Wer um Liebe ringt

von: Tamera Alexander

Francke-Buch, 2016

ISBN: 9783868278187 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 13,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Wer um Liebe ringt


 

Kapitel 1

Nashville, Tennessee
4. Mai 1869

„Ruhig, Mädchen“, flüsterte Maggie, während sie die Lederzügel fest in den Händen hielt und von der Felswand hinabschaute. Das Stimmengewirr der Zuschauer auf der Rennbahn unter ihr wehte im kühlen Morgenwind zu ihr herauf. Sie beugte sich vor, um dem Vollblutpferd den Hals zu streicheln. „Warte nur“, flüsterte sie beruhigend und spürte die gespannte Vorfreude, die in der Luft lag. „Unser Tag wird kommen.“ Noch während sie das sagte, schlug ihr eigener Puls ein wenig höher.

Bourbon Belle scharrte auf der Erde und Maggie spürte, dass die Stute mit jeder Sekunde ungeduldiger wurde.

Der Startschuss ertönte. Die Pferde auf der Rennbahn unter ihnen stürmten genauso los wie Bourbon Belle über ihnen auf dem Felsplateau. Eine unbändige Freude schoss durch Maggies Adern.

Belle erwachte zum Leben. Maggie überließ dem Pferd die Führung und erlaubte der Stute, jedem Instinkt zu folgen, den ihr der muskulöse Körper eingab – dem unbändigen Instinkt zu laufen.

Belles Hufe polterten über den glatten Feldweg und Maggie ahnte, dass Willie dieses Gefühl erlebte, wenn er mit Belle unten auf der Rennbahn mit den anderen um den Sieg ritt. Allerdings war der Junge nur halb so schwer wie Maggie, sodass er und Belle fast über den Boden flogen. So würde es auch wieder beim Rennen in ein paar Tagen sein.

Die Strecke war nur zwei Kilometer lang und das Rennen dauerte kaum zwei Minuten. Das Hämmern ihres Herzens war Maggies Zeitmesser, als Belle um die vertraute Kurve auf dem Weg bog und die kräftig ausholenden Beine der Stute die Strecke im Nu zurücklegten.

Maggie beugte sich vor, wie sie es mit Willie immer eintrainierte. Sie fühlte, wie der Wind die Nadeln aus ihren Haaren zerrte, und genoss die Freiheit, die man nur bei einem solchen Ritt erlebte. Obwohl sie wusste, dass dieser Friede bestenfalls von kurzer Dauer sein würde, kostete sie ihn in vollen Zügen aus.

Belles Hufe polterten und Maggie trieb sie an, während die letzte Wegstrecke vor ihnen auftauchte. In diesem Moment stiegen unterhalb von ihnen Jubelrufe von der Rennbahn auf. Als Maggie kurz den Kopf drehte, sah sie ein Vollblutpferd, das in diesem Moment die Ziellinie passierte. Belle galoppierte mit voller Kraft weiter und verlangsamte ihr Tempo erst, als Maggie an den Zügeln zog.

Atemlos hielt Maggie an und genoss den süßen Duft des Grases in vollen Zügen. Sie beugte sich vor, um Belle zwischen den Ohren zu streicheln. „Gut gemacht, Mädchen.“ Maggie atmete tief ein. „Dass wir nicht noch schneller waren, lag allein an mir.“

Belle wieherte, als wolle sie ihr recht geben, und Maggie lächelte.

Die Siegesprämie bei dem bevorstehenden Rennen – falls Willie und Belle das Rennen gewannen, wovon Maggie felsenfest überzeugt war – würde nicht annähernd ausreichen, um die ausstehenden Steuerschulden für Linden Downs zu zahlen. Aber sie hoffte, dass das Geld genügen würde, um das Grundsteueramt etwas milde zu stimmen. Wieder einmal.

Belle hatte bereits die letzten fünf Ausscheidungsrennen gewonnen und angesichts der vielen Veranstaltungen auf der Burns-Island-Rennbahn rechnete Maggie in den nächsten Monaten mit einer relativ sicheren Einnahmequelle. Aber Maggies großes Ziel war das Peyton Stakes im Herbst, das größte Pferderennen im ganzen Land mit der höchsten Siegprämie der Geschichte. Dieses Rennen würde hier in Nashville ausgetragen werden. Die Frage war nur, ob Linden Downs sich bis dahin über Wasser halten konnte. Ihre Bourbon Belle, die dreijährige Stute, die sie schon als Fohlen aufgezogen hatte, würde auch dieses Rennen gewinnen – die Wettkampfzeiten der Stute bewiesen das ohne jeden Zweifel. Maggie hoffte nur, dass keine unvorhergesehene Konkurrenz antreten würde. Trotz ihres Vertrauens in die Fähigkeiten ihrer Stute empfand sie die nächsten Monate wie eine unüberwindliche Hürde. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie und ihr Vater, obwohl sie so lange durchgehalten hatten, ihr Zuhause in letzter Minute doch noch verlieren könnten.

Maggie stieg ab und war dankbar für die Gelegenheit, sich die Beine zu vertreten und Belle abkühlen zu lassen, bevor sie nach Hause ritten. Aber als die Minuten verstrichen und sich die Aufregung wegen des Rennens auf der Rennbahn unter ihnen legte, wurde Maggie die Tragweite ihrer Situation wieder mit voller Wucht bewusst.

Wie war es so weit gekommen? Zu diesem schmerzlichen Niedergang von etwas, das sie mit so großer Anstrengung hatten zusammenhalten wollen? Aber sie weigerte sich, die Verzweiflung siegen zu lassen. Sie würde nicht aufgeben.

