Sternenfunken - Roman

von: Nora Roberts

Blanvalet, 2017

ISBN: 9783641189570 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Sternenfunken - Roman


 

1

Während eines kurzen Augenblicks, für die Dauer eines Flügelschlags, roch Annika das Meer und hörte den Gesang. Obwohl der salzige Geruch und auch die Stimmen innerhalb des Strudels aus Geschwindigkeit und Farbe fast nicht wahrzunehmen waren, schwoll ihr Herz vor lauter Liebe an.

Dann vernahm sie einen bittersüßen Seufzer und sein Echo, und in ihren Augen stiegen Tränen auf.

In ihrem Herzen paarten sich Glück und Trauer, als sie fiel. Taumelnd drehte sie sich in einer so atemlosen Geschwindigkeit um die eigene Achse, dass sie neben ihrem Glück und ihrer Trauer wilde Aufregung und einen Hauch von Angst empfand.

Das Flattern von Tausenden von Flügeln und der Wind, der ihr entgegenpeitschte, übertönten alle anderen Geräusche, und die hellen Farben, die sie eben noch umgeben hatten, wichen vollkommener Dunkelheit, als sie so plötzlich landete, dass sie vor Schreck die Luft anhielt.

Sie fürchtete, dass sie in einer tiefen, dunklen Höhle voller Spinnen und anderem ekligen Getier gelandet waren, in der etwas noch viel, viel Schlimmeres als Ungeziefer auf der Lauer lag – die schreckliche Nerezza, der sie gerade erst entkommen waren.

Doch dann bemerkte sie die Schatten, die im Licht des Mondes lagen, spürte einen harten Körper unter sich und ein Paar Arme, das sie fest umschlungen hielt, und hätte sich, auch wenn Nerezza sich vielleicht gleich auf sie stürzen würde, liebend gern an das Wesen geschmiegt, dessen Duft sie tief in ihre Lunge einsog.

Sie empfand es als ein Wunder, als ein von den Gottheiten bewirktes Wunder, dass sein Herz so schnell und stark an ihrem Herzen schlug.

Dann bewegte er sich leicht, und eine seiner Hände glitt an ihr hinauf zu ihrem Haar und dann wieder hinab, während die andere warm auf ihrer Hüfte lag.

Jetzt schmiegte sie sich an ihn an.

»Hm.« Er legte ihr die Hände auf die Schultern, aber seine Stimme erklang so dicht an ihrem Herzen, dass sein Atem eine ihrer Brüste kitzelte. »Bist du in Ordnung? Bist du verletzt? Geht es euch allen gut?«

Sie erinnerte sich an die Freundinnen und Freunde – nicht dass sie sie je vergessen hätte, aber nie zuvor in ihrem Leben hatte sie derart intim auf einem Mann gelegen –, doch auf diesem Mann, auf Sawyer, lag sie ausgesprochen gern.

Sie hörte Knurren, Stöhnen, ein paar Flüche, bevor Doyle verärgert »Leck mich« raunzte, was, wie sie inzwischen wusste, keine Einladung zur Paarung, sondern ein beliebter Fluch unter den Menschen war.

Trotzdem war sie nicht besorgt um Doyle, weil er schließlich unsterblich war.

»Ach, halt die Klappe«, meinte Bran, der ein paar Meter weiter lag. »Sind alle da? Ich habe Sasha hier bei mir. Riley?«

»Wahnsinn!«, stieß die junge Frau begeistert aus. »Was für ein Flug!«

»Den du mit deinem Knie in meinen Kronjuwelen beendet hast«, monierte Doyle.

Kronjuwelen, hatte Annika gelernt, waren kein Geschmeide, sondern die empfindlichen Bestandteile des maskulinen Unterleibs. Weshalb er Riley mitsamt ihrem Knie von sich herunterschob.

»Ich bin hier«, rief sie und rutschte vorsichtig auf Sawyers Unterleib herum. »Sind wir vom Himmel geplumpst?«

»Beinah.« Zu Annikas Enttäuschung setzte Sawyer sich entschlossen auf. »Ich konnte die Landung nicht verlangsamen. Es war das erste Mal, dass ich so viele Leute über eine derart weite Strecke transportiert habe. Ich nehme an, ich habe mich bei der Geschwindigkeit etwas verkalkuliert.«

»Wir sind alle unverletzt, das ist erst mal das Wichtigste«, erklärte Bran. »Wie sieht’s aus, haben wir unser Ziel erreicht?«

»Wir sind offenbar in irgendeinem Haus«, bemerkte Sasha. »Ich kann Fenster und dahinter Mondschein sehen. Wo auch immer wir sind, hier ist auf jeden Fall noch Nacht.«

»Hoffentlich haben Sawyer und sein Kompass uns zum rechten Zeitpunkt an den rechten Ort gebracht. Also lasst uns gucken, wann wir wo gelandet sind.«

Riley rappelte sich auf. Sie war Wissenschaftlerin – Archäologin, wusste Annika, was es in ihrem Volk, den Wesen aus dem Meer, nicht gab. Auch Wolfsmenschen gab es dort keine, weshalb sich nichts und niemand in der Welt, aus der sie kam, mit Dr. Riley Gwin vergleichen ließ.

Die zähe und kompakte junge Frau mit dem breitkrempigen Hut, der während des rasanten Flugs und sogar bei der wenig sanften Landung in dem fremden Haus auf ihrem Kopf geblieben war, trat an eines der Fenster und blickte vorsichtig hinaus.

»Ich kann Wasser sehen, auch wenn die Aussicht anders als auf Korfu ist. Das Haus liegt deutlich höher als die Villa dort. Außerdem sehe ich eine steile, schmale Straße, zu der man von hier aus über eine Treppe gelangt. Ich bin sicher, dass es Capri und dies hier unsere Bleibe ist. Du hast ins Schwarze getroffen, Sawyer. Respekt für unseren Reisenden und seinen magischen Kompass«, sagte sie und deutete eine Verbeugung an.

