Hilfe, ich kann mein Kind nicht lieben. Postpartale Depression: Krankheitsbild, Verlauf, Ursachen, Therapiemöglichkeiten

von: Tina Lohse

Diplomica Verlag GmbH, 2008

ISBN: 9783836616096 , 144 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 29,99 EUR

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Hilfe, ich kann mein Kind nicht lieben. Postpartale Depression: Krankheitsbild, Verlauf, Ursachen, Therapiemöglichkeiten


 

Kapitel 12.1, Sylvia: '(...) das allerkrasseste war, dass ich im Kopf manchmal schlimme Bilder sah (...) sie blitzten immer so schnell mal durch meine Gedanken, z.B. dass ich meinem Kind Schnitte zufügte (...)'. Angaben zur Person: Sylvia ist zum Zeitpunkt des Interviews 31 Jahre alt und lebt gemeinsam mit ihrem zweijährigen Sohn und ihrem Freund, ebenfalls 31 Jahre, in einer kleinen 3-Zimmer-Mietwohnung. Sylvia war vor der Schwangerschaft erst ein Jahr mit ihrem Freund zusammen, es handelte sich aber um ein Wunschkind. Nach dem Realschulabschluss machte sie eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau und arbeitete auch vor ihrer Schwangerschaft 40 Std./ Woche in diesem Beruf. Sie schildert, dass das nicht gerade ihr Traumjob und sie deshalb manchmal unzufrieden gewesen sei. Sylvia ist Einzelkind und ist glücklich bei ihren Eltern aufgewachsen. In ihrer Familie und engen Verwandtschaft habe es keine Krisen oder schwere Erkrankungen gegeben. Das Leben vor der Schwangerschaft: Als ich Sylvia nach ihrer Lebenszufriedenheit vor der Schwangerschaft befragte, erzählte sie nur sehr wenig. Sie sagte lediglich, dass sie 40 Std./ Woche gearbeitet habe, betont hier noch einmal, dass es nicht ihr Traumjob gewesen sei und erzählt weiter, dass sie die Freizeit mit ihrem Freund und Bekannten verbracht habe, so dass sie kaum zu Hause gewesen sei. Die Schwangerschaft: Sylvia beginnt die Beantwortung der Frage mit: 'Unser Kind war ein Wunschkind'. Sie sei drei Monate, nachdem sie die Pille abgesetzt habe schon schwanger geworden. Sie und ihr Freund haben sich sehr gefreut, als der Schwangerschaftstest aus der Apotheke positiv gewesen sei. Danach sei sie zu den üblichen Arztuntersuchungen gegangen und habe sich über jedes Ultraschallbild gefreut. Im 6. Schwangerschaftsmonat habe sie eine Feinultraschall-Untersuchung durchführen lassen, welche bestätigte, dass das Kind gesund sei und es sich um einen Jungen handelte. Sylvia sagt, sie sei gerührt gewesen, denn einen Jungen hätte sie sich immer gewünscht. Die Schwangerschaft schildert sie als komplett problemlos, sie habe 18 kg zugenommen und nur die üblichen Ängste vor den Geburtsschmerzen gehabt. Sie las viel über Schwangerschaft und Geburt und ging zum Schwangeren-Schwimmen. Einen Geburtsvorbereitungskurs habe sie damals hingegen nicht besucht, was sie heute bereut. Als ich Sylvia nach Phantasien über das Kind während der Schwangerschaft befragte, erzählte sie, dass man sich natürlich ein gesundes, hübsches Kind vorstelle und sie eine tolle Mutter sein wollte. Zum Abschluss dieser Frage sagte sie noch, dass sie sich zwar bewusst war, dass sich das Leben mit Kind verändert, aber wie sehr, das habe sie sich nicht vorstellen können. Das Geburtserlebnis: Sylvias Sohn kam drei Tage nach dem errechneten Termin zur Welt. Sie berichtet, dass ihr am frühen Morgen die Fruchtblase geplatzt und sie dann gemeinsam mit ihrem Freund ins Krankenhaus gefahren sei. Ihr Muttermund habe sich zu langsam geöffnet, so dass der Geburtsvorgang zu langsam vorangegangen sei. Daraufhin hätte sie Wehen-Gel bekommen. Ihre Wehen schildert sie insgesamt als sehr schmerzhaft. Nach etwa 19 Std. in den Wehen habe sie sich eine erste PDA geben lassen, eine zweite folgte. Dann hätten sich die Laborwerte des Babys verschlechtert, so dass die Ärzte um 1 Uhr in der Nacht entschieden, einen Kaiserschnitt durchzuführen. Über diese Nachricht seien sie und ihr Partner sehr traurig gewesen, Sylvia war aber auch irgendwie froh, dass es bald ein Ende haben würde. Sie bekam eine Teilnarkose, so dass sie den Kaiserschnitt mitbekam und sagt, es sei alles sehr schnell gegangen. Ihren Sohn habe sie nur ganz kurz bekommen, da dieser dann erst mal in den Inkubator musste. Sylvia erzählt, sie sei total