Spielwiese - Peter Nachtigalls siebter Fall

von: Franziska Steinhauer

Gmeiner-Verlag, 2011

ISBN: 9783839236345 , 368 Seiten

7. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 10,99 EUR

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Spielwiese - Peter Nachtigalls siebter Fall


 

3


»Eine Leiche in einem Feld! Glaubst du wirklich, das ist ein Mordopfer?«, fragte Albrecht Skorubski skeptisch. »Wahrscheinlich doch eher Drogen. Ein Bett im Kornfeld und dann eine zu hohe Dosis …«

»Der Arzt hat deutliche Anzeichen für einen nicht natürlichen Tod gefunden, meinte der Kollege vor Ort. Wir werden es ja gleich sehen.« Peter Nachtigall blickte seinen Freund besorgt an.

Die unnatürliche Blässe des anderen war ihm schon seit einigen Tagen aufgefallen.

»Geht es dir nicht gut?«

»Wie kommst du auf so was? Nein, alles in Ordnung. Nur schlecht geschlafen. Ist ja eigentlich ganz normal, bei der Hitze!«

Der Wagen holperte neben der Bahnstrecke entlang.

»Im Grunde kann der Tote noch nicht lange dort liegen.« Skorubski schob das Basecap auf dem inzwischen völlig kahlen Schädel hin und her. »Der Bauer kommt doch sicher regelmäßig vorbei. Und wenn jemand ins Feld läuft, bleiben die Spuren noch lange sichtbar.«

»Wenn er nicht vermisst wurde, kann die Leiche dort womöglich schon eine ganze Weile liegen«, murmelte Nachtigall nachdenklich. »Es sind noch Ferien.«

»Sag mal, Peter, ist dir nicht viel zu heiß in deinem schwarzen Outfit? Also ich könnte das gar nicht ertragen!«

»Mir ist nicht zu warm.« Nachtigall band seinen sommergekürzten Zopf wieder neu. »Es ist nur eine Frage der Gewöhnung!«

Michael Wiener, der jüngste Kollege in Nachtigalls Team, trat ruhelos von einem Fuß auf den anderen. »So was habt ihr noch nicht gesehen!«, begrüßte er die beiden aufgeregt.

»Ach komm! Was wir schon gesehen haben, ist doch gar nicht zu übertreffen!«, widersprach Albrecht Skorubski entschieden.

Nachtigall warf einen forschenden Blick in Wieners Gesicht. »Nicht schon wieder!«

Wiener grinste schief. Er wusste, sein Chef konnte den Anblick von Toten nur schwer ertragen und hatte – seiner Meinung nach – ein generelles Problem mit der Vorstellung, dass Menschen sterben konnten, besonders dann, wenn jemand nachgeholfen hatte.

»Teilweise skelettiert. Der Schädel ist eindeutig menschlich. Viel ist nicht mehr übrig. Jemand hat eine Leiche als Vogelscheuche aufs Feld gestellt«, erklärte er knapp.

Es dauerte einige Sekunden, bis sich diese sperrige Information verarbeiten ließ.

Wenige Schritte später starrte Peter Nachtigall entgeistert auf das, was die Tiere übrig gelassen hatten. Wiener hatte wirklich nicht übertrieben.

Eifrige Krabbeltiere überall, beleidigte Krähenvögel, die von den Strommasten und den näher gelegenen Bäumen Bosheiten in ihre Richtung schrien.

Einen hysterischen Moment brauchte er, um sich darüber klar zu werden, dass das hartnäckige Kribbeln an seiner Wade nur Einbildung war. Es kostete ihn alle Selbstdisziplin, die er aufzubringen vermochte, nicht einfach kehrtzumachen und wegzufahren.

