Aus Liebe zu meiner Tochter - Die Fortsetzung des Weltbestsellers 'Nicht ohne meine Tochter'

von: Betty Mahmoody

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732510160 , 398 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

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Aus Liebe zu meiner Tochter - Die Fortsetzung des Weltbestsellers 'Nicht ohne meine Tochter'


 

Endlich wieder zu Hause

Mittwoch, 5. Februar 1986.

»Mommy, schau mal, die amerikanische Fahne!«, rief Mahtob, als wir uns der amerikanischen Botschaft in Ankara näherten. Ihr Atem blieb als weiße Wolke in der Luft stehen. Ich spürte meine Füße kaum noch. Mit jedem Schritt erinnerten uns unsere schmerzenden Glieder an den Marsch, den wir gerade hinter uns hatten. Fünf Tage hatte es gedauert, bis wir zu Fuß und zu Pferd die Berge, die den Iran von der Türkei trennen, überquert hatten – Schmuggler hatten uns den Weg gewiesen und so unsere Flucht ermöglicht. Ich war vierzig Jahre alt und hatte eine sechsjährige Tochter. Wir waren beide am Ende unserer Kräfte.

Während der vergangenen achtzehn Monate, in denen Mahtob und ich im Iran gefangen gewesen waren, hatten wir die amerikanische Fahne nur auf Fotografien zu Gesicht bekommen. Auf diesen Fotos war immer das Gleiche zu sehen: Die Fahne wurde entweder schändlich verbrannt, oder man hatte sie mit groben Strichen auf den Zementboden einer Schule gemalt, damit die Kinder vor dem Betreten des Klassenzimmers auf ihr herumtrampeln und auf sie spucken konnten. Dass die Fahne an jenem denkwürdigen Tag über unseren Köpfen frei im Wind flatterte, bedeutete etwas ganz Besonderes für mich: Sie war das Symbol unserer Befreiung.

In den letzten anderthalb Jahren hatte ich oft gefürchtet, diesen Anblick nie wieder zu erleben. Im Juli 1984 hatten Mahtob und ich Sayyed Bozorg Mahmoody, meinen im Iran geborenen Mann, auf einem, wie er versprach, zweiwöchigen Besuch in seiner Heimat begleitet. Erst nach unserer Ankunft erklärte Moody – so nannten ihn alle –, dass wir für immer im Iran bleiben würden. Meine Tochter und ich waren von meinen beiden Söhnen im Teenageralter, die aus meiner früheren Ehe stammten, getrennt – eine halbe Welt von meinen Eltern, unseren Freunden, von allem entfernt, was uns teuer und vertraut war.

Am schlimmsten für mich war die Entdeckung, dass ich die Kontrolle über mein Schicksal verloren hatte. Nach der fundamentalistischen islamischen Gesetzgebung des Iran galten Mahtob und ich als iranische Bürger, und Moody war unser absoluter Gebieter. Wir konnten das Land nicht ohne seine schriftliche Erlaubnis verlassen. Ohne diese Erlaubnis waren wir gezwungen, unser ganzes Leben dort zu verbringen, obwohl Moody immer unberechenbarer wurde und er Mahtob und mich immer öfter und heftiger verprügelte.

Ich hatte den Iran nicht auf diese Weise verlassen wollen. Alle Versuche jedoch, mich mit Moody zu verständigen, waren fehlgeschlagen. Drei Wochen zuvor hatte ich ihn gebeten, er solle seine Entscheidung, uns im Iran zurückzuhalten, nochmals überdenken. »Bitte, Moody«, flehte ich, »sag in fünf Jahren oder in zehn Jahren, aber sag nicht nie. Wenn du nie sagst, habe ich nichts mehr, wofür ich leben kann.«

Seine Antwort war: »Nie! Ich will nie mehr etwas von Amerika hören.« Ich wusste, dass er meinte, was er sagte.

