Jane Austen bleibt zum Frühstück - Roman

von: Manuela Inusa

Blanvalet, 2015

ISBN: 9783641107017 , 384 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Jane Austen bleibt zum Frühstück - Roman


 

1. Kapitel

Bath, England

Penny warf die Tür hinter sich ins Schloss. Genervt setzte sie sich auf den einzigen Stuhl in ihrem Zimmer, der an dem alten Küchentisch ihrer Eltern stand. Er diente ihr als Schreibtisch, ebenso als Bügelbrett, als Esstisch und als Bücherregal. An die Wand gelehnt stapelten sich darauf zig Liebesschnulzen, die sie alle gelesen hatte und die sie fast alle zum Weinen gebracht hatten. Sie liebte Happy Ends – warum konnte das echte Leben ihr nicht auch einmal eins bescheren?

Es war ein anstrengender Tag gewesen. Sie hatten in der alten Buchhandlung, in der sie arbeitete, eine Lieferung von acht Kisten erhalten, die der Inhaber Jack irgendwo aufgetrieben hatte. Eine alte Dame sei verstorben, hatte er erzählt, und der Nachlassverwalter habe ihm die Bücher zu einem Spottpreis überlassen. Schön für Jack, weniger schön für Penny, der das Vergnügen zuteilwurde, die Werke – ein wirres Durcheinander, wie sollte es auch anders sein? – zu sortieren, zu etikettieren und in die Regale einzuordnen. Das Schlimmste dabei war, dass sie beim Anblick der vielen tollen Bücher nicht widerstehen konnte, und so hatte sie das Gehalt von zwei Stunden mühseliger Arbeit gleich wieder in neue Romane investiert. Es war zum Verrücktwerden, es war wie eine Sucht. Natürlich nicht nur nach Büchern, sondern vor allem nach dem Herzschmerz, der in den Geschichten steckte, dem Mitfiebern, dem Hoffen, dem Bangen und nicht zuletzt der Freude, die einem widerfuhr, wenn man die letzten Worte des finalen Kapitels in sich aufsog. Erst dann konnte Penny beruhigt schlafen.

In ihren dreiundzwanzig Lebensjahren hatte es viele durchlesene Nächte gegeben, nur weil sie unbedingt wissen wollte, ob der Held und die Heldin des Buches am Ende miteinander glücklich wurden. Wurden sie es, erhielt das beendete Buch einen Ehrenplatz auf Pennys Schreibtisch. War das Gegenteil der Fall, landete es wieder im Laden zum Weiterverkauf oder, wenn es sie ganz besonders schwer traf, sogar in der Mülltonne. Rupert, einer ihrer Mitbewohner, schüttelte schon immer den Kopf, wenn er am Morgen danach wieder einmal ein Buch im Abfalleimer vorfand oder wenn er sie mit immer neuen Büchern aus dem Laden nach Hause kommen sah, so wie heute. Gleiches galt, wenn Penny sagte, sie könne nicht an den Partys teilnehmen, die die WG samstags schmiss, weil sie lieber ins neunzehnte Jahrhundert abtauchen wollte. Eigentlich schüttelte Rupert ständig den Kopf über sie. Und irgendwie hatte er ja recht. Doch das war nun mal Penny, mit ihren Macken und ihren Vorlieben, und die größte davon waren eben Liebesgeschichten. Natürlich hatte sie nichts gegen einen guten Film oder einen Lovesong, doch Romane hatten es ihr schon immer besonders angetan.

Leila, eine ihrer Mitbewohnerinnen und inzwischen gute Freundin, war wohl die Einzige, die sie verstand, denn sie las fast genauso gern wie Penny und schaute öfter mal in der BATHtub full of books vorbei. Ja, genau so hieß die Buchhandlung – Eine Badewanne voller Bücher –, mit Bezug auf die Stadt Bath, in der sie wohnten. Jack hatte einen eigenartigen Sinn für Humor. Ansonsten war er eher lässig und meckerte nie, wenn Penny sich mal verspätete, was dann und wann durchaus vorkam, weil sie wieder einmal erst kurz vor dem Morgengrauen das Licht ausgemacht hatte. Warum sich aufregen? Sie lebten in BATH! In dieser Stadt war der Kundenandrang nicht gerade ihre größte Sorge.

*

»Gute Nacht, liebste Jane«, sagte Cassandra und begab sich ins Bett, müde von diesem schwungvollen Abend, der ebenso verlaufen war wie viele andere Abende zuvor.

»Gute Nacht, Schwesterherz«, erwiderte Jane und ließ sich auf ihrem Stuhl am Schreibtisch nieder, der ihr in dem Zimmer in ihrem derzeitigen Zuhause am Sydney Place Nummer 4 zur Verfügung stand.

Sie hatten vor zwölf Monaten ihr Heim in Steventon verlassen und waren nach Bath übergesiedelt. Der Abwechslung wegen, sagte ihre liebe Mutter. Doch Jane dachte sich, dass es vor allem der Gesundheit ihres Vaters geschuldet war. Ohne guten Grund hätte er seine Pfarrei niemals aufgegeben. Doch er hatte sich, für Jane ganz unerwartet, zur Ruhe gesetzt und entschieden, dass die Familie sich in dem Kurort Bath niederlassen werde. Hier, so hegte man anscheinend die Hoffnung, war dank der heilenden Bäder baldige Genesung zu erwarten.

Jane gefiel dieser Wandel nicht. Wo war der Sinn für Gerechtigkeit geblieben, wenn sie doch alles, was ihr lieb und teuer war, verlassen sollte? Das Pfarrhaus, in dem sie aufgewachsen war, die Wälder, in denen sie so gern spazieren ging, immer ein Buch dabei, um an einer stillen Lichtung Rast zu machen und im edlen Schutz der Eichen ein paar Zeilen zu lesen.

