Der Innere Weg - Vom Essen und Leben

von: Maria Sanchez

Envela GmbH, 2015

ISBN: 9783981718508 , 293 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 19,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der Innere Weg - Vom Essen und Leben


 

1


Vorwort


Worum es in diesem Buch geht


Liebe Leserin. Lieber Leser.

Bei meinem ersten Buch, „Sehnsucht und Hunger“, war es mein Anliegen, eine andere Sicht auf das Essproblem zu ermöglichen. Einen Blick, der sehr viel tiefer sieht, als es die Herangehensweise der „Disziplin“ jemals könnte.

In Leserbriefen und auf Veranstaltungen erhielt ich nach dem Erscheinen des Buches bewegende Rückmeldungen. Immer wieder traten dabei Menschen mit der Bitte an mich heran, ich möge manche Themenpunkte vertiefen und Ausführlicheres zum verborgenen Zusammenspiel von Essen und Emotion schreiben, damit sie dieses komplexe Rätsel besser verstehen und einordnen können.

Man braucht ein vielschichtiges Verständnis, um sich nicht von der gesellschaftlich noch immer vorherrschenden Meinung hypnotisieren zu lassen, dass es bei einem Essproblem nur um die Nahrungsaufnahme ginge. Es geht nicht ums Essen, es geht um unser Leben.

Leider ist jedoch die Annahme, dass die Betroffenen sich nur bei der Lebensmittelauswahl mehr im Griff haben müssten, eine noch immer weitverbreitete Auffassung. Wie stark diese irrige Behauptung in unserer Gesellschaft verbreitet ist, zeigt eine Sendung, die im ZDF mit dem Titel „Schlank in den Frühling“ ausgestrahlt wurde. Zur Hauptsendezeit wurden drei Diäten lobend vorgestellt, obwohl wissenschaftlich nahezu unwidersprochen nachgewiesen ist, dass der dauerhafte Erfolg ernährungsreglementierender Maßnahmen gegen null geht.

Wie viele Menschen werden sich aufgrund dieser Sendung erneut einer Schlankheitskur unterzogen und nach einer anfänglichen Gewichtsabnahme ein weiteres Mal die frustrierende Erfahrung gemacht haben, dass der Verlust ihrer Kilo nicht von Dauer sein wird? Wie viele werden sich dann zum x-ten Mal erneut als Versager fühlen? Wie viele schmerzhafte Ohrfeigen wollen wir uns noch abholen?

Viele emotional essende Menschen verlieren durch ihr Essproblem und die damit verbundene Selbstentwertung sehr viel an Lebenskraft und -qualität. Bei manchen kann dies zuweilen seelisch grausame Dimensionen erreichen.

Mit reglementierenden Maßnahmen können wir bestenfalls werden, was ich in meinem ersten Buch mit dem Begriff „Dünne Dicke“ beschrieben habe. Wir können eine Person werden, die sich nur durch Kontrolldenken in Form von Ernährungs- und/oder Sportprogrammen schlank halten kann.

Dieses Schlanksein ist aber nicht natürlich, nicht von innen heraus entstanden, sondern wird künstlich durch äußere Einschränkungen bewahrt. Die innere Figur einer dünnen Dicken ist auch nach einer Gewichtsabnahme noch immer die einer Übergewichtigen. Denn die neue Zahl auf der Waage ist nicht die Zahl, die ihrem inneren, ihrem psychischen Essensmuster entspricht. Sie ist nach wie vor eine Übergewichtige, in einem künstlich schlanken Kleid, und kann ihr Gewicht nicht wie eine natürlich schlanke Person entspannt von innen heraus halten. Sie kann es nur durch Kalorien- oder Punktezählen, durch den Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel oder durch ein spezielles Sportprogramm. Damit möchte ich keinesfalls sagen, dass Sport nicht sinnvoll ist. Er tut dem Körper gut und kann viel Freude machen. Dient er jedoch in erster Linie der Gewichtsabnahme, wird er für viele Menschen zur Quälerei.

Es gibt dünne Dicke, die sich mit ihren auferlegten Reglementierungen wohlfühlen und deshalb verständlicherweise keine Notwendigkeit spüren, etwas zu ändern. Wenn kein Leidensdruck besteht, gibt es auch kein Problem. Andere dünne Dicke jedoch leiden unter dem Kontrolldenken, weil diese Art der Gewichtskontrolle sie wertvolle Energie kostet – Kraft, die ihnen für andere Bereiche ihres Lebens nicht zur Verfügung steht. Obwohl sie sich schlank halten, sind sie als dünne Dicke noch immer nicht frei.

Manche dünne Dicke waren vorher übergewichtig und sind mithilfe eines Ernährungs- oder Sportplans schlank geworden, andere hingegen waren nie dick, weil sie sich ihr Leben lang kontrollieren. Bei den einen wie den anderen aber kann die Qual sehr groß sein.

~

Bevor wir fortfahren, würde ich Ihnen, liebe Leserin, gern eine Frage stellen: Kennen Sie eine Person, die durch das Befolgen eines Verhaltens-, Ernährungs- oder Sportplans abgenommen hat und nun von diesen Reglementierungen frei ist?

Ich meine nicht eine Person, die nach dem Gewichtsverlust beim Essen weiterhin Punkte oder Kalorien zählt und aufpasst, dass sie innerhalb ihrer Tabelle bleibt, bei ihren Einkäufen auf den Fettgehalt der Lebensmittel achtet oder Fleisch nur mit Wasser zubereitet, um Kalorien zu sparen. Keine Person, die Zucker meidet, sich bestimmte Nahrungsmittel verbietet, Süßigkeiten nicht zu Hause hat aus Angst, sie dann essen zu müssen, oder sich schon beim Mittagessen überlegt, wie lange sie am Abend im Fitnesscenter auf den Stepper gehen muss, um die aufgenommenen Kalorien wieder loszuwerden. Nein, ich meine: wirklich frei!