»Vielen Dank.« Auch er stand auf, bevor er Annika nach kurzem Zögern auf die Füße half. Obwohl ihre Beine stark und ausnehmend geschmeidig waren, nahm sie seine Hilfe dankbar an.

»Am besten suche ich erst mal die Lichtschalter«, fing Riley an.

»Dabei kann ich dir helfen.«

Auch Bran war zwischenzeitlich aufgestanden, legte einen Arm um Sashas Schultern und hielt plötzlich eine Lichtkugel in seiner ausgestreckten freien Hand.

Beim Anblick ihrer Freunde wurde Annika so warm ums Herz wie zuvor bei dem Gesang. Sasha, die Seherin, mit ihrem sonnenhellen Haar und den himmelblauen Augen, Bran, der attraktive Zauberer, Riley, die die Hand am Griff ihrer Pistole hatte und den Blick aus ihren goldenen Augen durch das Zimmer wandern ließ, während Doyle, ein Krieger durch und durch, mit gezücktem Schwert an ihrer Seite stand.

Und Sawyer, immer wieder Sawyer, der den wundersamen Kompass in den Händen hielt.

Nachdem sie blutig und zerschunden aus der letzten Schlacht hervorgegangen waren, waren sie vorläufig in Sicherheit.

»Ist das hier unser neues Heim?«, erkundigte sie sich. »Es ist sehr hübsch.«

»Wenn uns Sawyer nicht an der falschen Adresse hat fallen lassen, ist das hier unser neues Hauptquartier.« Die Hand auch weiter am Pistolengriff, drehte sich Riley wieder zu den anderen um.

Außer einem langen Bett – nein, Sofa, dachte Annika – mit unzähligen bunten Kissen waren bequeme Sessel und mit hübschen Lampen versehene Tische im Raum verteilt. Der Fußboden war, wie sie alle wussten, hart, obwohl die großen Fliesen aussahen, als wären sie aus Sand.

Riley drückte einen Schalter, und – Magie der Elektrizität – sofort wurde es hell.

»Lasst mich nur kurz gucken, ob wir tatsächlich an unserem Ziel gelandet sind. Schließlich wollen wir nicht, dass uns die Polizei besucht.«

Sie trat durch eine breite Bogentür, machte auch im Nebenzimmer Licht, und Doyle schob seine Waffe wieder in die Scheide und ging ihr entschlossen hinterher.

»Hier sind all unsere Sachen, oder wenigstens sieht es so aus, als ob es alle wären. Und ihre Landung war anscheinend nicht so hart.«

Auch Annika sah durch die Tür des angrenzenden Raums, der offenbar die Eingangshalle war. Durch eine große Glastür blickte man aufs Meer, durch verschiedene Bogentüren kam man in die anderen Zimmer, und auf den Terrakottafliesen waren ihre Taschen aufgetürmt.

Mit einem unterdrückten Fluch richtete Doyle sein umgefallenes Motorrad wieder auf.

»Ich musste das Gepäck ein bisschen früher abwerfen, damit es uns bei unserer eigenen Landung nicht erschlägt«, erklärte Sawyer ihm. »Wie sieht’s aus, Riley? Habe ich jetzt einen Volltreffer gelandet oder nicht?«

»Es passt zu der Beschreibung, die ich habe«, antwortete sie. »Angeblich gibt es hier ein großes Wohnzimmer mit Glastüren, durch die man in den Garten … Na, wer sagt’s denn?«

Abermals machte sie Licht, und man sah einen großen Raum mit zusätzlichen Sofas, Sesseln sowie jeder Menge hübscher Kleinigkeiten, doch das Beste, oh, das Beste war die breite, breite Glasfront, durch die der Himmel und vor allem das Meer zum Greifen nah waren.

Begeistert wollte Annika die Glastür öffnen, aber Riley hielt sie davon ab.

»Nicht. Noch nicht. Die Vermieter haben die Alarmanlage eingeschaltet. Ich habe den Code und muss sie abschalten, bevor du diese oder irgendwelche anderen Türen oder Fenster öffnen kannst.«

»Die Schalttafel ist hier«, erklärte Sawyer und klopfte auf das Brett.

»Moment.« Riley zog ein Blatt Papier aus ihrer Tasche. »Für gewöhnlich merke ich mir solche Sachen, aber für den Fall, dass meine Hirnzellen auf der Reise durchgerüttelt wurden, habe ich sie dieses Mal notiert.«

»Reisen mit dem Kompass haben keinen Einfluss auf das Denkvermögen.« Grinsend klopfte Sawyer mit den Knöcheln gegen Rileys Kopf, als sie den Code eingab.

»Jetzt kannst du die Tür öffnen, Annika.«

Sie riss die Glastür auf und rannte wie ein Wirbelwind auf eine riesige Terrasse, die im Licht des Mondes lag und auf der einem der Duft des Meeres, von Zitronen und den Blumen, die den Garten schmückten, in die Nase stieg.

»Es ist einfach wunderschön. Aus solcher Höhe habe ich die Insel nie zuvor gesehen.«

»Aber gesehen hast du sie schon mal?«, erkundigte sich Sawyer. »Heißt das, dass du schon einmal auf Capri warst?«

»Ich habe die Insel schon mehrmals vom Wasser aus gesehen. Und von unten, wo es blaue Höhlen gibt und wo man auf dem Grund der See die Knochen von verschiedenen Schiffen findet, die vor langer Zeit an diesem Ort vorbeigesegelt sind. Hier sind...