Sie vermisste ihre hoch geschätzte Freundin Anne Lefroy, ebenso die Schwestern Martha und Mary Lloyd. Mary, die mit ihrem Ehemann, Janes Bruder James, und dem kleinen James-Edward in der Pfarrei ihres Vaters Einzug genommen hatte. Wäre ihre liebe Schwester Cassandra nicht an ihrer Seite, Jane wäre hoffnungslos verloren an diesem Ort, an dem man ausschließlich auf gesellschaftliches Vergnügen aus war. Sie war einem kultivierten Tanzabend keinesfalls abgeneigt, doch widerstrebte ihr der Gedanke, dass das von nun an alles sein sollte, was sie tat. Was würde sie hier in Bath für Erfahrungen sammeln, welche Eindrücke und Einfälle gewinnen können für ihre Romane? Schließlich träumte sie davon, eines Tages von der Feder leben zu können.

Jane griff zu einer der getrockneten Feigen, die ihr Lieblingsbruder Henry ihr aus London geschickt hatte, wohl wissend, wie ihre gute Mutter geschimpft hätte, weil sie vor dem Schlafengehen noch etwas zu sich nahm. Sie lächelte und biss genüsslich in das süße, weiche Fleisch der Frucht.

*

Nachdem sie sich bequeme Joggingsachen angezogen hatte, machte Penny einen kleinen Abstecher in die Küche, die vollgestellt war mit dreckigem Geschirr und leeren Flaschen, die irgendwie nie jemand wegbrachte. Sie hatte natürlich auch keine Lust dazu, genauso wenig wie aufs Abwaschen, deshalb nahm sie sich nur schnell einen Himbeerjoghurt aus dem Kühlschrankfach mit ihrem Namen und verschwand schleunigst wieder in ihrem Zimmer.

Sie wohnte zusammen mit fünf anderen in einem alten Stadthaus am Sydney Place. Es hieß, die wunderbare Jane Austen hätte hier früher einmal gelebt, was Penny jedoch bezweifelte. Wäre es dann jetzt nicht ein Museum oder so? Wobei man zugeben musste, dass sich immer wieder Touristen, die dieses Gerücht wahrscheinlich auch gehört hatten, in die Straße verirrten und ein paar Fotos von dem Eingang mit der Hausnummer vier knipsten. Na, wenn es sie glücklich machte.

Manchmal stellte Penny sich sogar vor, dass es wahr wäre und ihr Zimmer in der zweiten Etage einmal Jane Austen gehört hätte. Dann lachte sie sich selbst aus. Klar! Etwas Unsinnigeres hatte sie sich noch nie ausgedacht.

Als sie den Boden des Joghurtbechers sah, stellte sie ihn zur Seite und setzte sich aufs Bett, die Beine ausgestreckt, den Kopf an die rosafarbene Wand gelehnt, und schnappte sich den Roman, den sie vor einigen Tagen zu lesen begonnen hatte. Sosehr sie ein Buch an einem einzigen Tag anfangen und beenden mochte, war es leider nicht immer möglich, vor allem nicht, wenn es sich um einen dicken Wälzer von fünfhundert Seiten handelte oder eines in alter englischer Sprache. Die war zwar schön zu lesen und gefiel ihr sehr, doch las sie sich nicht so leicht weg wie gegenwärtige Literatur. Penny versuchte abzuwechseln, für jeden Chick-Lit-Roman las sie einen Klassiker, etwas Anspruchsvolles, damit sich ihr Herz und ihr Verstand nicht in die Haare bekamen.

Ihre heutige Lektüre war Stolz und Vorurteil von Jane Austen. Sie las es nicht zum ersten Mal und wusste, wie es ausging, und dennoch fieberte und bibberte sie jedes Mal aufs Neue mit, wenn Elizabeth Bennet und Mr. Darcy sich kennenlernten, beschimpften, verabscheuten und endlich ineinander verliebten. Genau so etwas brauchte sie heute.

Sie kuschelte sich in die vielen bunten Blümchenkissen, die das Bett zierten, und schlug die erste Seite auf, während rötliches Abendlicht durch das Fenster schien und das Zimmer in eine warme Atmosphäre tauchte. Innerhalb eines Atemzugs war sie drin in der Welt von Jane Austen.

Penny bewunderte die Autorin dafür, sich solche Geschichten ausgedacht zu haben, und fragte sich, woher sie wohl die Ideen dafür genommen hatte, denn soviel sie wusste, war Jane niemals selbst verlobt oder verheiratet gewesen. Vielleicht hatte sie ja eine unglückliche Liebe erlebt und sich daraufhin für immer von den Männern abgewandt, oder sie hatte halt einfach über allem gestanden und sich gesagt, einen Mann brauche sie nicht, sie habe schließlich ihre Bücher. Ach, so manches Mal wünschte sich Penny, sie könnte Jane Austen treffen und sie nach all diesen Dingen fragen, die sie so gern wissen wollte. Vielleicht könnte Jane ihr dann auch in Liebesdingen weiterhelfen. Auskennen tat sie sich damit auf jeden Fall, und vielleicht wüsste sie ja Rat, was ihre Situation anging.

Penny hatte in ihrem Leben zwei ernsthafte Beziehungen gehabt. Da war einmal Justin, mit dem sie schon mit sechzehn zusammengekommen war. Die Beziehung hatte fünf Jahre gehalten, dann hatte der damals eher schlaksige Junge mit der Boyband-Frisur, der sich inzwischen zu einem muskelbepackten Kerl mit kurz geschorenem Haar entwickelt hatte, von jetzt auf gleich beschlossen, dass es Zeit war, sich eine angemessenere Partnerin zu suchen. Er hatte Penny schlicht gegen...