In den darauffolgenden Tagen fasste ich die wohl folgenschwerste Entscheidung meines Lebens: Wir mussten uns von Moody trennen, um jeden Preis. Es war mir klar, dass Mahtob und ich unser Leben riskierten, wenn wir versuchten, im Februar das Gebirge zu überqueren. Selbst die Schmuggler hielten die Berge zu dieser Zeit für unpassierbar. Es gab viele Gefahren. Wir konnten erfrieren oder in eine Schlucht stürzen. Unsere Führer konnten uns ausrauben und im Stich lassen oder uns an die iranischen Behörden ausliefern. Das war die schrecklichste Aussicht, denn ich konnte dafür hingerichtet werden, dass ich einem Vater das Kind weggenommen hatte.

Dennoch fühlte ich eine unheimliche Ruhe, einen völligen Frieden in mir, wenn ich daran dachte, was wir tun würden. Ich hatte erfahren müssen, dass es Schlimmeres gab, als zu sterben. Am Tag unserer Flucht eröffnete Moody unserer Tochter, dass sie mich nie mehr wiedersehen würde. Er hatte für mich allein – bereits für den übernächsten Tag – einen Flug in die Vereinigten Staaten gebucht. Mir war klar, dass uns keine andere Wahl blieb: Wir mussten fliehen. Und Mahtob, die in den letzten Tagen erlebt hatte, wie die Grausamkeit ihres Vaters erneut und heftiger denn je durchbrach, war zu derselben Entscheidung gelangt.

Acht Tage später, im Foyer der amerikanischen Botschaft, war ich am Ende meiner Kraft. Müde sah ich den Konsul an, der mir erklärte, dass ich unsere Pässe vermutlich bei der Polizei in Ordnung bringen lassen müsste.

»Bitte, tun Sie das für mich«, bat ich, »ich habe Angst, zur Polizei zu gehen.« Unsere neuen amerikanischen Pässe, die wir von der Schweizer Botschaft in Teheran bekommen hatten, trugen keine Einreisestempel. Nach türkischem Gesetz waren wir illegale Einwanderer. Die Polizei konnte mich einsperren – das bedeutete eine Trennung, die Mahtob und ich nicht durchstehen würden. Man konnte uns sogar an den Iran ausliefern.

Der Konsul war bereits vom amerikanischen Außenministerium über unsere Notlage informiert worden und hatte offensichtlich Mitleid mit uns, als wir so erschöpft dasaßen. Er meinte: »Ich kann nichts garantieren, aber ich werde sehen, was ich tun kann.«

Da es einige Zeit in Anspruch nehmen würde, unsere Reisedokumente in Ordnung zu bringen, schlug er uns vor, in der Zwischenzeit Ankara zu besichtigen. Nein, danke! Wir hatten in Teheran die Luftangriffe des Irak auf den Iran überlebt. Wir waren den Gewehrkugeln kurdischer Rebellen entgangen. Wir hatten in fünf Tagen diese gefährlichen Berge überquert, und wir hatten kaum etwas gegessen und kaum geschlafen. Nach alledem wollte ich Moody jetzt nicht die Gelegenheit bieten, uns während eines Stadtbummels in Ankara zu schnappen. Fürs Erste war ich genau da, wo ich sein wollte, nämlich sicher im Schutz der amerikanischen Fahne.

Ich hatte noch einen anderen zwingenden Grund, weshalb ich sofort weiterreisen wollte: Wenige Tage bevor wir den Iran verließen, hatte sich mein Vater einer lebensgefährlichen Darmkrebsoperation unterzogen. Auf der Flucht hatte ich keine Möglichkeit gehabt herauszufinden, ob er noch am Leben war. Am vorangegangenen Abend hatte ich von unserem Hotel in Ankara aus mit ihm telefoniert und fürchtete nun, er könne den Tag nicht überstehen. Er hatte mich gedrängt, schnell nach Hause zu kommen, und ich war entschlossen, bei ihm zu sein, bevor es zu spät war.

