Provenzalische Intrige - Ein Fall für Pierre Durand

von: Sophie Bonnet

Blanvalet, 2016

ISBN: 9783641171384 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Provenzalische Intrige - Ein Fall für Pierre Durand


 

1

»Monsieur Durand?«

Die junge Dame sah sich um, als seien sämtliche Stühle im Gang besetzt. Sie hatte beide Augenbrauen hochgezogen, was ihrem Gesicht einen strengen Ausdruck verlieh. Schließlich blieb ihr Blick am einzigen Besucher hängen.

»Das bin ich«, antwortete Pierre und stand auf.

Er folgte dem gestrafften Rücken der Frau über das quietschende Linoleum und fragte sich, warum zum Teufel er sich fühlte wie ein ungezogener Schüler auf dem Weg zum Direktor. Dabei war er bereits öfter in der Präfektur von Avignon gewesen. Beim ersten Mal hatte er sich der Höflichkeit halber – und auf Betreiben des Bürgermeisters Arnaud Rozier – dem Präfekten als neuer Chef de police von Sainte-Valérie vorgestellt. Als man ihn damals an den zahllosen Türen vorbei zum Büro von Monsieur le préfet Gilles Fardoux geleitet hatte, war er stolz gewesen, in freudiger Erwartung auf sein neues Amt.

Das war heute anders, und das Gefühl, dass er im Begriff war, eine große Dummheit zu begehen, war kaum zu ignorieren.

Wollte er wirklich in die alte Tretmühle zurück? Sich dem engmaschigen Behördennetz, den Intrigen ausliefern, denen er sich damals mit seiner Kündigung in Paris entzogen hatte?

»In Cavaillon ist das anders, bei uns geht es kameradschaftlich zu«, hatte ihm Jean-Claude Barthelemy versichert, der bald in den Ruhestand gehen würde. Der alte Commissaire hatte Pierre geradezu gedrängt, sich als sein Nachfolger zu bewerben.

»Als einfacher Dorfpolizist wirst du nicht glücklich«, hatte er konstatiert. »Es wird immer jemanden geben, der deine Einmischung in laufende Ermittlungen nicht gutheißt.« Dann hatte er rasselnd gehustet und die Stirn in tiefe Falten gelegt. »Komm schon Pierre, das ist deine Chance. Du kannst doch nicht ohne!«

Über Wochen hatte Pierre mit sich gerungen und das Für und Wider gegeneinander abgewogen.

Für eine Fortsetzung seiner Tätigkeit als Dorfpolizist sprachen die Ruhe und Beschaulichkeit, die er in dieser Position genoss. Die Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister, der ihm zumeist freie Hand ließ. Mit Gisèle, der Empfangsdame in der mairie, und – er hätte es nie für möglich gehalten – sogar die mit Luc, seinem übereifrigen und manchmal etwas einfältigen Assistenten. Nicht zuletzt waren da noch die Bewohner von Sainte-Valérie, die ihn endlich in ihre Gemeinschaft aufgenommen hatten und die sich auf ihn verließen.

Dann hatte er an seine angespannte finanzielle Lage gedacht und an die beiden letzten Mordfälle, bei denen er aufgrund seines Dienstgrades nur inoffiziell hatte ermitteln dürfen. Das hatte den Ausschlag gegeben.

Es folgten Personalgespräche, körperliche wie psychologische Untersuchungen und ein mehrstündiger Eignungstest, dessen Fragen zu Politik, Geschichte und Allgemeinwissen besser in das Fernsehquiz Qui veut gagner des millions? gepasst hätten. Aber Pierre kannte das schon, er hatte sich entsprechend darauf vorbereitet.

Und nun der Anruf, sich umgehend einzufinden.

Mit zunehmendem Unwohlsein fragte sich Pierre, ob er besser gleich umkehren sollte, als die Dame endlich stehen blieb und an eine der grau lackierten Türen klopfte. »Der erste Bewerber, Monsieur Durand!«, rief sie ins Zimmer. Dann drehte sie sich zu Pierre um und nickte ihm ohne ein Lächeln zu. »Bitte treten Sie ein.«

»Vielen Dank, das ist überaus freundlich von Ihnen«, antwortete Pierre mit übertriebener Liebenswürdigkeit.

Er widerstand dem Impuls, dem Ganzen mit einer Verbeugung die Krone aufzusetzen, und marschierte geradewegs auf den Schreibtisch zu, an dem zwei Männer saßen. Links der Präfekt Gilles Fardoux, groß wie ein Schrank, das Gesicht hingegen weich und freundlich wie das eines Kindes. Neben ihm ein schmaler, distinguiert wirkender Uniformierter mit silbrigen Schläfen und üppigem, dunklem Haupthaar, das durch den großen Farbkontrast wie ein Toupet wirkte.

»Monsieur Durand, wie schön, Sie wiederzusehen«, rief Fardoux aus und zeigte auf seinen Nebenmann. »Darf ich Ihnen meinen Generalsekretär vorstellen? Das ist Monsieur Delettre, Unterpräfekt und Koordinator für die polizeilichen Belange.«

Sie schüttelten sich die Hände, wobei Pierre auffiel, dass der Generalsekretär der Polizeiverwaltung einen wesentlich festeren Händedruck hatte als sein Vorgesetzter, dann nahmen alle drei Platz.

Fardoux schlug eine Aktenmappe auf, nickte kurz, als sei er zufrieden mit dem, was er dort sah, und schloss sie gleich wieder.

