Dialog der Kulturen am Beispiel des "West-Östlichen Divan". Goethe und der Orient

von: Ishrak Kamaluldin

Diplomica Verlag GmbH, 2008

ISBN: 9783836618786 , 81 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 33,00 EUR

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Dialog der Kulturen am Beispiel des "West-Östlichen Divan". Goethe und der Orient


 

Kapitel 3, Die Begegnung mit dem Werk des persischen Dichters Hafis:

Sei das Wort die Braut genannt,/ Bräutigam der Geist,/ Diese Hochzeit hat gekannt,/Wer Hafisen preist.

Dieses ist das Motto, das Goethe dem zweiten Buch seines West-östlichen Divans, dem „Buch Hafis“, voranstellt, und es zeigt bereits, wie Goethe sich diesem persischen Dichter, dem Bewahrer des Korans, so die Übersetzung des Namens „Hafis“, nähert, eine Geistes- und Sinnesgemeinschaft mit ihm sucht. Goethe hatte Hafis, eigentlich Mohamed Schemseddin, aus der Übertragung von Joseph von Hammer-Purgstall kennen gelernt, die dieser in den Jahren 1812–13 für den Verleger Cotta angefertigt hatte, Cotta hat dann 1814 ein Exemplar der Hafis-Ausgabe an Goethe übersandt, das dieser dann als Anregung für seinen Divan bezeichnete:

»Ich habe mich nämlich im Stillen längst mit orientalischer Literatur beschäftigt, und um mich inniger mit derselben bekannt zu machen, mehreres in Sinn und Art des Orients gedichtet. Meine Absicht ist dabei, auf heitere Weise den Westen und Osten, das Vergangene und Gegenwärtige, das Persische und Deutsche zu verknüpfen, und beiderseitige Sitten und Denkarten übereinander greifen zu lassen. Ew. Wohlgeb. vorjähriges freundliches Geschenk der Übersetzung des Hafis hat mich aufs neue angeregt, und es liegt bei mir schon eine ziemliches Bändchen beisammen, welches, vermehrt, künftig unter folgendem Titel hervortreten könnte: Versammlung deutscher Gedichte, mit stetem Bezug auf den Divan des persischen Sängers Mahomed Schemeseddin Hafis«.

Goethe kannte von Hammer-Purgstall auch die „Fundgruben des Orients“, ein mehrbändiges, kostbar ausgestattetes Werk, das von 1809–1818 in französischer und deutscher Sprache erschien. Das Titelblatt der „Fundgruben“ trug übrigens als Sinnspruch jene Verse der zweiten Koransure: „Sag, Gottes ist der Orient und Gottes ist der Okzident. Er leitet, wen er will, den wahren Pfad“, die Goethe auch in seine Divan-Dichtung aufnahm. Goethe selbst schreibt in seinen „Noten und Abhandlungen“ zur Frage „Hafis und der Koran“:

»Nur ward, gar bald nach seinem Ursprunge, der Koran ein Gegenstand der unendlichsten Auslegung, gab Gelegenheit zu den spitzfindigsten Subtilitäten, und, indem er die Sinnesweise eines jeden aufregte, entstanden grenzenlos abweichende Meinungen, verrükte Kombinationen, ja die unvernünftigsten Beziehungen aller Art wurden versucht, so daß der eigentlich geistreiche, verständige Mann, eifrig bemüht sein mußte, um nur wieder auf den Grund des reinen, guten Textes zurückzugelangen. Daher finden wir denn auch in der Geschichte des Islam Auslegung, Anwendung und Gebrauch bewun-dernswürdig«.

Das im „Buch Hafis“ enthaltene Gedicht „Offenbar Geheimnis“ zeigt sehr deutlich, wie er die von Hammer-Purgstallsche Übertragung las und wie er den persischen Dichter Hafis und damit auch sich selbst als Dichter verstand:

OFFENBAR GEHEIMNIS: Sie haben dich, heiliger Hafis,/ Die mystische Zunge genannt,/ Und haben, die Wortgelehrten,/ Den Wert des Worts nicht erkannt.

Mystisch heißest du ihnen,/ Weil sie Närrisches bei dir denken/ Und ihren unlautern Wein/ In deinem Namen verschenken.

Du aber bist mystisch rein/ Weil sie dich nicht verstehen,/ Der du, ohne fromm zu sein, selig bist!/ Das wollen sie dir nicht zugestehn.

Goethe weiß, dass es immer einengende oder ausgrenzende Interpretationen von Mystik gegeben hat. Besonders auffallend ist dabei der Versuch, dem mystischen Wort seine sinnliche Komponente zu nehmen oder diesen Aspekt in etwas Unsinnliches, Ideales umzuinterpretieren.