Sie hatte einen Jockey, der in nur vier Tagen zum Rennen antreten würde.

Sie könnten es schaffen. Mit Belle und mit Linden Downs. Eine andere Wahl blieb ihr nicht. Ihr Vater war so lange ihr Schutz und ihre Zuflucht gewesen – nun war es ihre Aufgabe, für ihn zu sorgen.

Maggie hob ihren Beutel und ihr Gewehr auf, das sie vor dem Rennen abgelegt hatte. Den Beutel stopfte sie in die Satteltasche und ihr Gewehr schob sie in das Halfter, das daran befestigt war. Pferderennen und Schießen an einem einzigen Tag – das empfand sie als großen Segen … aber irgendwie schien dieses Wort für diese beiden Tätigkeiten nicht ganz zu passen.

Sie schwang sich wieder in den Sattel und lenkte Belle nach Hause. Schnell stellte sie fest, dass die Stute keine Lust hatte, gemütlich zu traben oder nur in einem kurzen Galopp zu laufen. Das Vollblutpferd wollte das tun, was es am besten konnte.

Maggie ließ ihm gerne freien Lauf.

Cullen McGrath kniete am Flussufer und blickte in das trübe Wasser des Cumberland River. Doch seine Augen sahen nur die dunklen Schatten der salzigen Meerestiefen, die seine Welt verschlungen hatten. Er war eigentlich nie ein Mann gewesen, der seine Entscheidungen infrage stellte. Doch seit er vor einem Jahr zum ersten Mal seine schmutzigen Stiefel auf den Boden dieses Landes gesetzt hatte, wurde er öfter von Zweifeln geplagt.

Auch das tiefe Bedauern hatte sich als ein grausamer Begleiter seiner Gedanken erwiesen. Aber einer Sache war er sich sicher:

„Ich halte das Versprechen, das ich dir gegeben habe“, flüsterte er in die feuchte Morgenluft hinein. „Koste es, was es wolle.“ Wurden Versprechen, die auf dieser Erde laut ausgesprochen wurden, in der nächsten Welt gehört? Er hoffte es. Wenigstens in diesem Moment. Sein Großvater, der oft von solchen Dingen gesprochen hatte, hatte ihm das versichert.

Ja, Cullen, mein Junge. Nur Narren glauben, dass dieses Leben alles wäre. Die Welt, die nach diesem Leben kommt, ist viel größer. Und das Geheimnis für ein erfülltes Leben auf dieser Erde liegt darin, dass wir den Blick auf das Leben danach richten. Vergiss nie, dass du …

„Hey! Du da drüben! Das Pferd ist bereit.“

Cullen verzog das Gesicht, als er so unsanft aus seinen Gedanken gerissen wurde, obwohl der vertraute irische Akzent seines Großvaters noch wie der Morgennebel seine Gedanken überlagerte. Als Junge hatte man ihm gesagt, dass er genauso spreche wie sein Großvater. Diesen Vergleich hatte er aber erst in den letzten Jahren richtig zu schätzen gelernt.

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, doch als er sich umdrehen wollte, fiel sein Blick auf eine Bewegung auf der anderen Seite des Flusses. Ein Pferd schoss mit seinem Reiter in rasender Geschwindigkeit vorbei. Schnell wie ein Blitz. Er kniff die Augen zusammen. Das konnte doch nicht sein!

Da wehte ein Rock hinter dem Reiter her. Es schien ein zierliches Mädchen zu sein – oder war es eine Frau? Das war aus dieser Entfernung heraus nur schwer zu sagen. Sie ritt jedenfalls mit einer Freiheit und Leidenschaft, die ihn wehmütig an ein anderes Leben erinnerte. Und sie ritt auch noch in einem Männersattel! Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Ein solches Tempo und eine solche Anmut hatte er bei keinem Pferd mehr gesehen, seit Bonnie Scotland damals wie der Wind …

„Hey! Hörst du mir überhaupt zu, Junge?“

Junge? Missmutig drehte sich Cullen um und richtete seinen Blick auf den Koloss von einem Mann, der mit den Zügeln in der Hand wartend dastand.

Es war nicht der Schmied, der gleichzeitig Eigentümer des Mietstalls war. Er hatte Cullens Angebot vor einer Stunde angenommen – wenn auch nur zähneknirschend, wie er aus dem Widerstreben des Schmieds, das Geschäft per Handschlag festzumachen, schloss. Aber diesen Mann hatte Cullen auch schon gesehen. Er war ein paar Jahre jünger als er selbst und sah ziemlich eingebildet aus. Er war kurze Zeit, nachdem der Schmied den Verkauf mit Cullen festgemacht hatte, in den Stall gekommen und hatte ihr Gespräch verfolgt.

Cullen ging auf den Mann zu. Die Angriffslust, die dieser ausstrahlte, war fast zum Greifen nahe. Verachtung lag in seinem Blick. Früher hätte er diesem Mann einen Fausthieb verpasst, wenn er ihn nur schief angesehen hätte. Aber Cullen bezweifelte, dass ein einziger Schlag einen Mann von dieser Statur zu Boden werfen würde.

Da er ihm an Kraft aber in nichts nachzustehen schien, schätzte Cullen, dass ein gut gezielter Fausthieb ihn zumindest ins Wanken bringen könnte. Wenn er an die Wut dachte, die sich in den letzten Monaten in ihm aufgestaut hatte, würde es sich gut anfühlen, diesen Typen seine Faust spüren zu lassen, damit ihm sein eingebildetes, hämisches Grinsen verginge.

Aber er wollte das Geschäft, das er abgeschlossen hatte, nicht...