»Ich will den ersten Flug nach Hause!«, sagte ich zu dem Konsul.

Die türkische Polizei war nur das letzte einer langen Reihe möglicher Hindernisse. Mahtob und ich wussten, dass wir den Iran ohne die schriftliche Erlaubnis meines Mannes nie legal hätten verlassen können. Auf der Fahrt von Teheran zur Grenze war unser Wagen oft von der Sicherheitspolizei zu einer routinemäßigen Kontrolle angehalten worden. Jedes Mal, wenn sich ein Wachposten dem Fahrzeug näherte, blieb mir fast das Herz stehen. Im klaren Bewusstsein, dass dies das Ende sein konnte, verkroch ich mich hinter meinem Tschador, um jedwede Tarnung, die er mir bieten mochte, nach Kräften auszunutzen. Aus irgendeinem Grund fragte man uns nie nach unseren Ausweisen.

Wir hatten auch in der Türkei Glück, als wir mit dem Bus von der Gebirgsstadt Van nach Ankara fuhren. Ich sah, dass andere Busse am Straßenrand parkten; die Fahrgäste waren ausgestiegen und präsentierten der Kontrolle ihre Papiere. Auch unser Bus wurde immer wieder angehalten; Männer in Khaki-Uniformen stiegen ein und sprachen kurz mit dem Fahrer, aber sie winkten uns anschließend jedes Mal durch. Erst als wir in einem Hotel in Ankara gegenüber der amerikanischen Botschaft ein Zimmer nehmen wollten, wurden wir nach unseren Papieren gefragt.

Es gibt keine Erklärung dafür. Ich glaube, dass wir durch Gottes Hand gerettet wurden.

Wir wurden vom Konsul und vom Vizekonsul in die amerikanische Botschaft zum Mittagessen eingeladen. Das in Aussicht gestellte Essen begeisterte uns: Cheeseburger mit Pommes frites! Als wir vor dem monumentalen Tor des amerikanischen Botschaftsgebäudes standen, das forsch von zwei Wachposten der Marine aufgerissen wurde, entstand eine Verzögerung, weil ich unwillkürlich den Männern den Vortritt lassen wollte.

»Nach Ihnen«, sagte der Konsul.

»Nein, nach Ihnen«, wiederholte ich mechanisch.

»Nach Ihnen«, sagte der Vizekonsul.

»Nach Ihnen«, beharrte ich. Die Komödie, die von den Marx Brothers hätte sein können, endete erst, als mir bewusst wurde, dass ich im Iran gewohnheitsmäßig hinter Moody und den anderen Männern hergegangen war. Niemand hatte mir das sagen müssen; ich tat einfach, was Millionen Frauen um mich herum taten. Es dauerte noch Monate, bis ich es wieder als normal empfand, einem Mann durch die Tür voranzugehen.

Als wir in der Botschaft auf Nachricht von der türkischen Polizei warteten, zeichnete Mahtob ein Bild von einem Boot auf dem Thunder Bay River, der hinter unserem Haus in Michigan vorbeifließt. Im Hintergrund zeichnete sie mehrere Bergketten, und sie sagte: »Ich will nie mehr Berge sehen.«

Dann kam der Konsul zurück; man sah ihm an, dass er Erfolg gehabt hatte. »Es ist alles in Ordnung, Sie können jetzt nach Hause fliegen!«

Sechs Stunden später saßen wir im Flugzeug. Da wir keinen Direktflug nach New York bekommen hatten, bezahlte die Luftfahrtgesellschaft für Unterkunft und Verpflegung im Münchner Sheraton. Trotz der Verlockungen einer westlichen Speisekarte brachten wir keinen Bissen hinunter, so sehr litten wir noch unter der Anspannung der vergangenen Tage, von unseren geschrumpften Mägen ganz zu schweigen. Ich überredete Mahtob immerhin dazu, eine Portion Himbeeren zu bestellen. Über die Schale hinweg...