Soziale Phobie - Psychodynamische Therapie

von: Falk Leichsenring, Manfred E. Beutel, Simone Salzer, Antje Haselbacher, Jörg Wiltink

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783840923227 , 109 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 19,99 EUR

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Soziale Phobie - Psychodynamische Therapie


 

2 Störungstheorien und -modelle (S. 12-13)

2.1 Angst und Angststörungen aus psychoanalytischer Sicht

In der psychoanalytischen Krankheitslehre spielten von Anfang an Konzepte der Angst eine Schlüsselrolle für das störungsübergreifende Verständnis psychischer Symptombildungen und für Angststörungen im engeren Sinne (für eine Übersicht siehe Ermann, 2012). Bereits 1895 beschrieb Freud erstmals umfassend zentrale Merkmale der „Angstneurose“, die wir heute je nach Symptomausprägung und Verlauf als Generalisierte Angststörung oder als Panikstörung einordnen würden. Diese unterschied er von der sogenannten Angsthysterie, die wir heute den Phobien zuordnen würden. Es entwickelten sich drei störungsübergreifende psychoanalytische Modelle von Angst:

• Freud sah in „der Angst das Grundphänomen und Hauptproblem der Neurose“ (1926/1959, S.?85). Angst sei die Reaktion des Ichs auf eine drohende Gefahr – entweder bei der Realangst als Resultat einer dem Ich bekannten und objektiv vorhandenen Gefahr oder bei der neurotischen Angst als Ergebnis einer inneren Gefahr, die dem Ich (noch) nicht bewusst ist und vor dem Hintergrund früherer Erfahrungen und deren neurotischer Verarbeitung zu verstehen ist.

• Die Ausarbeitungen der Ich-Psychologie (A. Freud, 1936; Hartmann, 1939) legten die Basis für eine differenzierte Beschreibung von Ich-Strukturen und -funktionen wie Selbst- und Objektdifferenzierung, Impuls- und Affektregulation, wie sie heute u.?a. in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (Arbeitskreis OPD, 2006) detailliert Berücksichtigung finden. Das klinisch zu beobachtende Kontinuum von diffusen zu zunehmend gerichteten Ängsten hängt mit dem Reife- und Entwicklungsgrad der Ich-Struktur zusammen (vgl. Hoffmann & Eckhardt-Henn, 2001; Mentzos, 1984).

• Nach der Bindungstheorie (Bowlby, 1975) gibt die Nähe zur Bindungsfigur Schutz und Sicherheit, entsprechend kommt es bei bindungsbezogenen Gefahren (z.?B. Trennungswunsch oder reale Trennung) zur Angstentwicklung, die dazu motiviert, die Nähe zur Bindungsfigur wieder herzustellen oder früh internalisierte Abwehr- bzw. Bewältigungsmuster dieser Angst zu aktivieren.

Vor dem Hintergrund des konzeptuell breiter angelegten Angstverständnisses wurde die operationale Definition von Angststörungen durch das DSM-III 1980 mit den distinkten Kategorien der Panikstörung, der Generalisierten Angststörung und der Sozialen Phobie von Psychoanalytikern nur zögernd nachvollzogen. Angststörungen zählten in der psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Praxis zwar weiterhin zu den hauptsächlichen Erkrankungen (Beutel et al., 2004; Jakobsen et al., 2007; Milrod & Shear, 1991), es wurden aber erst in neuerer Zeit psychoanalytische Modelle zur Entstehung von spezifischen Angststörungen nach ICD-10 formuliert (Beutel et al., 2010; Hoffmann, 2008; Shear et al., 1993), entsprechende Behandlungsmanuale entwickelt und diese in ersten Wirksamkeitsstudien geprüft. Dies sind vor allem die Panikfokussierte Psychodynamische Psychotherapie (Milrod et al., 1997; deutsche Version: Subic-Wrana et al.; 2012) und die supportiv-expressive Therapie (SET) für die Generalisierte Angststörung (Leichsenring & Salzer, 2014b) sowie für die Soziale Phobie (Leichsenring et al., 2008; dieser Band).

2.2 Ätiologie der Sozialen Phobie

Wie bei anderen Angststörungen geht man davon aus, dass auch bei der Sozialen Phobie genetische Faktoren, Temperamentsmerkmale (Schüchternheit, Introversion) und negative kindliche Beziehungserfahrungen eine prädisponierende Rolle spielen. So konnten wir in der psychosomatischen Ambulanz zeigen, dass von sozial ängstlichen Patienten vermehrt Kindheitsbelastungen berichteten wurden. Dies galt für emotionale und körperliche Misshandlung, sexuelle Gewalt, emotionale und körperliche Vernachlässigung (Subic-Wrana et al., 2011).

Eine prägende Rolle spielen negative soziale Erfahrungen in der Adoleszenz, insbesondere sozial ausgeschlossen, verspottet oder sozial stigmatisiert zu werden. Neurobiologisch gibt es Hinweise auf eine reduzierte Aktivierung in kortikalen Bereichen und auf einen Wechsel zu einer verstärkten Aktivierung phylogenetisch älterer subkortikaler Angstkreisläufe in sozialen Stresssituationen (Kent & Rauch, 2003; Tillfors et al., 2001; Veit et al., 2002). Weiterhin fand man, dass Serotonin-Transporter-Polymorphismen mit der Erregbarkeit der Amygdala und der Symptomschwere in Verbindung stehen (Furmark et al., 2004).

In den verhaltenstherapeutischen Störungsmodellen der Sozialen Phobie rufen bestimmte soziale Situationen automatische Gedanken hervor, die sich um gefürchtete negative Bewertungen durch andere drehen. Gemäß dem psychophysiologischen Modell kommt es bei den Betroffenen aufgrund negativer dysfunktionaler Kognitionen zu einer erhöhten körperlichen Erregung. So wirkt die negative Sicht auf die eigene Person („ich bin ungeschickt, minderwertig, unfähig, dumm …“) sowie auf andere („andere sind kritisch, demütigend, überlegen …“) als kognitiver „Filter“, der die Interpretation der sozialen Situation ungünstig beeinflusst und diese als bedroh-