten geradezu Zauberei und Telepathie entspringen. Aber: Die moderne Physik selbst denkt keineswegs so! Durch die Quantenphysik ist die klassische Vorstellung von Kausalität zugunsten des Zufalls erweitert worden. Außerdem sagen uns die Erforscher des Weltraums, dass der überwiegende Teil des Kosmos nicht aus Materie besteht, sondern aus ‹dunkler Materie› und ‹dunkler Energie›, über die wir nicht viel mehr wissen, als dass sie existieren und wirken. Von Abgeschlossenheit kann keine Rede sein.»

Der Informatiker trägt Trekkingkleidung, Birkenstocksandalen und Wollstrümpfe und sitzt in seiner Schublade B im Serverpark des Rechenzentrums: «Der Geist ist nichts anderes als eine Art logische Struktur, eine Abfolge von Programmschritten in einer komplizierten Softwarearchitektur. Die Hardware dieses Logikapparats ist wohl das Gehirn, aber der Geist könnte auch auf einer anderen Hardware laufen. Unsere Ingenieure kriegen das schon noch hin, vielleicht entwickeln wir dafür einen Quantencomputer. Des Geistes Kern sind also abstrakte Prozesse von Informationsverarbeitung, wobei an sich bedeutungslose Zeichen miteinander verrechnet werden. Solche Informationsverarbeitung ist das, was das Funktionieren des Geistes ausmacht. Das ist mehr als bloß eine Computer-Metapher. Wäre mal interessant, meinen eigenen Geist in einen richtig schicken Super-Computer zu verpflanzen.»

Wir sagen: «Die Informatiker erfreuen sich verständlicherweise großen Interesses und bester Berufschancen, da die modernen Gesellschaften immer mehr im Zeichen des Internets und der Computer stehen. Die Informatik als Fach hat jedoch im vergangenen Jahrhundert ihr einschneidendes Waterloo erlebt, als sie den Geist mit Hilfe von auf Computern implementierten Programmen simulieren wollte. Gemeint ist das Projekt der «Künstlichen Intelligenz» (KI). Nichts hat wie erwartet funktioniert, das Projekt wurde – im sogenannten KI-Winter – größtenteils aufgegeben. Andererseits führte es immerhin zu einer Reihe von teils sehr und teils kaum nützlichen technischen Entwicklungen wie beispielsweise zunehmend besseren Robotern, Computerspielen, Internetsabotage-Viren und interaktiven Programmen. Intelligent im menschlichen Sinne sind diese jedoch alle nicht. Die Computer-Metapher...