erschöpft gewesen und froh, dass sie nun schlafen konnte. Sie ließ sich ihr Baby zum Stillen und Wickeln bringen, war aber froh, dass es das Säuglingszimmer gab, wo sich die Schwestern um ihr Baby kümmerten. Diese geschilderten und die folgenden Ausführungen lassen es beinahe zu, den Beginn der Depression sub partu (während der Geburt) anzusiedeln. An dieser Stelle sagt Sylvia, hier hätte sie erstmals gemerkt, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie hatte ein Einzelzimmer, andere Mütter hatten ihre Babys neben sich am Bett. Sie ließ sich ihr Baby nur bringen, wenn Bekannte und Verwandte zu Besuch kamen. Wenn diese sich riesig über das Baby freuten, so berichtet Sylvia, konnte sie diese Freude nicht so recht teilen. Die erste Zeit nach der Geburt/ Wie wurde die PPD erlebt?: Zu den Tagen, in der Sylvia noch in der Klinik war, kann sie nicht mehr berichten, als das, was oben bereits erwähnt wurde. Nach acht Tagen Klinikaufenthalt wurde Sylvia mit ihrem Baby nach Hause entlassen. Dort angekommen, musste sie erst mal 'heulen', da sie nicht wusste, wie es jetzt weitergehen soll. Sie berichtet, dass sie total überfordert gewesen sei, aber zum Glück einen verständnisvollen Mann an ihrer Seite hatte, der ihr jegliche Hausarbeit abnahm. Sie selbst habe in den ersten Wochen zu Hause nur 'funktioniert', sie stillte, sie wickelte etc. Sie konnte nichts essen, musste sich dazu zwingen. Ihre überflüssigen Kilos von der Schwangerschaft verlor sie in ein paar Tagen. Sie war traurig und innerlich enorm unruhig und fand keinen richtigen Schlaf, was sie als 'mit das Schlimmste' empfand. Sie erklärt, wenn sie sich hinlegte, da sie den Schlaf eigentlich brauchte, sei sie so unruhig gewesen und hat daran gedacht, dass das Baby jeden Moment wieder weinen könnte. Sie berichtet weiter, dass sie mit dem Baby nicht schmusen konnte und wiederholt, dass sie einfach nur ihre Arbeit (wickeln, stillen, anziehen, ausziehen etc.) gemacht hat. Die Hebamme, durch die sie zu Hause betreut wurde, sei zwar nett gewesen, habe aber ihre Depression nicht so richtig erkannt und stattdessen erklärt, dass viele Mütter das hätten. Sylvia selbst empfand es aber schlimmer, als bei anderen Müttern. Sie habe nicht gewusst, was sie mit dem Baby 'anfangen' solle, wenn es schreit - hatte es Hunger oder die Windeln voll? Sie befragte Mütter aus dem Bekanntenkreis, wie oft man stillen müsse, führte ein Buch über ihre Stillzeiten und war zum Schluss bei allen 2 Stunden angelangt. 'Es wurde immer schlimmer, ich hätte das Kind ja auch einfach mal schreien lassen können oder mit ihm schmusen, ich war hin und her gerissen, ob ich weiter stillen oder die Flasche geben sollte (...)'. Aber das sei ihr auch zuviel gewesen, mit diesem Flaschen auskochen, Milch anrühren usw. 'Die einfachsten Dinge schienen für mich zu unüberwindbaren Hürden zu werden'. Einen ärztlichen Ansprechpartner für ihre Probleme habe sie nicht gefunden. Die Frauenärztin habe ihr 'den Rest gegeben', als diese berichtete, in ihrer Praxis noch keine Mutter gehabt zu haben, die ihr Kind nicht richtig lieben könne. Sylvia hat auf Grund dessen damals die Ärztin gewechselt und ging gleichzeitig mit ihrem Problem zum Hausarzt, der ihr die Tagesklinik im ortsansässigen Krankenhaus empfahl. Als Sylvia keinen Ausweg mehr sah, vereinbarte sie dort einen Termin. Es folgten mehrere Gespräche mit einer Psychiaterin, die ihr einige gute Denkanstösse gebracht haben. Genau kann Sylvia diese auf Nachfragen hin nicht erläutern. Des weiteren hätte sie ein Buch gelesen, in dem sie Hilfe gefunden habe. Wenn sie mit dem Kind aus dem Haus gegangen sei, hätte ihr Freund jedes Mal den Kinderwagen schieben müssen, da sie sich dabei zu komisch vorkam. Auch die Eltern haben sie damals nicht verstanden, wovon sie sehr enttäuscht gewesen sei. Heute glaubt sie, dass ein Arzt, eine Hebamme oder ein Verein, die mit diesem Thema vertraut sind, ihr am Besten hätte helfen können. Als Auslöser für die PPD sieht sie ihren Kaiserschnitt, sie habe sich als Versagerin gefühlt, weil sie das Kind nicht 'normal' geboren habe. Insgesamt habe sie vier Monate an der Depression gelitten, bis sie Schritt für Schritt eine Besserung habe feststellen können.