»Monsieur Durand«, begann er ohne Umschweife, »ich will ehrlich sein. Ihr ehemaliger Vorgesetzter in Paris hat mir von Ihrer Berufung abgeraten. Aber Sie haben Glück, ich mag ihn nicht besonders, er ist mir zu glatt. Genau genommen würde ich mich darüber freuen, ihm eins auszuwischen.« Er lächelte verschwörerisch. »Ich muss sagen, dass mich Ihr rascher Aufstieg innerhalb des Pariser Polizeiapparates sehr beeindruckt hat. Zudem gefällt mir die Unbeirrbarkeit, mit der Sie sich in der Vergangenheit bei der Klärung der beiden Mordfälle im Distrikt Provence-Vaucluse hervorgetan haben. Genau so jemanden brauchen wir im Kommissariat von Cavaillon.«

»Mit Verlaub, Monsieur le préfet, im Fall der Befugnisüberschreitung wäre eher ein internes Verfahren wegen Amtsanmaßung angebracht gewesen«, wandte der Generalsekretär ein. »Dagegen war das Ergebnis der Eignungstests in der Tat recht beeindruckend, nur scheint mir Ihre körperliche Fitness in den letzten Jahren etwas gelitten zu haben. Weder die Bewegungsschnelligkeit noch die Kraftausdauer der Bauchmuskulatur war befriedigend.« Er ließ den Blick über Pierres Körper wandern, bis er in der Leibesmitte hängen blieb. »Sie sollten weniger essen und mehr Sport treiben.«

Pierre sog die Luft ein. Was für ein unangenehmer Kerl! Er dachte an das Deeskalationstraining, das Teil der Vorbereitungsmaßnahmen auf diesen Posten war, und atmete langsam wieder aus, während er bis acht zählte. In puncto Fitness hatte Delettre leider Recht. Seine Kondition hatte in den letzten Jahren nachgelassen, das hatte er bei seinem letzten Fall bemerkt, als der Verdächtige ihn in einem Sprint weit hinter sich gelassen hatte. Er nahm sich vor, wieder mit dem Joggen zu beginnen und jeden Morgen vor der Arbeit ein paar Kraftübungen zu machen.

Was aber das Essen anging …

Trotzdem nickte Pierre folgsam, woraufhin sich der Präfekt zufrieden zurücklehnte. »Wunderbar, damit sollte das ja geklärt sein!«

»Nun, wir werden sehen«, entgegnete Delettre und fuhr mit strengem Blick fort: »In diesem Auswahlverfahren hat alles seine Bedeutung.«

Er machte eine kunstvolle Pause, in der er den Kopf nach oben reckte, als ziehe ein unsichtbarer Marionettenspieler an seinem Haar.

»Wir sitzen hier beisammen«, fuhr er fort, »weil der Juryvorsitzende des Bureau du Recrutement Sie mit Nachdruck für die letzte Runde empfohlen hat. Gemeinsam mit einem anderen Bewerber.« Er griff nach der Akte, blätterte mit nervenaufreibender Gelassenheit durch die Seiten und runzelte schließlich die Stirn. »Sie müssen zugeben, dass Ihr Werdegang äußerst eigenwillig ist. Helfen Sie mir, Ihr Anliegen zu verstehen. Sie sind als leitender Commissaire in Paris ausgestiegen, um sich zum einfachen Dorfpolizisten zu … nun ja … zu verändern. Wie kommt es, dass Sie sich entschieden haben, nun doch in den höheren Dienst zurückzugehen? Hat Ihnen die Arbeit als Policier nicht gefallen?«

»Also …« Pierre sah zu Fardoux, der ihm freundlich zunickte, dann wieder zu Delettre. Mit dem Präfekten ließ sich gewiss gut auskommen. Mit dessen uniformiertem Beißhund jedoch würde er aneinandergeraten, so viel war sicher. »Ich habe mich für die Position als Commissaire von Cavaillon beworben, obwohl mir der Posten als Chef de police municipale sehr gut gefällt«, antwortete er, wobei er das Chef deutlich betonte. »Der Hauptgrund für meinen Entschluss sind die polizeilichen Kompetenzen, die im Dienst der police nationale um einiges umfangreicher sind.«

»Ja, Ihre Überschreitungen sind legendär. Grenzen zu akzeptieren gehört wohl nicht zu Ihren Stärken?«

Pierre blieb ruhig. Die Taktik, die Delettre jetzt fuhr, war durchschaubar. Es gehörte dazu, den Bewerber zu provozieren, um seine emotionale Belastbarkeit zu testen, ebenso die Fähigkeit, bei Kritik ausgeglichen zu bleiben.

»Ich habe immer innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen gehandelt«, antwortete er fest, »und sie nur dort gedehnt, wo es die reglements zuließen.«

»Soso, und dabei einige Alleingänge hinter dem Rücken der Kollegen riskiert. Monsieur le préfet mag es als Unbeirrbarkeit auslegen, für mich dagegen ist es ein Zeichen mangelnder Teamfähigkeit.«

»Um zu dieser Meinung zu kommen, haben Sie sicher mit allen Beteiligten gesprochen?«

»Es genügt, was ich weiß.«

»Ah, Sie arbeiten also auch gerne im Alleingang?« Den Hieb hatte er sich nicht verkneifen können.

Über das Gesicht von Fardoux huschte ein Lächeln. Delettre hingegen verzog keine Miene.

»Wollen Sie uns erzählen, warum gerade Sie für den Posten der Richtige sind?«

»Ich …«, begann Pierre. Er hasste solche Gespräche. Noch mehr aber verabscheute er Menschen, die die Antworten auf derartige Fragen zur Basis ihrer Entscheidungen machten. Emotionale Ausgeglichenheit hin oder her, er...