Goethe wendet sich hier gegen bestimmt Hafis-Interpretationen, die er unverkennbar abwertend „Wortgelehrte“ nennt. In ihrer Gelehrsamkeit erkennen sie „den Wert des Wortes“ von Hafis nicht. Und was noch schlimmer ist: Hafis' Worte werden in ihren Schriften zu „unlauterem Wein“, das heißt, sie verfälschen ihn. Ihr Irrtum besteht vor allem in einer falschen Einschätzung der mystischen Erfahrung. Ein Mystiker ist für sie jemand, der „Närrisches“ ausspricht und von ihnen nicht verstanden wird, auch gar nicht verstanden werden kann. Goethe wendet sich nur gegen dieses falsche vordergründige Verständnis von Mystik, nicht gegen den Begriff „Mystik“ und die lebendige Erfahrung, die für ihn damit verbunden ist. Er nennt Hafis „heilig“, „selig“ und „mystisch rein“. Das heißt, für ihn befindet sich Hafis in völligem Einklang mit seiner mystischen Erfahrung, die in seinen Werken direkt und ungeteilt „Wort“ wird und dabei nichts von ihrem Wert verliert. Dieses Wort kann aber kein „Wortgelehrter“ richtig einschätzen, sondern nur jemand, der – wie Goethe – eine ähnliche Erfahrung bewusst erlebt hat.

Hier muss man berücksichtigen, dass im 13.Jahrhundert der Sufismus im Orient und die Mystik in Deutschland bzw. Mitteleuropa ihren Höhepunkt erlebten und beide ihren Ursprung im Neuplatonismus hatten, jener Geistesrichtung, die lehrte, das wahre Sein sei nur bei Gott und das Leben auf Erden sei lediglich ein Nichtsein. Begriffe wie „Trunkenheit“ oder „Wein“ wurden vor diesem Hintergrund nicht in ihrer konkreten Sinnlichkeit verstanden, sondern als Zustandsbeschreibungen einer reingeistigen „mystischen“ Extase. So schrieb beispielsweise Isaak, Bischof von Ninive um 660 n.Chr. und einer der großen christlichen Mystiker im Irak:

»Dann entsteht in ihrn die Süßigkeit Gottes, die Flamme der Liebe zu ihm, die in seinem Herzen glüht und alle Affekte des Leibes und der Seele verbrennt. Von Zeit zu Zeit wird er trunken wie von Wein, seine Glieder lösen sich, sein Denken steht still, sein Herz wird von Gott eingenommen, und so wird er wie ein Mensch von Wein trunken und in dem Maße, wie seine inneren Affekte gestärkt werden, wird auch sein innerer Blick gestärkt. Wenn er in diesen Zustand kommt, wird er vergessen, daß er mit der Liebe bekleidet ist oder daß er auf dieser Welt ist. Das ist der Anfang der geistigen Schauung beim Menschen und der Beginn aller Offenbarung des Intellekts«.

Goethe hingegen spricht sich für ein Seligsein „ohne fromm zu sein“ aus, er rezipiert die Texte des Hafis in ihrer ganzen Polarität, sieht den Dichter als Menschen, der in beständiger Wechselwirkung mit der Natur lebt. Schon in der Paradoxie des Titels „Offenbar Geheimnis“ wird Goethes Auffassung von der Schöpfung deutlich: Alles, was ursprünglich, naturgegeben ist, ist wahr. Erst die „Wortgelehrten“ haben das Polaritätsprinzip, die dualistische Struktur des menschlichen Seins zerstört. In diesem Sinne spricht auch Heinrich Schaeder von einer »Freiheit des Geistes und der poetischen Erzeugung, die über der Geschiedenheit von Sinnlichem und Übersinnlichem stand«.

Konrad Burdach sieht sogar weitgehende existentielle Korrespondenzen zwischen Goethe und Hafis, obwohl diese in so unterschiedlichen Zeiten lebten und dichteten:

»Hier hörte er den großen Ton einer unerschöpflich reichen lyrischen Kunst, die in Stoff und in Stil völlig eigenartig, völlig neu auf ihn eindrang, den unendlichen Horizont des persischen Himmels, persischer Natur und Bildung vor ihm ausspannte und eine menschlich freie Auffassung der Religion, der Weisheit, der Liebe verkündete: einen mystischen Pantheismus, der von dem äußerlichen Gesetz der Orthodoxie nichts wissen will. Er sah den trink- und liebeseligen Sänger in einem unaufhörlichen Streit mit der Welt, die ihn nicht verstand, mit zelotischen Pfaffen, die seine Worte verkehrten – ganz wie sich selbst. Er sah ihn stolz und aufrecht an der Seite des irdischen Großen, in schlagfertigem Disput sein poetisches Recht wahrend, seine Verse verteidigend dem Welteroberer und Weltumstürzer Timur gegenüber. Und nun wandelt sich der Mongolen-Chan allerdings in Napoleon«."