»Das meiste haben wohl die Vögel angerichtet. Die Witterung der letzten Tage spielt natürlich auch eine Rolle. Wäre es feuchter gewesen, würden Sie hier nur noch Maden finden – aber so. Sie sehen ja …«, plapperte ein Gesicht, das Nachtigall völlig fremd war. »Die Maden haben unter der Kleidung Schutz gesucht.«

»Peter Nachtigall, Kriminalpolizei Cottbus. Und wer sind Sie?«

»Dr. Brand. Arzt vom Dienst. Todesursache kann der Rechtsmediziner vielleicht noch irgendwie ermitteln, aber ich könnte mir vorstellen, nur mit größten Schwierigkeiten.« Dr. Brand neigte sich näher zu Nachtigall hinüber und flüsterte vertraulich: »Ich bin ja von Haus aus Ophthalmologe. Und Augen sind ja … tja. Aber ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass es hier keinen Zweifel daran geben kann, dass dieser Mensch tot ist. Ich habe wenig Erfahrung damit, den Tod festzustellen, das gehört nun mal nicht unbedingt in mein Fachgebiet als Augenarzt. Und es wäre ja schon mehr als peinlich, wenn ich behaupte, jemand sei verstorben und am Ende treffe ich ihn zwei Wochen später im Blechen Carré beim Einkaufsbummel. So was Ähnliches ist einem Kollegen von mir tatsächlich passiert.«

Peter Nachtigall atmete tief durch.

Und bereute es sofort. Der Gestank war beinahe un­erträglich.

Er presste sich ein Taschentuch fest auf Mund und Nase.

Dieser Arzt ging ihm auf die Nerven. So sehr, dass er sich schon beinahe Dr. Manz, den jungen Notarzt, dem er ­gelegentlich an Tatorten begegnete und mit dem es auch nicht immer einfach war, an den Fundort wünschte.

»Wenn er ein sich schnell abbauendes Gift bekommen hat, wird man wohl einen Mord gar nicht mehr nachweisen können. Weichteilverletzungen wird der Gerichtsmediziner auch nicht mehr identifizieren können.« Der Augenarzt wiegte bekümmert den Kopf. »In diesen amerikanischen Serien …«

»Sie gehen also davon aus, dass der Körper völlig intakt war, als er hier«, Nachtigalls Adamsapfel hüpfte nervös, während der Ermittler nach einer passenden Formulierung suchte, »zur Schau gestellt wurde?« Dieser Fundort war ein einziger Albtraum.

Wahrscheinlich wäre es am besten, wenn Dr. Pankratz, der Rechtsmediziner, vorbeikommen könnte, um sich dieses Arrangement anzusehen, überlegte der Hauptkommissar und winkte Michael Wiener heran, der sich mit einer blassen, jungen Frau unterhielt.

»Wer ist das?«

»Anette Faun. Sie hat die Leiche gefunden.«

»Gefunden? Zufällig?« Das konnte eigentlich nicht stimmen, wurde Nachtigall sofort klar. Vom Weg aus war nicht zu erkennen, dass ein Skelett im Anzug der Scheuche steckte. »Das klären wir noch.« Er drehte sich zu Albrecht Skorubski um. »Ruf bitte bei der Staatsanwaltschaft an. Erzähle Dr. März, was wir hier gefunden haben und bitte ihn, Dr. Pankratz zu informieren. Ich glaube, er sollte sich das ansehen, bevor wir den Toten abtransportieren.«

Zum Arzt gewandt fragte er: »Noch wichtige Informationen?«

»Jemand hat der Leiche ein stabiles Holzkreuz in den Rücken geschoben. Die Ärmel halten auf diese Weise die Arme in der ausgebreiteten Position. Der Kopf wurde mit einer Stoffbahn fixiert, damit er nicht vornüberfällt.«

»Die Augen?«, würgte Nachtigall.

»Gefressen. Sehen Sie, Krähenvögel sind nicht sehr wählerisch und immer hungrig. Eine Hand ist abgefallen, ein Fuß fehlt ganz. Den haben bestimmt kleine Räuber mitgenommen.«

Neben der grotesken Vogelscheuche lag etwas, das unter einer dichten Ansammlung grauer Asseln begraben war.