Mithilfe einer Reglementierung abzunehmen bedeutet, dass wir die Ursache, weshalb wir vor der Gewichtsabnahme ohne körperlichen Hunger essen wollten, außer Acht lassen. Der Zwang, sich an einen reglementierenden Plan halten zu müssen, zeigt, dass Innen und Außen nicht übereinstimmen. Würde eine Betroffene dieses Kontrolldenken lockern, nähme sie durch ihre inneren Essensmuster wieder zu.

~

Die Vorstellung fast aller Therapien und Kliniken zu Essstörungen, ist, dass nur eine Kombination aus dem Erkennen und Verändern von Verhaltensmustern plus einem Ernährungsplan das Essproblem lösen könne. Auch sie geht nach meiner Ansicht nicht weit genug und am Wesentlichen vorbei. Denn auch hier besteht das Ziel in der Regel darin, eine dünne Dicke zu werden – was den meisten Betroffenen auf Dauer nicht gelingt. Die vorherrschenden Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, einen „Umgang“ mit dem Essproblem zu erlernen, aber ein Umgang ist etwas anderes, als davon frei zu sein.

Die Beschäftigung mit unserem Essproblem in einer tieferen, ganzheitlichen Weise kann uns nicht nur helfen, es dauerhaft zu lösen, sondern ist untrennbar damit verbunden, in tieferen Kontakt mit uns selbst zu kommen.

Wir müssen uns dafür jedoch von der Illusion verabschieden, es ginge beim Essproblem nur um die Lebensmittel, die wir uns in den Mund führen. Die Nahrungsaufnahme – der Drang, ohne körperlichen Hunger essen zu wollen – und damit auch unser Gewicht – gleichen einem Feuermelder, der eine Notsituation anzeigt. Wir können uns immer wieder darüber aufregen und gestört fühlen, dass bei Feuer der Alarm schrillt. Wir können versuchen, durch äußere Einwirkung den Alarmklang zu dämpfen. Das wird uns jedoch auf Dauer nichts nützen. Wenn wir wirklich Ruhe haben wollen, sollten wir irgendwann schauen, wo es denn wirklich brennt und wie dieses Feuer dauerhaft gelöscht werden kann.

Ich finde es sehr verständlich, dass wir Quälendes loswerden möchten. Aber genau dieser Blickwinkel macht einen großen Teil unserer Schwierigkeit aus. Der Feuermelder lässt uns vielleicht durch sein Klingeln nachts nicht schlafen und strapaziert unsere Nerven am Tage. Aber er ist nicht das Problem. Er versucht uns vielmehr auf die eigentliche Gefahr aufmerksam zu machen. Der Alarm ist nicht die Ursache, sondern die Folge eines inneren Brandes.

Natürlich schlanke Menschen reglementieren sich nicht. Sie essen, wenn sie hungrig sind – ganz gleich zu welcher Uhrzeit –, achten nicht auf Kalorien, Punkte oder Fettgehalt und hören auf zu essen, wenn sie satt sind. Sie haben ihr natürliches Gewicht, ohne sich an einen Plan halten zu müssen. Genau das fällt emotional essenden Menschen schwer. Sie essen, obwohl sie körperlich keinen Hunger haben. Oder sie beginnen eine Mahlzeit hungrig und können erst dann mit dem Essen aufhören, wenn sie sich zu satt fühlen. Diesem Verhalten liegt eine Kopplung von Essen und Emotion zugrunde, weswegen ich für das Essproblem den Begriff „emotionales Essen“ verwende.

Verstehen wir nicht, was sich beim emotionalen Essen in unserem tiefen Inneren ständig wiederholt, ist die Gefahr, daran zu verzweifeln, sehr groß. Sich selbst gegenüber ausgeliefert zu sein, kann zu einer schmerzhaften Erfahrung werden. Denn wir können nicht vor uns selbst fliehen.

Ganz gleich, wie oft sich unser Verstand vornimmt, morgen keine Süßigkeiten zu essen, schon beim nächsten emotionalen Essdruck hat unser Ehrgeiz seine Kraft verloren. Wie von einem Autopiloten gesteuert, greifen wir erneut zu den Nahrungsmitteln, die wir doch meiden wollten.

Mit dem Verstand wissen wir, dass die Schokolade uns nicht froh stimmt, wenn wir uns beispielsweise einsam fühlen. Wir wissen, dass sie keine Arme hat, um uns zu halten. Aber wenn wir uns mit dem Empfinden der Einsamkeit überfordert fühlen, greifen wir dennoch zu. Manche Leser werden an dieser Stelle vielleicht sagen: „Was soll ich denn sonst tun? Mein Alleinsein zu spüren ist für mich zu schmerzhaft!“ Das kann ich gut verstehen. Wenn wir nicht gelernt haben, wie wir über die Wahrnehmung unangenehmer oder auch schmerzhafter Emotionen in eine tiefere Verbindung mit uns selbst kommen können und sich auf diese Weise „etwas“ lösen kann, werden Süßigkeiten weiterhin unser Bewältigungsbonbon sein.

Dann haben wir leider zwei Probleme: unsere noch immer bestehende Einsamkeit, die durch die Schokolade nicht wirklich bewältigt ist, und ein zu hohes Gewicht.

Der springende Punkt ist: Dies nur zu erkennen reicht nicht aus! Die Erkenntnis, weshalb wir zu viel essen, kann unsere Frustration sogar noch verstärken, wenn wir uns nach dieser Erkenntnis nicht helfen können.

Dennoch ist die Einsicht ein erster hilfreicher Schritt. Er kann sogar im...