»Und das?«, wollte Nachtigall mit dumpfer Stimme wissen und hoffte, er müsse sich nicht doch noch übergeben.

Dr. Brand bückte sich etwas vor und betrachtete das Gewimmel eingehender. »Aha. Das wird wohl der rechte Fuß sein.«

Aus der Hose ragten Schien- und Wadenbein hervor. Auf der rechten Seite lagen die Knochen völlig frei, an der linken waren noch Gewebereste auszumachen. Einzelne Fingerglieder der rechten Hand waren verschwunden, die Weichteile von Elle und Speiche bis zum Übergang in den Ärmel gründlich abgepickt. Peter Nachtigall streifte Latexhandschuhe über.

Streckte zögernd seine Hände aus, um die Taschen des Anzugs abzuklopfen, doch das unerwartet herrische »Nein!« von Dr. Brand ließ ihn mitten in der Bewegung innehalten.

»Finger weg!«, setzte der Augenarzt grinsend hinzu.

»Warum? Vielleicht finden wir eine Brieftasche oder etwas anderes, das uns seine Identität verrät.«

»Auch wenn ich bei einer frischen Leiche so meine Schwierigkeiten habe – nicht ganz frische Tote habe ich schon mehrfach beurteilen müssen. Es ist für uns nachvollziehbar, dass Füchse, Vögel und andere Interessenten an den zugänglichen Stellen fressen, ja sogar Beutestücke entwenden. Selbst von Fischen wissen wir das. Niemand möchte sich vorstellen, was die viel kleineren Besucher so anrichten. Wenn Sie also in Zukunft nicht von Horrorbildern heimgesucht werden wollen: Fassen Sie die Kleidung nicht an!«, warnte der Arzt und wies auf eine wohlgenährte weißliche Made, die über den locker baumelnden Hosenbund des Toten kroch. »Davon gibt es noch viel, viel mehr. Unter dem Hemd.«

Uneingeladen drängten sofort Bilder aus Nachtigalls Erinnerung an die Oberfläche: Evelyn Krause. Nachdem er vor drei Jahren ihre Leiche gefunden hatte, war ihm auf Wochen der Appetit vergangen und er hatte mit größtem Ekel auf jede umhersummende Fliege reagiert.

»Alles klar«, antwortete er mit dünner Stimme. »Ich habe so etwas schon gesehen. Und ich muss wissen, wer hier aufgestellt wurde, sonst kann ich nicht ermitteln.«

Dr. Brand warf ihm einen unergründlichen Blick zu. »So etwas haben Sie bestimmt noch nicht gesehen. Und wenn Sie jetzt gegen das Jackett klopfen, werden Sie sich den Rest Ihres Lebens wünschen, Sie hätten das nicht getan und auf den Rat von Dr. Brand gehört.«

»Er hat recht«, verkündete eine weibliche Stimme ungerührt. »Die sind schreckhaft und reagieren empfindlich auf Störungen.«

Nachtigall wandte sich um, dankbar, nicht länger in das entstellte Gesicht des Toten sehen zu müssen. »Aha. Und mit wem … Ach, unsere Zeugin!«

»Anette Faun. Ich habe die Polizei verständigt.«

Überrascht musterte der Hauptkommissar die junge Frau, während er langsam und vorsichtig über die Taschen der Kleidung strich. Nichts. Keine Brieftasche. Kein Geldbeutel. Er zog die Handschuhe von den Händen und stopfte sie in die Hosentasche.

Sie deutete seinen Gesichtsausdruck richtig: »Na ja, so abgebrüht, wie Sie jetzt sicher glauben, bin ich gar nicht. Ich habe Ihrem Kollegen Wiener schon gezeigt, wo ich mich übergeben...